30.09.2022
Stromspeicher: Das ungelöste Problem der unendlichen Entwicklungen
Ein Situationsbericht von Heinz Wraneschitz
„Speicher sind das ungelöste Problem der elektrischen Energieversorgung.“ Das hat der Nürnberger Ohmhochschul-Professor Horst Küch seinen Energietechnik-Studenten schon vor über 40 Jahren klargemacht. Heute dürfte er es immer noch so lehren. Denn an dieser Tatsache hat sich zumindest bis zum Kongress des Bayerischen Cluster Energietechnik „Energiespeicher für die zukünftige Stromversorgung“ vor einiger Zeit in Nürnberg offensichtlich nichts Grundsätzliches geändert.
„Vier Gigawatt (GW) nicht übertragbare Leistung gibt es laut unserer Netzstudie 2“, weiß Hannes Seidl von der Deutschen Energieagentur Dena. Viel Energiepotenzial, das in die Netze der Nachbarländer Deutschlands abgeschoben werden muss, wenn der Momentanverbrauch gerade unter der Stromerzeugung liegt. Weshalb bei viel Windkraftstrom im Norden, bei hoher Solarerzeugung im Süden innerhalb unseres Landes ein Ausgleich geschaffen werden soll: Durch vielhundert Kilometer Höchstspannungsleitungen, lautet der politische Wille.
Doch Leitungstrassen zu planen und zu bauen geht nicht von heute auf morgen. Schnelle Lösungen wären gefragt. Eine Idee dazu hat Prof. Dr. Oliver Mayer, im GE-Forschungszentrum Garching bei München tätig. In Laufwasserkraftwerken könnte der Überschussstrom gespeichert und bei stärkerem Bedarf wieder abgegeben werden. Man müsste „nur“ die Staustufen in den großen Flüssen von den Netzleitwarten aus regeln können, erklärt Mayer.
Das Prinzip: nicht – wie üblich - die auf einer mittleren Leistungsstufe werden die Turbinen bei Mayer im Normalfall mit geringerem Wasserdurchsatz betrieben, aber bei Spitzenstrombedarf für einige Minuten bis zu einer Stunde auf Volllast hochgefahren. Das würde allein am oberbayerischen Inn eine Regelenergie von knapp 150 Megawattstunden (MWh) ergeben, hat Prof. Mayer errechnet, und zwar ohne technischen Umbau der Kraftwerke. Doch es gibt ein bürokratisches Problem: Ein Aufstauen des Oberwassers um 10 oder 20 cm sieht die Genehmigung der Laufwasserkraftwerke nicht vor. Ein neues, langes Verfahren sei zu durchlaufen. Mit Prüfung aller Umweltaspekte aus heutiger Sicht: Die neuen Auflagen würden viel kosten. Mayers Lösungsvorschlag: Ein Umdenken aller Beteiligten, vor allem der Wasserwirtschaftsämter, um die Energiewende zu erleichtern.
Kaum Chancen auf Realisierung hat wohl jene alte Speichertechnologie, die „im Wesentlichen für Kernkraftstrom“ errichtet wurde: Gasdruckspeicher unter der Erde, wie der 1978 in Betrieb genommene in Huntorf in Niedersachen. Der Wirkungsgrad wurde zwar von einst 42 auf heute über 70 Prozent erhöht, weiß Dr. Peter Radgen, Technologieentwickler bei Eon. Doch beim Stromerzeugungspreis können Druckluftkraftwerke immer noch nicht mit anderen Speichern konkurrieren; „die Erlöse reichen nicht aus, um die Kosten zu decken.“ Zudem stünden die vorhandenen unterirdischen Kavernen in Konkurrenz zu Technologien wie Erdgaslagerung oder CCS (Carbon Capture and Storage; CO2-Ablagerung), in deren Entwicklung Radgen inzwischen gewechselt ist.
Für Wasserstoff (H2) sieht Manfred Waidhas von Siemens dagegen große Chancen, selbst wenn „H2 einen sehr schlechten Wirkungsgrad hat. Doch der ist nur Teil einer gesamten Kostenbetrachtung.“ Vorteil von H2: „Die Verteilstruktur. Er lässt sich nicht nur in Untergrundkavernen speichern, sondern auch im (vorhandenen; d.Red.) Erdgasnetz zumischen.“ Und deshalb über die Republik verteilen, ohne das Stromleitungsnetz zu erweitern.
Bei Batteriespeichern scheint sich ebenfalls etwas zu bewegen, auch wenn die großen Kapazitäten (noch?) nicht verfügbar sind. Holger Schuh von Saft-Batterien sieht bereits den „Einstieg in die MW-Klasse“ durch die „Entwicklung großformatiger Lithium-Ionen-Energiespeichersysteme.“ Eine 5-MWh-LiIon-Batterie hat sein Unternehmen bereits für ein Inselnetz auf Reunion produziert, eingebaut in neun 20-Fuß-Container. Der Modul-Aufbau der Akkus lasse es zu, Verbrauch und Speicher aufeinander abzustimmen. Auf Reunion würden 20% des erzeugten Wind- und Solarstroms zwischengespeichert. Bei Batterieverlusten von 10 bis 20% gingen gerade einmal zwei bis vier % der Energie verloren; man sei auf einem guten Weg, meint Schuh.
Noch größere Strommengen können Vanadium-Redox-Flow-Batterien speichern, erklärt Prof. Dr. Norbert Menke von der Gildemeister-Tochter A+F aus Würzburg. Das Prinzip: In zwei Tanks werden „positiver und negativer Energieträger“ gelagert; je größer das Gefäß, desto mehr Energie. Eine elektrochemische Zelle produziert daraus Strom und gibt ihn möglichst an eine Inselversorgung ab. Aber auch, um den Ausbau von Stichnetzen zu vermeiden, sind laut Menke Redox-Flow-Akkus geeignet. Die Größe der Zelle bestimmt die mögliche Spitzenleistung, die das System liefern kann.
Doch „Langzeitspeicher sind dadurch nicht zu realisieren; das geht nur chemisch“, glaubt Prof. Dr. Jochen Fricke, der frühere Sprecher des Cluster Energietechnik Bayern. Und diese Technologien – oft wird Wasserstoff genannt – sind auch nach Jahrzehnten Forschung noch nicht wirklich großtechnisch verfügbar. Was Prof. Küch schon vor 40 Jahren gelehrt hat.
„Gebrauchte Elektroautobatterien und norwegische Speicherseen nutzen“
Prof. Dr. Martin Faulstich saß dem Umwelt-Sachverständigenrat der Bundesregierung vor. Er plädiert für die Nutzung bereits vorhandener Speicherkapazitäten: „Pumpspeicherkraftwerke in Norwegen nutzen“, schlägt er vor. „Wir könnten dort 80 TWh Zwischenspeicher nutzen“ – bei einem Jahresbedarf in Deutschland von 500 TWh Strom. Das würde am Schnellsten funktionieren. Inzwischen sind die notwendigen Leitungsverbindungen zwischen dem Festland und Skandinavien vorhanden.
Hierzulande schlägt Faulstich „mehr dezentrale Speicher aus ausgedienten Batterien aus Elektromobilen“ vor. Auch eine Veränderung der bestehenden Stromversorgungs-Dreiteilung - Erzeugung, Netz, Vertrieb – würde helfen: „Private Investoren könnten Speicher aufbauen und Marktteilnehmer werden. Dazu müsste es ein Umdenken bei den Netzbetreibern geben, die sich zurzeit um die Speicher kümmern müssen.“ Zumal sich „ein Wettbewerb um Speicherkapazität auch positiv auf den Preis auswirken würde“, wie der Umweltratgeber weiß. Trotzdem: Das deutsche Stromnetz müsse gleichzeitig erheblich ausgebaut werden.
Doch vor dem Ausbau von Speichern und Netzen müsse Energiesparen stehen. „Es gibt 20 verschiedene Elemente, um Energie zu sparen, von denen jedes ein paar Prozent bringt. Bei der privaten Solarstromerzeugung sollten wir die Energie zuerst im Haus nutzen und nur den Überschuss ins Netz einspeisen“, wünscht er sich vom Bund eine Beibehaltung der aktuellen Regelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz.
PS: Dieser Text ist bis auf wenige geänderte Worte inzwischen elf Jahre alt. Er war 2011 u.a. in der SONNENENERGIE oder den VDI-Nachrichten zu lesen. Traurig, dass sich seither so wenig getan hat.