25.06.2021
Bundesregierung auf dem Weg zum Rechtsbruch
Ein Gastbeitrag von Christfried Lenz
„Wir müssen das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes akzeptieren mit allen seinen Aspekten, wir müssen es umsetzen und wir müssen dafür sorgen, dass der Weg zur Klimaneutralität auf diese Weise unumkehrbar gemacht wird.“ Und weiter: „Wir haben vom Bundesverfassungsgericht eine Frist bekommen, innerhalb der nächsten Monate das Versäumte nachzuholen“, erklärte CDU-Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier noch Ende April.
Zwei Monate sind nun fast abgelaufen, Anzeichen des Nachholens von Versäumtem sind nicht auszumachen. Ganz im Gegenteil: Nicht nur, dass dringend nötige Maßnahmen unterbleiben, die Bundesregierung scheut sich nicht, zwecks weiterer Ausbremsung der erneuerbaren Energien Gesetzesbruch zu begehen: Die EU-Richtlinie vom 11. Dezember 2018 „zur Förderung der Nutzung von Energie aus erneuerbaren Quellen“ muss bis 30. Juni 2021 in deutsches Recht umgesetzt werden. Doch abgesehen von einigen Regelungen für grenzüberschreitende Projekte, die ins EEG 2021 eingegangen sind, sucht man die Umsetzung der Richtlinie sowohl im EEG als auch in anderen Gesetzen vergebens. Insbesondere bezüglich der Artikel 21 und 22, in denen sich der Geist der Richtlinie fokussiert, indem der Bürgerenergie, den Prosumern, den Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften, dem Energy Sharing Tür und Tor geöffnet werden, kann von einer Umsetzung keine Rede sein.
Um der Bundesregierung nicht möglicherweise Unrecht zu tun, hat das Bündnis Bürgerenergie – gemeinsam mit der Energy Watch Group, der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie, dem Solarenergie Förderverein, der Roßdorfer Energie-Gemeinschaft, der Initiative Südpfalz-Energie, der europaeischen Energiewende Community, dem Solarverein Goldene Meile, dem Klimabündnis Dürkheim – im Mai 2021 folgende Anfrage an Wirtschaftsminister Altmaier gesendet:
- „Betrachten Sie die Artikel 21 und 22 der Richtlinie durch die Inkraftsetzung des EEG 2021 oder anderer Gesetzesüberarbeitungen als umgesetzt?
Falls ja, bitten wir Sie, uns konkret mitzuteilen, an welchen Stellen des EEG 2021 und weiteren Gesetzestexten welche Bestimmungen der Richtlinie umgesetzt sind und ab wann sie in Kraft treten werden.
Falls Sie die Richtlinie als durch das EEG 2021 nicht oder nicht vollständig umgesetzt betrachten, bitten wir um Mitteilung, wie Sie mit der Richtlinie weiterhin verfahren wollen.“
Aufgrund des klimabedingt dringend nötigen Handelns wurde um eine Beantwortung bis 10. Juni gebeten, die bis heute allerdings nicht eingetroffen ist. Folge wird nun vermutlich ein Vertragsverletzungsverfahren sein.
Deutlicher kann die Bundesregierung kaum demonstrieren, dass das Karlsruher Urteil bei ihr ein Verbalgefasel, aber keinen Sinneswandel ausgelöst hat. Ist die praktische Umsetzung des Urteils nun in jedem Einzelfall von erfolgreichen Gerichtsverfahren abhängig?
Gerade der Artikels 22 der EU-Richtlinie hätte erhebliche Auswirkungen. Dadurch könnte die Energiewende Einzug in die Großstädte halten. Das Bürokratie-Monstrum namens „Mieterstromgesetz“, das das bisher verhindert, könnte dann nämlich durch Energie-Gemeinschaften abgelöst werden. Dadurch würde endlich auch die große Gruppe einkommensschwacher Haushalte an den Vorteilen selbst erzeugter erneuerbarer Energie beteiligt.
Das ist von der Bundesregierung offenkundig nicht gewollt.
>Analog steht es übrigens auch bei der Agri-Photovoltaik. Auch sie hat das Zeug, ein richtig bedeutender zusätzlicher Sektor der Energiewende zu werden. Gegen immer mehr große Freiflächenanlagen in ländlichen Gebieten wächst der Widerstand der Bevölkerung. Die Kombination von Landwirtschaft und Photovoltaik auf der gleichen Fläche löst hingegen Interesse aus. Damit die Sympathie ja nicht zu groß wird, hat die Regierung auch hier vorsorglich Bremsklötze eingefügt: Eigenverbrauch des Stroms ist verboten, ebenso Kulturen mit Wein, Beeren oder Grünland, die besonders attraktive Win-Win-Effekte ermöglichen würden. Ob die diesbezügliche Eingabe von Deutschem Bauernverband gemeinsam mit Fraunhofer ISE vom April 2021 einer Beantwortung durch die Bundesregierung für würdig befunden wurde?
Die Reihe der Klimaschutz-Defizite könnte beliebig fortgesetzt werden. Es gibt hierfür aber eine gemeinsame Ursache: die Zielvorstellung „Klimaneutralität“, die auch Altmaier in seinem eingangs zitierten Statement anführt. Diese strebt nämlich nicht die Beendigung der Treibhausgas-Emissionen an, sondern arbeitet mit dem Faktor „Ausgleichsmaßnahmen“: Emissionen dürfen weiter gehen, sofern das CO2 mittels Baumpflanzungen aufgenommen und im Holz festgelegt wird.
Bloß: Eine Garantie, dass die Bäume auch ein paar Jahrzehnte lang wachsen, bis die Photosynthese einen nennenswerten Umfang erreicht, wird nicht mitgeliefert. Das Ganze ist das gerade Gegenteil der Verantwortungsübernahme für die Zukunft heutiger junger Menschen, die das Gericht anmahnt. Die Jugend wird nämlich mit einem Scheck abgespeist, von dem sie in spätestens 30 oder 40 Jahren feststellen wird, dass er ungedeckt war. Denn durch die fortschreitende Erhitzung werden die Bäume die in sie gesetzten Erwartungen kaum erfüllen. Sie müssten ja auch nicht nur aktuelle CO2-Emissionen ausgleichen, sondern die weltweite Waldvernichtung durch Rodung und Brände. Hieran ist auch Deutschland beteiligt. Wälder, die bei uns noch nicht verbrannt oder vom Borkenkäfer niedergemacht sind, werden großflächig dem Autobahnbau geopfert. Die jungen Menschen, die diese abstoßende Praxis durchschauen und für ihre Zukunft Bäume besetzen, werden kriminalisiert und mit Gewalt – unter Inkaufnahme von Verletzung und Tod – aus ihren Baumhäusern geholt.
Wer ehrlich etwas gegen den Klimawandel tun will, muss für die vollständige Beendigung der Klimagas-Emissionen sorgen.
Von der Regierung – und von der politischen Palette insgesamt – kann man das gar nicht erwarten. Es sind die Pioniere mit ihren NGOs, die die Energiewende gestartet haben, die auch heute klar aufzeigen, wie der Weg weiter gehen muss. Danach kann das Ziel niemals „Klimaneutralität“ lauten, sondern 100-prozentige Versorgung in allen Sektoren durch erneuerbare Energien. Natürlich dürfen auch Bäume gepflanzt werden, aber nicht, um das 100 Prozent-Erneuerbare-Ziel zu relativieren. Und es drängt. Bis 2030 muss es im Wesentlichen geschafft sein.
Das geht nicht mit Fortsetzung des „business as usual“, sondern erfordert eine außerordentliche Mobilisierung aller Potenziale. Dass es möglich ist, wenn wir denn wollen, hat die Energy Watch Group in der Studie „100 Prozent Erneuerbare Energien für Deutschland bis 2030“ dargelegt. Zuvor hat die gleiche Organisation „Eckpunkte für eine Gesetzesinitiative zur Systemintegration Erneuerbarer Energien“ herausgegeben, die schnellstens realisiert werden sollten.
Die Zielsetzung „100 Prozent Erneuerbare bis spätestens 2030“ wurde insbesondere von Metropol Solar durch das Buch „Saubere Revolution 2030“ von Tony Seba in die Diskussion gebracht. Weitere Organisationen, wie (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) Solarenergie Förderverein, Bündnis Bürgerenergie, Energy Watch Group, Eurosolar, Europäische Energiewende Community schlossen sich dem an.
Das sind die Kräfte, die die Energiewende wollen, nicht weil sie sich davon Profit versprechen, sondern weil sie eine persönliche Verantwortung und eine Freude daran empfinden, die wunderbaren Lebensbedingungen, wie sie auf diesem Planeten gegeben sind, zu erhalten und weiter zu entwickeln. Wenn es ehrlich um Klimaschutz gehen soll, müssen diese Kräfte gehört werden.