09.04.2021
Das Atomkeller-Gespenst von Haigerloch
Eine Reise durch die Geschichte der kleinen Atommeiler von Heinz Wraneschitz
Ist das der Grund, warum Dr. Anna Veronika Wendland in die AG Vorbereitung der Fachkonferenz Zwischenbericht Atommüllendlager wollte? Glaubt man diversen rechts- und somit Atommlobby-offenen Medien wie Epoch Times, Freie Welt, Novo-Argumente oder der sog. AfD, dann plant die jüngst nach Kanada umgesiedelte "Dual Fluid"-Reaktor-Firma einen "Atommüllvernichter", so die Springer-Zeitschrift >Welt<. Die Erfinder des Mini-Reaktors - elf alte weiße Männer und eine jüngere weiße Frau als Kommunikationsmanagerin - würden demnach den Bau des deutschen Atommüllendlagers überflüssig machen. Und Historikerin Wendland, Vorständin im Atomunterstützerverein Nuklearia, könnte bis zu ihrem Lebensende ihrem Motto frönen: "Ich habe mich nach langen Aktivistenjahren in der Anti-AKW-Bewegung für einen anderen Weg entschieden", sprich: "Kernenergie und regenerative Erzeuger als komplementäre Lösung" durchsetzen.
Ob Dual Fluid wirklich Atommüll vernichtet, weiß bislang niemand. Denn wirklich in der realen Welt im Einsatz ist dieser Minireaktor nicht. Und jene U100-MW-Atomstrommeiler, die es gibt auf dieser Welt - abgesehen von zig Atom-U-Bootreaktoren sind das gerade mal ein 20-Megawatt-Schneller-Brüter in China, drei 11-MW-Kernkraftwerkchen in Bilibino/Russland plus zwei Atomschiff-Stromerzeuger, ebenfalls in Putins Reich - hinterlassen den kommenden Generationen jede Menge strahlenden Müll, wie auch die Großreaktoren. In Deutschland hat das mit der Entwicklung kleiner Meiler übrigens im Atomkeller von Haigerloch angefangen. Werner Heisenberg und Co. waren dort in einer künstlichen Felshöhle zugange. Geklappt hat es damals nicht. Zudem war der Kernenergie-Durchbruch bereits 1943 einem US-Team um Enrico Fermi in Chicago gelungen.
Neben dem Wunsch der Energiekonzerne nach recht großen Reaktoren gibt es seit den 1950er Jahren auch die Idee von kleinen "SMR", also "Small Modular Reactors". Die sollen dezentral aufgestellt werden können und kostengünstiger sein. Wobei eigentlich jedem klar sein müsste: Die Sicherheitstechnik ist das (nahezu gleich) Teure eines jeden AKW, egal ob groß oder klein.
Die Mini-Ideen wurden immer größenwahnsinniger: Sogar herzallerliebstkleinste Reaktoren für Autos wurden ins Spiel gebracht. Wenn auch Gottseidank nie verwirklicht - weder dieser Ford Nucleon 1957 - noch 2010 jener Erlkönig. Denn der war ohnehin nur ein trauriger Aprilscherz: Ein Jahr später platzten die Großreaktoren von Fukushima.
Kein Aprilscherz aber: das Klein-AKW von Thorcon im Jahr 1969, das so genannte "Salzexperiment". Der Reaktor lief immerhin über 13.000 Stunden mit Uran-235 als Brennstoff. Nie in Betrieb war dagegen das Kraftwerk, das sich der Filmhersteller Kodak 1974 in den Keller stellte. Es stand danach sehr lange dort, ungenutzt.
Im Osten jubelte Neues Deutschland in kurz und knapp im Jahre 1980 über ein Mini-AKW in Russland. Wohlgemerkt: Es sollte Wärme liefern, nicht Strom. Ob diese Nachricht daran Schuld war, dass Franzosen und Kanadier auf fast dieselbe Idee kamen, Siedlungen mit Atomwärme zu beheizen? "Thermos" sollte das französische Ding heißen, nicht -Kanne, sondern -Reaktor, wie der Spiegel 1980 verriet. Ob jemals etwas aus dem 100-MW-Projekt wurde? Das ist nicht überliefert.
Hyperion, das Phantom
Dagegen wird das Mini-AKW mit dem schönen Namen "Hyperion" seit 2008 immer wieder als aufgehübschtes neues Schwein durch die Gazetten der Welt getrieben. Von 4.000 dieser Dinger, in denen bis 2023 an allen Ecken und Enden dieser Welt Kerne gespalten werden sollten, schrieb beispielsweise der Spiegel. Auch Heise jubelte die Hyper-"Atomkraft in eine saubere und sichere Welt" hoch. Stromseite.de oder Welt versuchten wie viele andere, den Hype zu schüren. Focus nannte es bereits "das Mini-AKW für den heimischen Garten". Nur das "Entscheidermagazin Förderland" gab sich vorsichtig: "Der US-Hersteller fertigt angeblich schon die ersten Mini-Atomkraftwerke für Privathaushalte." Der Preis aber war bereits bekannt: 25 MW - 25 Mio. US-$ - ein Dollar pro Watt. Einfach zu rechnen.
Doch dann wurde 2012 aus Hyperion Gen4 Energy. Venture-Kapital-Magazine werben heute noch dafür: Bei "Grüne Startups" sieht man Hyperion gar als "echt grüne Alternative". Aber wer die Webseite aufruft, bekommt einen leeren Bildschirm zu sehen. Und der angekündigte italienische "Hyperion" sieht genauso aus.
Kommen also wirklich "Baby-Reaktoren auf uns zu", wie der Spiegel 2016 mutmaßte? Für "Trends der Zukunft" jedenfalls sind - ebenfalls 2016! - Salzreaktoren wie die von Thorcon (siehe oben) "besonders sichere kleine Kernkraftwerke". Stimmt. Denn seit den 1950er Jahren ist keines geplatzt. Vielleicht, weil keine gebaut werden? Laut "Spektrum" hat jedoch eines das Wohlwollen kanadischer Genehmigungs-Behörden erfahren.
NuScal am Fließband?
Eine "schöne neue Reaktorwelt" sieht der Deutschlandfunk seit 2017 für die "Fließband-AKW" von Nuscale Power voraus. Vielleicht liegt es daran, dass die zuständige US-Atomaufsicht das Mini-Kraftwerk des Unternehmens auf ihrer Webseite erwähnt? Billiger sollen sie sein - billiger als was genau? 12 Stück á 60 MW, "aufgereiht wie Coladosen" könne die Firma für 3 Mrd. $ bauen - doch bisher existiert alles nur auf dem Papier, schreibt ein Wissenschaftsmagazin 2019. Dabei wären umgerechnet 140.000 AKW mit je 100 MW notwendig, um die Energie für die gesamte Welt bereitzustellen, so ein britischer Wissenschaftler. Die Kostenfrage hat er nicht beantwortet.
Für das Militär spielt Geld ja ohnehin kaum eine Rolle. Deshalb forschen laut Spiegel US-Militärs an transportablen AKW, die in ein Flugzeug oder auf einen Lkw passen sollen. Der Strom daraus soll "im Feld" eingesetzt werden können. Ein US-Militärmagazin bestätigt den Bericht. Passend dazu beschwört China mit einem kleinen Kugelhaufen-AKW Gefahren herauf, wie Scinexx meint. Die gebrexiten Engländer haben ja auch jede Menge Geld in ihre großen AKW gesteckt - laut Finanzwissenden setzen sie zudem auf "Mini-Kraftwerke für Europa". Der Bericht von 2020 liest sich im Übrigen wie der oben angeführte Spiegel-Beitrag aus dem Jahr 2016.
Also alles Hirngespinste um die Mini-Meiler? Nein! "Bill Gates wird es schon richten!", hoffen viele Atom-Lobbyisten. Doch auch dieser angebliche Corona-Verantwortliche und Windows-Erfinder ist kein Atomwunderknabe. Seit 2006 ist Gates mit Terrapower zugange. Und bereits 2021 will er "das Klima retten und hunderte winzige Atomkraftwerke bauen"; bis 2050, wie der Stern jüngst voraussagte. Was, würde es Wirklichkeit, die Welt-Stromversorgung wohl nur im Promillebereich beeinflussen würde.
Sarkastisch, aber treffend hat Stupidedia beschrieben, wofür Garten-AKW wirklich gut sind: "Die abgebrannten Brennstäbe können zum Nachbar in den Garten geworfen werden. Damit wäre die Endlagerung gesichert, außerdem wird er Ihnen beim nächsten Gartenfestival nicht wieder den ersten Preis stehlen."
Wollten nicht Gates und Co die immer wieder als neu verkaufte Pseudo-Atom-Umweltbotschaft in die Tat umsetzen, könnte man die Klein- wie Groß-AKW-Entwicklung als Vogelschiss der Geschichte ansehen. Eine "Besichtigung, bevor es zu spät ist", empfiehlt deshalb Helpster. Wir empfehlen: Setzen Sie lieber auf das ungefährliche Wilesco-Dampfmaschinen-AKW aus dem Jahre 2010. Oder spielen sie das Atomspiel von Factorio. Und vergessen Sie nicht: Atomkraft wird immer gefährlicher, je mehr AKW es gibt. Statistisch platzt alle 25.000 Betriebsjahre eines - bisher wurde die Statistik erfüllt.
Dieses kindisch und unbeholfen wirkende, kleine, aber feine Video zeigt die Realität. Auch wenn es Dr. Anna Veronika Wendland und andere gewandelte Atomkraftgegner*innen nicht wahrhaben werden wollen.