07.10.2022
In Zeiten der Biodiversitätskrise: „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel im Wald“
Bericht von Tatiana Abarzúa
Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu einer Million Arten an Tieren und Pflanzen vom Aussterben bedroht sind. Was können wir angesichts dieser traurigen Feststellung machen, um die biologische Vielfalt zu schützen?
Stand der Wissenschaft
Beim diesjährigen Waldklimaschutzgipfel warnte die Kommunikationswissenschaftlerin Irene Neverla, dass die roten Listen gefährdeter Arten immer länger werden. Spätestens seit dem Sachstandsbericht für die Zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystemdienstleistungen (IPBES) wissen wir, dass eine Million Arten das baldige Aussterben droht. Für diesen globalen Zustandsbericht des Weltbiodiversitätsrats hatten rund 450 Fachleute aus über 50 Ländern die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zusammengefasst. Aus mehreren hunderttausend wissenschaftlichen und politischen Publikationen wurden circa 15.000 der relevantesten systematisch ausgewählt, bewertet und in Zusammenhang gebracht, erläuterte das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) den Umfang des Forschungsauftrags. Der Bericht zeigt, dass bestimmte Entwicklungen zu der tragischen Lage geführt haben.
Neben der starken Nutzung von Festland und Meeren durch den Menschen, ist es auch die Überfischung von Kabeljau. Dazu kommen: Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive, gebietsfremde Arten. Die Zuverlässigkeit der getroffenen Aussagen wurde mittel vier Kategorien eingeschätzt: „sehr gut belegt“ (etwa mehrere unabhängige, übereinstimmende Studien), „belegt, aber unvollständig“ (etwa allgemeine Übereinstimmung, obwohl nur eine begrenzte Anzahl von Studien vorhanden ist oder Ungenauigkeiten in vorhandenen Studien), „ungelöst“ (mehrere unabhängige Studien, deren Schlussfolgerungen nicht übereinstimmen) und „nicht schlüssig“ (begrenzte Evidenz, große Wissenslücken).
Bei insgesamt rund acht Millionen bekannten Arten an Tieren und Pflanzen ist es somit jede achte Art, die bedroht ist.
Auf dem Weg zum Paradigmenwechsel
„Dort wo Wald eigentlich eine Plantage ist“, gebe es „mehr Probleme als dort wo Wald naturnah ist“, sagte Bundesumweltministerin Steffi Lemke bei der Eröffnungsrede der Veranstaltung. Sie erwähnte auch: Nur ein Drittel der deutschen Waldfläche sei naturnah. In Deutschland seien bei der Klimakrise auch die Folgen von vielen Jahrzehnten Waldwirtschaft zu spüren. Alte Buchenwälder sollten aus der Nutzung herausgenommen werden. Wir müssten nutzungsfreie Wälder schaffen. Das Ziel müsse sein, Klimaresiliente und naturnahe Laubmischwälder mit standortheimischen Baumarten langfristig zu etablieren. „Wir brauchen generell einen Paradigmenwechsel im Wald“, ergänzt sie, „die Frage von Nutzung vs. Schutz der Ökosystemleistungen“ sei „neu auszubalancieren“. Klimaschutz und der Schutz der Biodiversität bräuchten einen höheren Stellenwert.
Die deutsche Umweltpolitik hat ganz konkrete Pläne: „Zum einen soll das Bundeswaldgesetz novelliert werden, und die Anforderungen an eine nachhaltige Forstwirtschaft dort klarer gefasst werden“. Außerdem werde die Nationale Biodiversitätsstrategie derzeit überarbeitet. Auf EU-Ebene werde eine "Renaturierungsrichtlinie“ erarbeitet – der von der EU Kommission ausgearbeitete Vorschlag trägt den Titel „Verordnung zur Wiederherstellung der Natur“ (Nature Restoration Law). Später, bei einer der Debatten, warnte die Klimaschutzaktivistin Merit Willemer: „Beliebig viel Zeit haben wir nicht“.
Angebot zur Beteiligung
Bis zum 28. Oktober bestehe noch die Möglichkeit, in einem „Online-Dialog“ Vorschläge für das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK) einzubringen, erinnert Lemke die Zuhörer:innen. Mehrere Maßnahmen aus dem ANK sollen dafür sorgen, „dass degradierte Ökosysteme wieder gesund, widerstandsfähig und vielfältig werden“, wie der Internetpräsenz des Umweltministeriums zu entnehmen ist.
Für Naturschutzbewegte: Die Aufzeichnung der Veranstaltung ist auf Youtube verfügbar: Tag 1 und Tag 2.