26.08.2022
Fossil hat wieder Vorfahrt
Ein Kommentar von Jörg Sutter
Schade, dass es nun wieder so läuft wie zu Peter Altmaiers Zeiten: Ein Gesetzentwurf, eine Verbändeanhörung mit einer Bearbeitungszeit von nicht mal 24 Stunden. Da waren wir doch schon mal weiter, oder? Auch wenn Eile geboten ist, kann doch eine sorgfältige Prüfung durch die Verbände vor so mancher Falle oder Problemen bei der Umsetzung schützen. Nicht umsonst ist das keine Kür, sondern eine Pflicht.
Donnerstag, vergangene Woche erhalten wir um 16:58 Uhr eine Mail aus dem Bundeswirtschafts- und Klimaministerium mit dem Entwurf der Energiesicherungstransportverordnung (EnSiTrV). Bis Freitag, 17 Uhr soll die Stellungnahme eingehen, digital natürlich. Es geht um die Priorisierung der Bahntransporte von Kohle- und Öltransporten, die auf der Schiene zu den Kraftwerken kommen sollen und im Zweifel zukünftig zu wartenden ICE führen können.
Kollege Heinz Wraneschitz hat bei den Ministerien nachgefragt: Zuckeln auf Neubau-ICE-Strecken (wie München-Nürnberg) zukünftig die ICEs mit 80 km/h hinter den Kohlezügen her? Darauf kam jedoch bis Redaktionsschluss aus beiden zuständigen Ministerien keine Antwort. Die Verordnung nennt jedoch Zugausfälle als Konsequenz für die Bürger, fast nebenbei wird für diese Transporte auch der komplette Lärmschutz ausgehebelt. Ist das wirklich nötig?
Doch zurück zur Verordnung: Ja, wir haben eine kurze Stellungnahme dazu abgegeben. Nicht weil wir glauben, dass wir kompetent hinsichtlich der Trassenpriorisierung und der Transportabwicklung der Bahn sind. Sondern weil hier wieder ohne jegliches Hinterfragen der fossilen Energietechnik Vortritt (im wahrsten Sinne) gegeben wird. Wir haben in der Stellungnahme angemerkt, dass doch bitte auch die Transporte von kleinen Trafos für PV-Anlagen, Solarmodulen und anderen Komponenten konsequenter genauso priorisiert gehören. Auch wenn das in der Praxis kaum Bedeutung haben wird: Es gehört einfach konsequent als erstes in die Gesetze geschrieben.
Wer ein LNG-Terminal bauen will, muss zuerst die Solarmodulimporte beschleunigen. Wer Kohle transportieren möchte, muss zuerst die Trafos für Windparks beschleunigt transportieren, damit die Lieferzeiten da nicht mehr bei einem Jahr (!) liegen. Warum ist es eigentlich so schwer, immer zuerst die Erneuerbaren zu denken und erst dann an die fossilen Energien?
Da brockt uns Russland einen Krieg in Europa und eine Energiekrise ein – und einige Politiker wollen dort weiter Uran kaufen, um die AKW länger laufen zu lassen. Und im Gegenzug überlegen nun frischgebackene PV-Besitzer, ob sie ihre Anlage nicht bis 01.01.2023 brach liegen lassen ohne Inbetriebnahme, um über die 20 Jahre der 70%-Drosselung der Einspeiseleistung zu entgegen. Das kann doch alles nicht wahr sein, oder?
Ich glaube weiter, dass auch die Energiesparverordnungen und Spartipps bei der Bevölkerung immer mehr ins Leere laufen, solange nicht konsequent an die Großverbraucher und auch die Gashändler herangetreten wird und der von Habeck geforderte gesellschaftliche Zusammenhalt dort auch gelebt wird. Interessant, dass die RWE öffentlichkeitswirksam verkündet, auf die Gasumlage zu verzichten, sich dann aber in die Liste der berechtigten Firmen trotzdem registrieren lässt? Oder: Hat BASF schon mitgeteilt, wie der Konzern die 20% politisch gewünschte Gasverbrauchsminderung umsetzen wird?
Und an den Mittelstand, der nun über hohe Energiekosten klagt: Welcher dieser Unternehmer hat in den vergangenen Jahren Energiesparen ernst genommen und auch eine PV-Anlage auf dem Firmendach installiert? Nur als Hinweis: Seit 20 Jahren gibt es Förderung dafür.
In vielerlei Hinsicht, nicht nur wegen der Preise, sind die Bürger nun die Hauptbetroffenen einer Situation, die uns eine Politik, die über lange Jahre keine Energiewende wollte, eingebrockt hat. Schwamm drüber – das hilft uns heute nicht weiter. Aber ich fordere eine konsequente Priorisierung der Erneuerbaren Energien. Ohne Ausnahme und in allen Bereichen, ob Biogas oder Steckersolar. Konsequent immer zuerst die Erneuerbaren denken und dann die fossilen Energien als Notlösung. Das würde uns schneller und auch weiter voranbringen. Und einen Tag länger zum Nachdenken – nicht nur bei Anhörungen von Verbänden - könnte auch nicht schaden.
PS: Ich vergaß: Unbürokratischer und verständlicher formulieren wäre auch noch eine gute Idee. Dazu die sprachliche Perle aus der Verordnung, die 6 Monaten nach Inkrafttreten sich selbst wieder abschafft und das Datum der Außerkrafttretung folgendermaßen beschreibt: „Datum des Tages des sechsten auf den Monat des Inkrafttretens folgenden Kalendermonats, dessen Zahl mit der des dem Tag des Inkrafttretens vorhergehenden Tages übereinstimmt, oder, wenn es einen solchen Kalendertag am Ende dieses Monats nicht gibt, des letzten Tages dieses Kalendermonats, oder wenn die Verordnung am ersten Tag eines Kalendermonats in Kraft tritt, des letzten Tages des fünften auf den Monat des Inkrafttretens folgenden Kalendermonats“.