02.07.2021
Die Grenzen der Öko-Energie
Ein Bericht von Götz Warnke
Die Erneuerbaren Energien sind – nach menschlichen Maßstäben – zwar zeitlich, aber nicht leistungsmäßig grenzenlos. Ihre Potentiale haben durchaus planetare Grenzen; das ist bei den Fossil-Energien, aber auch bei Rohstoffen nicht anders, und kann auf einem begrenzten Planeten auch gar nicht anders sein.
Denn neben den physikalischen Grenzen – eine Windenergie-Anlage kann nur weniger als 60% der Windenergie ernten (Betzscher Beiwert), da sonst der Wind quasi zum Stehen käme – und den technischen Grenzen gibt es eben auch die planetarischen Grenzen. Die Erde ist schließlich ein Energiesystem, das die zugeführten Energiemengen aus Sonnenstrahlung, Planetenbewegungen (Mond → Gezeiten) und dem radioaktiven Zerfall im Erdinnern (Geothermie) zu einem großen Teil für den eigenen Betrieb verwendet – Pflanzenwachstum, Wasserverdunstung, Verdunstungsverteilung (Wind) und einiges mehr gehören dazu.
Wenn die Menschheit künftig notgedrungen auf eine Kreislaufwirtschaft umsteigt, kann dies nur mit Erneuerbaren Energien, also im Prinzip Kreislaufenergien, geschehen. Für dieses Projekt „Überleben der Menschheit“ muss natürlich klar sein, welche Energiemengen für die Kreislaufwirtschaft überhaupt zur Verfügung stehen. Denn um ein Bild zu bemühen: Man kann sich beim Machen von Feuerholz nicht den Ast absägen, auf dem man selbst sitzt. Oder im Klartext: welchen Anteil an den Erneuerbaren Energien des Erdsystems kann die Menschheit nutzen, ohne das Erdsystem aus dem Takt zu bringen, ohne einen der zu Recht gefürchteten Kipppunkte des Klimasystems auszulösen. Denn eines ist klar: auch die Erneuerbaren Energien beeinflussen die Umwelt: große Stauseen in den Tropen sind Klimagas-Schleudern, Riesenwindparks können Hurrikans ausbremsen und ein von dunklen Solaranlagen überzogenes Grönland würde die dortige Eisschmelze beschleunigen.
Eine Berechnung der für die Menschheit hier auf Erden verfügbaren Öko-Energie-Mengen ist natürlich komplex. Vor einigen Jahren hat die „Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt“ (Empa), die eine Art Schweizer Gegenentwurf zur Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig darstellt, ein entsprechendes Projekt gestartet, um diese Zahlen zu ermitteln. Methodisch hat man dabei u.a. die verschiedenen Dargebote von Energien in elektrischen Strom umgerechnet, da dieser im Zuge der Sektorenkoppelung zur „Lingua franca“ des Energiesystems wird. Für die Umrechnung in von der Menschheit nutzbare Energie haben die Schweizer Autoren die Wirkungsgrade heute verfügbarer Energietechnik verwendet. Die Ergebnisse wurden dann 2019 veröffentlicht – in Englisch mit dem sperrigen Titel „Powering a Sustainable and Circular Economy — An Engineering Approach to Estimating Renewable Energy Potentials within Earth System Boundaries“, dankenswerter Weise als Open Source, so dass sich jeder Leser ein eigenes Bild von den Annahmen, Berechnungen und vorgenommenen Validierungen machen kann.
Und auch wenn die Autoren das Ergebnis als überraschend bezeichnen, so dürfte es für den durchschnittlichen Leser eher erschreckend sein: „99,96% der aus dem All auf die Erde eintreffende Energie werden für den Antrieb des Erdsystems und der Nahrungsmittelproduktion benötigt, daher können bloß 0,04% technisch genutzt werden.“ Auch wenn für die Menschheit theoretisch immer noch 71 Terawatt und damit das 10fache des heute genutzten Potential verbleiben, so wird hier doch erstmals eine Begrenztheit auch der Öko-Energien sichtbar. Diese ATPs (annehmbare technische Potenziale) sollten sinnvoll und mit einem möglichst kleinen materiellen und ökologischen Fußabdruck genutzt werden.
Dabei steht die Sonnenenergie eindeutig im Vordergrund, da sie direkt genutzt werden kann, während praktisch fast alle anderen im Erdsystem verfügbaren Energien – Gezeitenkraft und Erdwärme ausgenommen – bereits Umwandlungsformen der Sonnenenergie darstellen, und dadurch mit mehr Wandlungs-Verlusten behaftet sind. Dazu die Empa-Forscher: „Solarenergie, die auf der bebauten Umwelt ( 29% ) und in Wüstengebieten ( 69% ) gesammelt wird, stellt den dominierenden Teil dieses Potenzials dar, gefolgt mit großem Abstand von Wasserkraft ( 0,6% ), Erdwärme ( 0,4% ), Wind ( 0,35% ) und Biomasse ( 0,2% ).“ (Original in Englisch) Wie viel die Menschheit vom ihr zur Verfügung stehenden, erdsystemneutralen Energiedargebot tatsächlich nutzen muss, hängt natürlich von den humanen – bzw.: inhumanen – Ansprüchen ab: bei einer globalen Umsetzung der 2.000-Watt-Gesellschaft würde die o.a. Solarenergie auf der bebauten Umwelt ausreichen; würde man als globalen Maßstab die real-heutige Schweizer 5.000-Watt-Gesellschaft annehmen, müsste man auch noch die Wüsten mit Solartechnik zupflastern.
Und die Empa-Forscher gehen noch einen Schritt weiter, denn die Studie von 2019 betrachtet ja nur das theoretisch verfügbare Energiepotential. Jetzt versuchen die Schweizer Wissenschaftler in einer weiteren Studie das praktisch verfügbare Energiepotential – was noch um einiges geringer sein wird – und den Pfad dahin zu ermitteln. Denn hier gibt es noch eine Menge einschränkender Faktoren: Kosten, Infrastruktur (Leitungen), Rohstoffknappheit, Energiespeicherung, Wartungsprobleme usw. usw. Nur als Beispiel: man kann keine Floating-Offshore-Windparks mitten im Atlantik errichten, weil die Landanschlüsse zu teuer würden, zu viel Material verschlingen würden und auch die Wartung zu langwierig wäre.
In jedem Fall darf man auf das Ergebnis der weiteren Forschung gespannt sein.
Fazit
Auch wenn, wie in den Wissenschaften üblich, immer noch einige Annahmen diskutiert und einzelne Punkte korrigiert werden, so sind diese Empa-Arbeiten ebenso wichtig wie wertvoll: Sie führen uns vor Augen, dass wir auch energiepolitisch auf einem recht begrenzten Planeten leben. Bei sinnvoller Organisation ist einerseits sicher genug für den Bedarf von allen da, andererseits aber nicht für alle denkbaren Bedürfnisse einzelner. Mit den Berechnungen der Studie wissen wir letztlich, was auf unserer Erde machbar ist, und was nicht. Insofern sind die Zahlen auch ein gutes „Therapeutikum“ gegen die Schalmeien-Spieler des ewigen Wachstums, gegen die Wirrköpfe der „Wasserstoff-wird-es-richten“-Fraktion und die Traumtänzer einer 1zu1-Umstellung unseres Energiesystems auf E-Fuels.