11.11.2022
Und wieder grüßt das Murmeltier beim Biogas
Eine Bestandsaufnahme von Heinz Wraneschitz
Die von der Regierungsampel geplante Obergrenze für Strom aus Biogasanlagen ist für den Fachverband Biogas ein Schlag ins Kontor vieler Betreiber. Doch offenbar trifft die angekündigte Abschöpfung aller Strom-„Übergewinne“ diese Branche mehr als die Betreiber von Solar- oder Windkraftwerken: Das war bei einer Pressekonferenz Anfang der Woche zu spüren.
Biogas und EEG
Als im Jahre 2000 die damalige Rot-Grün-Koalition das Erneuerbare-Energien-Gesetz EEG erfunden hat, wurde dem ein ganz wesentlicher Fehler eingeimpft: Biogas, die einzige der im EEG geförderten Energien mit Spitzenlastpotenzial, wurde zur Grundlast erniedrigt. Und so tuckerten bis etwa zur EEG-Renovierung des Jahres 2014 die meisten Biogas-Blockheizkraftwerke (BHKW) möglichst viele Stunden im Jahr gleichmäßig vor sich hin, produzierten Strom auf einem immergleichen Leistungsniveau, und nur selten wurde auch die Abwärme genutzt.
Erst nach und nach - womöglich hatten die EEG-Mütter und -Väter gar nicht an einen so schnellen Erfolg ihres revolutionären Gesetzes geglaubt – kam bei steigenden Ökostromanteilen im öffentlichen Netz das Bewusstsein auf: Wir brauchen mehr Spitzenlast, um die Lücken der unstetigen Wind- und Sonnenstromproduktion zu füllen. Zur Spitzenlast-Deckung waren seither die Erdgas-Kraftwerke da. Doch warum nicht Biogas dafür nutzen? Und so forcierten und förderten selbst die beiden GroKos bis Ende 2021 die Erweiterung von Biogasspeichern, den Aufbau von Wärmespeichern und die „Überbauung“ der Kraftwerksleistung durch mehr und größere BHKW auf den Biogasanlagen. Gerade Bauern gingen das Risiko ein, investierten in Speicher und BHKW-Leistung und verließen sich darauf, dass ihr Engagement sich irgendwann auszahlen würde.
Der Putinüberfall veränderte vieles
Doch dann kam die Ampelregierung – und kurz danach Putins Angriffskrieg auf die Ukraine. Die Gas- und Börsenstrompreise waren zwar schon ab Juli 2021 explodiert. Doch erst im Laufe des Jahres 2022 begriff die „große Politik“, was da passierte durch Merit Order, also die Strompreisorientierung an der teuersten Erzeugungsart, in diesem Falle Erdgas. Dass Kernkraft- und Kohlekraftwerksbetreiber sich eine „Goldene Nase“ verdienten, wurde aber weniger wahrgenommen, als dass nun auch für Sonnen- und Windstrom exorbitante Preise gezahlt werden mussten. Noch näher am Markt war die Stromerzeugung aus Biogas. Denn die konnte dank vorher vergrößerten Speichern und mehr BHKW-Leistung kurzfristig benötigten Spitzenstrom produzieren, ähnlich wie Erdgaskraftwerke eben.
Es erscheint grundsätzlich legitim, dass die Ampelkoalitionäre über die Abschöpfung von Sondergewinnen nachdenken – auch wenn sie zum Beispiel den Ölkonzernen durch Zuschüsse zu den Spritpreisen überhaupt erst möglich gemacht haben. Schnell vom Tisch war eine rückwirkende Abschöpfung ab März 2022 – da begriffen die Ministerialen wohl, dass die Verfassung dagegensteht. Nun also soll der Rückgriff erst ab September 2022 gelten: Eine Verkaufspreisobergrenze soll festgelegt werden, und der Betrag jeder Kilowattstunde (kWh), der über dieser Grenze liegt, wird abgeschöpft. So jedenfalls die bislang bekannten Pläne von Rotgrüngelb.
Was bei Biogas anders ist
Aber während sich Wind- und Solarkraftwerksbetreiber sehr wohl mit Obergrenzen von 18 Cent pro kWh abfinden könnten – immerhin bekamen sie in den EEG-Ausschreibungen der letzten Jahre oft weniger als 5 ct/kWh zugestanden – ist die Situation bei Biogas eine völlig andere. Einerseits, weil Sonne und Wind kostenlos scheinen und blasen, diese Kraftwerke also keine Treibstoffkosten haben. Biogas dagegen braucht „Rohstoff“, und der wurde im Lauf des letzten Jahres ebenfalls massiv teurer. Andererseits aber auch, weil durch die oben genannte „Überbauung“ zusätzliches Geld in die Biogas-Kraftwerke investiert wurde, wodurch die Erzeugungskosten pro kWh in die Höhe gingen.
Von „Vertrauensverlust, weil wir auf die Zukunft investiert haben“, spricht deshalb Horst Seide, der Präsident des Fachverbands Biogas(FVB). Und auch wenn Robert Habecks Bundesministerium für Wirtschaft- und Klimaschutz (BMWK) den ursprünglichen Gesetzesentwurf verbessert habe: „Das Kernproblem bleibt bestehen: Ein komplexer, fehleranfälliger Mechanismus zur Abschöpfung von Erlösen anstatt von Gewinnen. Der riskiert gravierende Verwerfungen in der Erneuerbaren-Branche“, springt Simone Peter, die Präsidentin des Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE), dem FVB-Chef bei.
Verschiedene Verkaufspreise in verschiedenen Märkten
Denn laut Seide reiche der vom BMWK zugestandene Aufschlag auf die Erzeugungskosten „von vorne bis hinten nicht. Außerdem habe ich verschiedene Preise, weil wir in verschiedenen Märkten tätig sind“, nennt er ein weiteres Problem seiner Branche. Denn für die vielen unterschiedlichen Verkaufswege von Strom aus Biogas, die sich meist an Bedarfsprognosen orientieren, hat ebenfalls die Politik seit Beginn der EEG-Ära gesorgt. Und nun sorge ausgerechnet das Grüne BMWK „durch die geplanten Eingriffe in bestehende Vermarktungs- und Geschäftsmodelle für massive Verunsicherung und die Stornierung von Projekten“, weiß BEE-Präsidentin Peter.
Seide formuliert es drastischer: „Uns wird total der Boden weggezogen. Das Geld ist ausgegeben.“ Und zwar genau für jene Überbauung, die notwendig ist, um die Stromlieferung zeitlich verschieben zu können und damit Bedarfsspitzen zu decken. „Dabei ist das die Zukunftsoption für Biogas, der wir beraubt werden. Jetzt sagt die Branche, wir müssen abschalten. Bei einer Abschöpfung kommen wieder Gaskraftwerke, die wir aus dem Markt rausgedrängt und damit den Strompreis gesenkt haben“, schüttelt Seide den Kopf.
Das führt in die Resignation, sieht FVB-Vize Christoph Spurk die Branchenentwicklung so voraus. 400 Mio. Euro für geplante Investitionen stünden aktuell auf der Kippe, „das wurde in kurzer Zeit zerschlagen“, so Spurk.
Biogas-Verband hat grundsätzlich Verständnis
Jedoch sieht Horst Seide sehr wohl ein, „dass auch unsere Branche Geld abgeben muss. Aber allein die Komplexität der Erlösabschöpfung kann dazu führen, dass das System kippt.“ Deshalb ist er offen „für eine steuerliche Lösung. Nennt es Sonderabgabe, dafür sind wir zu haben.“
Dabei hatten sich alle Biogasler:innen auf diese und die nächste Woche gefreut. Denn aktuell läuft die digitale 24. Ausgabe der Biogas-Convention, laut FVB „der größte Branchentreff der Biogas-Szene“. Und nächste Woche folgt in Hannover live und in Farbe die Messe EnergyDecentral 2022, bei der Biogas ebenfalls eine zentrale Rolle spielen soll(te). „Vor drei Wochen war absolute Aufbruchstimmung. Und jetzt ist die Stimmung so schlecht war noch nie“, skizziert Fachverbands-Präsident Horst Seide die Achterbahnfahrt der Gefühle seiner Branche. Dass die geplante Abschöpfung der Gewinne auch „Konsequenzen für die Wärmekunden der Biogasanlagen, die im schlimmsten Fall nicht mehr mit Heizenergie beliefert werden könnten“ habe, erwähnt er mehr nebenbei.
Beistand für die Position der Biogasbranche bekundet wie schon in der jüngeren Vergangenheit Bayerns Freiwähler-Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger: „Es kann doch nicht sein, dass die Anlagenbetreiber, die steuerbare, nachhaltige und Erneuerbare Energie gerade jetzt auch für den Winter erzeugen, eine rückwirkende Abschöpfung ihrer Erlöse erfahren. Das versteht kein Mensch“, verkündet der studierte Landwirt Aiwanger und fordert „die Bundesregierung auf, den Biomasse- und Biogasanlagen nicht die Existenzgrundlage zu entziehen. Sie sind auch in Zukunft unverzichtbar.“
Laut FVB-Präsident Seide jedenfalls haben die Betreiber „im festen Glauben, mit flexiblem Strom und heimischer Wärme einen Beitrag zur Energiesicherung in diesen schwierigen Zeiten zu leisten, viel Geld in die Hand genommen, um bedarfsgerecht einspeisen zu können. Also in Zeiten hoher Nachfrage – in denen natürlich auch der Preis höher ist. Das ist Marktwirtschaft. Wieso sollen sie nun dafür bestraft werden?“
Zumal so die Ampelregierung denselben Fehler wiederholen würde, den Rotgrün im EEG des Jahres 2000 bereits einmal gemacht hat: Biogas, die einzig direkt speicherbare Erneuerbare Energie, würde entwertet. Grüßt das Murmeltier wirklich die Biogasbranche erneut?