08.07.2022
FFF auf Bayerisch: Ist die Wirtschaft Energie-„Fit for Future“?
Eine Veranstaltungsanalyse von Heinz Wraneschitz
„In der Dunkelflaute kann auch ein sehr ineffizienter Energieträger sinnvoll sein. Denn die volkswirtschaftlichen Folgen von ausfallendem Strom sind immens.“ Das war einer der Kernsätze, die Prof. Peter Wasserscheid am Montag dieser Woche in der „Fit for Future“-Veranstaltung der Bayerischen Staatsregierung von sich gab.
„Sehr ineffizienter Energieträger“: Damit meinte der Protagonist der Wasserstoff-Speichertechnologie LOHC ausgerechnet das von ihm seit Jahrzehnten unterstützte Energiegas Wasserstoff, kurz H2. Was aber nur im ersten Moment verwundern musste. Denn später erklärte er ausführlich den Zusammenhang.
Irritierend aber auch, dass ausgerechnet Bayerns Staatsregierung den Slogan „Fit for Future“, kurz FfF verwendet. Ist sie nun auf einen Zug aufgesprungen, der eigentlich aus einer ganz anderen Ecke stammt? Bekanntlich ist FfF, in Langform „Fridays for Future“ zum Synonym für die Schulstreikaktion der (damals 16-jährigen) schwedischen Umweltaktivistin Greta Thunberg und ihren persönlichen Kampf gegen Klimakollaps und Erderwärmung geworden. FfF wuchs zu einer global agierenden Klimarettungsbewegung. Im FfF-Gefolge sammelten sich Parents for Future, Scientists for Future, Omas for Future und viele andere „for Future“s.
Doch – zur Beruhigung oder zum Befremden aller: Bayerns Fit for Future ist keine Bewegung wie die genannten, sondern eine Veranstaltungsreihe. Konkret steht "Fit for Future“ nach Aussage des Wirtschafts- und Energieministeriums (WiMi) für „unsere Unterstützung für Bayerns Industrie“.
Keine Klimarettungsaktion – aber für weniger Fossilienverbrauch
Die Rettung des Weltklimas ist also nicht das primäre Anliegen von Bayerns FfF. Trotzdem wurde bei der hybriden Veranstaltung am Montag viel über das ursprüngliche FfF-Anliegen gesprochen: Die Reduktion klimaschädlicher Gase. Es solle weniger fossile Energie genutzt und die Energieversorgung auf Erneuerbare Energie – konkret auf Strom umgestellt werden.
Ministerialdirektorin Ulrike Wolf aus Hubert Aiwangers WiMi machte den Aufschlag. Rund um Nürnberg, den Ort der Veranstaltung gelte es, „drei Schlüsselbranchen und damit den Wohlstand zu erhalten und auszubauen: Leistungselektronik, Wasserstoff und Spielwaren.“
Der Spielwarenindustrie empfahl Ulrike Wolf durch die Blume, alte Zöpfe abzuschneiden und statt in Ostasien mit Kunststoff prozieren zu lassen, lieber „auf die Erschließung heimischer, nahwachsender Rohstoffe“ für ihre Produkte zu setzen. Die ersten beiden Branchen aber hob sie ganz besonders heraus. Wolf gab sich überzeugt, durch diese Technologien würden die von der EU (minus 55 Prozent CO2-Ausstoß bis 2030) und der Bundesrepublik (minus 65 Prozent) gesetzten Klimaziele erreichbar.
Da trifft es sich gut – oder wurde Nürnberg gerade deshalb gewählt? – dass in der Noris Semikron Elektronik seinen Firmensitz hat. Auch wenn den Namen außerhalb der Leistungselektronikszene nur wenige kennen: Semikron ist nach eigenen Angaben der zweitgrößte (Silizium-)Waferproduzent der Welt. Und die Produkte sind unter anderem in unzähligen Wind- oder Solarprojekten verbaut.
Kaum bekannte Weltfirma mit Riesen-Siliziumbedarf
„Semikron-Power-Module finden Sie in 30 Prozent aller Windkraftwerke weltweit, auch in China. Ohne Leistungselektronik geht es nicht“, machte Geschäftsführer Karl-Heinz Gaubatz die energiepolitische Bedeutung der Technologie deutlich. Und die des eigenen Konzerns mit 24 Firmen in acht Ländern und 600 Mio. Euro erwartetem Umsatz 2022.
Und der Bedarf an Leistungselektronik steigt weiter. Immerhin werde nach 2030 die Stromerzeugung aus Fossilenergien weltweit abnehmen und durch immer mehr Strom aus erneuerbaren Kraftwerken ersetzt, prognostizierte Gaubatz. „Bei Halbleitern denken viele nur an dünne Schichten“ – solche für Computerchips beispielsweise. „Aber wir brauchen viel mehr Material“, um die großen Ströme aus der Energiegewinnung verarbeiten zu können. Eine Abhängigkeit von der Rohstofflieferung aus einzelnen Ländern gelte es unbedingt zu vermeiden – das Beispiel Gas aus Russland stand auch hier im Raum.
„Überall müssen Wandler rein, ob in stationären Speichern oder für die Wasserstofftechnologie.“ Nicht zu vergessen „Data Mining“: Für jede Internetsuche brauche die IT elf Watt Leistung; so lange, bis etwas gefunden sei. Die Stromversorgung von Rechenzentren sei ein wichtiges Einsatzfeld für Leistungselektronik mit immensem Strombedarf, sollte das heißen. Genauso wie Transportgeräte, von Gabelstaplern bis Bagger, aber eben auch der komplette Verkehr muss künftig elektrisch angetrieben werden, wie der Firmenchef erwartet: „Heute schon sind in weltweit über 200.000 Trucks und Bussen Inverter von Semikron.“ Nach vielen weiteren Beispielen gab selbst Jürgen Marks, Pressestellenleiter des WiMi und Moderator der Veranstaltung zu: „Die Herausforderungen für die Leistungselektronik sind erkennbar geworden.“
Wasserstoff-Forscher auf neuen Pfaden?
Dann kam der zweite Protagonist ins Spiel: Peter Wasserscheid, Erlanger Uni-Professor und Vorstand am (freistaatlichen) Zentrum Wasserstoff Bayern, kurz H2.B. Dort ist auch die H2-Allianz Bayern angesiedelt: immerhin 220 Firmen, die mit dem Energiegas Umsatz machen wollen. Aber anders als Öl oder Erdgas ist H2 kein Energierohstoff, der irgendwo vergraben ist: Er soll künftig mit Strom aus regenerativen Quellen irgendwo auf der Welt erzeugt, hierher transportiert werden und unsere Industrie am Laufen halten. So jedenfalls der Plan von Bundes- und Staatsregierung.
Wasserscheid war zuletzt mit einer staatlichen Delegation in Australien und Kolumbien. Es seien Verträge geschlossen worden, um von dort ab 2030 H2 zum Preis von 1,50 Euro pro Kilo („reicht für 120 km Fahrt im Brennstoffzellenauto“) nach Deutschland zu liefern. Erzeugt mit Wind-, Solar- oder Wasserkraftstrom, also „Grün“. Der Transport per Schiff und dann möglichst über bestehende Erdgaspipelines aus Italien, um die bayerische Abhängigkeit von Norddeutschlands Seehäfen zu minimieren, wie der Professor empfahl.
Doch auch wenn er selbst ein H2-Auto fährt: Den Wasserstoff sieht Wasserscheid offenbar vor allem als Erdgasersatz in kommunalen GuD-Kraftwerken, um künftig die Wärme für viele Wohnungen bereitzustellen und gleichzeitig Strom zu erzeugen. Und zwar immer dann, wenn bei Flaute oder Dunkelheit Sonnen- und / oder Windkraftwerke zu wenig davon liefern. „Deshalb können auch Verluste bei H2-Erzeugung und Transport hingenommen werden“, sprach Wasserscheid ein immer wieder aufkommendes Thema an, das Kritiker gegen die H2-Technologien ins Feld führen.
Hierzulande erwartet er jedenfalls auch für die Zukunft nicht, dass mit Überkapazitäten der Ökostromerzeugung genug H2 produziert werden kann. „Wir waren und bleiben ein Energieimportland für lagerfähige Energien. Im Gegenzug verkaufen wir die Technologien zur H2-Produktion dorthin“, sang er ein Loblied auf die Globalisierung.
Unterstützung bekam Wasserscheid dafür von Ministerialdirigentin Wolf. Sie erwartet „grundsätzlich“, dass die energiebedingte Transformation für die bayerische Industrie „eine Erfolgsgeschichte werden“ kann. Und dass der Solarstrom vom eigenen Hausdach zwar die Familie versorgen könne, „für große Industriestandorte geht das aber nicht“. Auch wenn Max Bögl genau dies an seinem Hauptwerk bei Neumarkt unter Beweis stellt.
Ob ihre Unkenntnis vielleicht daran liegt, dass die Politik nicht immer am aktuellen Stand der Technik ist? Dazu passte, dass ein Besucher – auch kenntnisarm - anmerkte: „Seit 20 Jahren ist bei H2 nicht viel vorangekommen.“ Dem widersprach Prof. Wasserscheid „ganz streng. Bis eine technische Idee kommerziell umgesetzt wird, das dauert einfach lange. Aber noch nie gab es in der Historie die Idee, dass uns Australien oder Kolumbien 100.000e Tonnen Grünen H2 verkaufen“, führte er als Gegenargument an.
Auf jeden Fall aber seien gut ausgebildete Ingenieure für die Leistungselektronik in Nürnberg Mangelware, stellte Semikron-Chef Glaubert ein Fehlen von Fachkräften fest. Gegensätze, die Moderator Marks so zusammenfasste: „Die Chancen und Herausforderungen sind heute klargeworden.“
Hoffentlich auch, dass es um „Fit for Future“ geht, also um nicht weniger als die Zukunft des Planeten.