18.12.2020
Ein ungewöhnliches EE-Magazin
Ein Bericht von Götz Warnke
Wer sich in der Gegenwart mit all‘ den Versprechungen und Ankündigungen für die nahe oder etwas fernere Zukunft beschäftigt, der tut gut daran, mal einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Denn dadurch relativiert sich einerseits manches, was heute als kreativ, neu und wichtig beschrieben wird. Andererseits schwinden Hoffnung und Erwartung an die Mitmenschen, Probleme zügig zu lösen oder Innovationen ebenso umzusetzen. Einen guten Dienst als „Rückspiegel“ erweisen uns dabei alte Zeitschriften: Da erfährt man in Dinglers Polytechnischem Journal, dass unsere ach so hippen Inlineskates bereits 1823 erfunden wurden. In der SONNENENERGIE von 1981 liest man den Vorschlag des späteren DGS-Präsidenten Prof. Adolf Götzberger zu Agro-Solaranlagen – die dann 2016 tatsächlich in Angriff genommen wurden –, und begreift, warum es im Energiekonzern-Deutschland mit der Energiewende so langsam voran geht. Und wer in die Ausgabe 22/1979 von "hobby – magazin der technik" blickt, erkennt problemlos, dass die staatlich gestützte Behinderung der Erneuerbaren Energien durch neidisch-“besorgte“ Bürger eine lange, üble Tradition hat: wie bei der Solarenergie 1979 in Bayern, so bei der Windenergie heute in Brandenburg.
Eines dieser zumindest für die Generation Z „uralten“ Magazine sind die „StromTHEMEN – Informationen zu Energie und Umwelt“, welches von der Informationszentrale der Elektrizitätswirtschaft e.V. (IZE) Frankfurt/M. in den Jahren 1984 bis 2000 herausgegeben wurde. Das in der Regel achtseitige Blatt erschien monatlich, und wurde von der IZE kostenfrei versendet. Mag man heute als Förderer der Erneuerbaren Energien beim Stichwort „Elektrizitätswirtschaft“ zusammenzucken, so informierten die Stromthemen doch sachlich, verständlich und vielseitig. Sicher, es fanden sich dort oft auch Beiträge zur Kohle und zur Atomkraft – letzteres, wie das heute z.B. noch bei „Renewables“ in der englischsprachigen Welt (BBC) nicht unüblich ist –, doch allgemeine Themen und der Bereich der Erneuerbaren Energien (EE) nahmen einen breiten Raum ein, und zwar mit deutlich positivem Unterton. Insofern waren die Stromthemen – auch – ein ungewöhnliches EE-Magazin.
Den Erneuerbaren Energien allgemein oder in Kombination haben die Stromthemen im September 1991 sogar ein Extraheft „Die Einsatzchancen erneuerbarer Energiequellen“ gewidmet, dass sich mit dem Endbericht der Enquetekommission des Bundestages von 1990 beschäftigt. Immer wieder wird ausführlich und interessiert über Energie-Kombinationen berichtet: „Sonnen- und Windenergie gemeinsam nutzen“ (8/91) zu einem Projekt der Lech-Elektrizitätswerke auf dem Wendelstein, „Dreimal Umweltenergie im Test auf der Schwäbischen Alp“ (12/90) zu einem Testfeld der Energieversorgung Schwaben (EVS) mit nachgeführter PV plus Boostern/Spiegel, Windkraftanlagen und einem Energiezaun aus Hohl-Aluminium-Profilen. Selbst ein kleines, dezentrales Konzept wie das Wind-Strom-Wasserstoff-Projekt der FH Wiesbaden für ihre Messstation auf dem Kleinen Feldberg/Taunus wird auf einer ganzen Seite gewürdigt (9/88).
Die Sonnenenergie ist von allen EE-Formen am häufigsten vertreten. Ob es nun um das größte PV-Kraftwerk der Welt im süditalienischen Serre oder um den theoretischen Spitzenwirkungsgrad – 43% – der PV (12/94) geht, man beleuchtete ebenso solarthermische Kraftwerke (9/96), solare Straßenleuchten (8/98) oder bifazielle PV-Module (5/96) – stets ist das Thema aussagekräftig beschrieben und bebildert. Bauwerkintegrierte PV-Anlagen (7/91, 5/93, 1/95) sind ebenso schon im Fokus wie solare Lärmschutzwände (9/94), Spheral-Solar-Zellen von Texas Instruments (2/94) oder ein hessischer Pfarrer mit einer 9 m2 PV-Anlage (12/89). Zwar gibt es auch kritische Töne zur PV-Nutzung außerhalb von Netzen – merkwürdiger Weise mit Bezug auf Afrika – wie in „Nutzen und Grenzen der Photovoltaik“ (10/2000), aber der Grundtenor ist positiv. Ja, die Stromthemen gehen bisweilen sogar über das Thema Strom hinaus, etwa wenn sie solarthermische „Solarkocher für Sonnenländer“ vorstellen und deren bessere Effizienz gegenüber Elektrokochern dokumentieren.
Die Wasserkraft wird jenseits der allgemeinen Besprechung der regenerativen Energien recht stiefmütterlich behandelt, auch wenn es heißt „Unter den kleinen ganz groß“ (2/92). Das gilt zumindest für Deutschland. Der Grund hierfür dürfte wohl darin liegen, dass die großen deutschen Wasserkraft-Potentiale erschlossen waren, und die kleineren sich für die Elektrizitätswirtschaft nicht lohnten.
Deutlich mehr Interesse erweckt die Windkraft. Hier werden erhebliche Zukunftspotentiale bei Großanlagen sowie „Klein“-Anlagen (150 bis 300 kW) gesehen, wie solche Titel wie „Windkonverter im Aufwind“ (11/91), „Windkraft im Binnenland“ (8/94) oder „Windkraftboom in Norddeutschland“ (3/95) zeigen. Dabei fällt ein Interesse an Rotoren mit senkrechter Achse wie beim Darreius (u.a. 6/89, 7/90) oder beim H-Rotor auf. Aber auch die Neueröffnung von Windparks wie in Wilhelmshaven (12/89) oder neu entwickelte, ummantelte Turbinen wie die von der neuseeländischen Vortec Energy Ltd. (7/97) werden ins Bild gerückt. Die Artikel sind durchgängig positiv gehalten, auch wenn auf Probleme (Materialermüdung, weniger Volllaststunden im Binnenland) hingewiesen wird.
Geothermie findet sich einerseits als interessantes Erbe der DDR unter „Top secret, jetzt öffentlich“ (11/90) oder als „Erdwärme aus Süddeutschland“, wobei in daneben in einem kleineren Artikel auf die „Geo-Strom“-Projekte in den USA verwiesen wird. (6/92).
Bioenergie und Speicher spielen eine Randrolle. Das liegt natürlich daran, dass die Bioenergie eher kleinteilig genutzt wird (Holzöfen, bäuerliche Biogasanlagen) und ein fossil-atomares Energiesystem kaum weiterer Speicher bedarf. Dennoch finden sich auch in diesem Segment immer wieder Berichte, etwa „Algen als Energiespender“ (4/93) über die Arbeiten an der Universität Bristol oder „GKM macht den Lokomotiven Dampf“ (6/92) über Dampfspeicherloks beim Großkraftwerk Mannheim. Auch verschiedene Berichte über Versuche mit Wasserstoff gehören hierher.
Immer wieder mal wird auf Energieformen verwiesen, die sich (noch) gar nicht nutzen lassen, wie z.B. die Energie von Erdbeben, die weltweit mit 3 Billionen kWh dem jährlichen Energieverbrauch der USA entspreche (12/89).
Schließlich darf die Elektromobilität nicht fehlen, was nicht nur die Wuppertaler Schwebebahn (11/91) betrifft. Die Solar-Tankstelle für „Messeblitze“ auf der Hannover-Messe (7/88) ist ebenso ein Thema wie Elektro-Fahrräder und -Mofas oder der Solarflieger Icare´ (8/96). E-Autos sind nicht etwa ein Randthema, sondern sie wurden offensiv beworben: Von „Freie Fahrt fürs Elektromobil?“ (7/90) über „Elektroautos sind umweltfreundlich“ (10/91) bis zu „Bisher nur Elektroautos emissionsfrei“ (3/98) reicht die meist mehrseitige, inhaltlich sachliche Berichterstattung. Dabei weiß auch die IZE, dass der Weg zum E-Auto ein „Langstreckenrennen“ ist: „In Deutschland immer noch ein seltener Anblick: 4.400 Elektroautos auf unseren Straßen“ titeln fast bedauernd die Stromthemen 2/95, um dann auszuführen: „Nach Berechnungen der Stromversorger können in Deutschland bis zu 10 Millionen Elektrofahrzeuge betrieben werden, ohne dass neue Kraftwerke gebaut werden müssten, wenn diese hauptsächlich nachts ‚aufgetankt‘ werden.“ Dies sei allen heutigen Bedenkenträgern ins Stammbuch geschrieben, die meinen, wegen der E-Mobilität würden die Stromnetze zusammenbrechen oder exorbitant ausgebaut werden müssen.
Schließlich ist die Klimakrise ein Thema, das man hier gar nicht erwarten würde. Nicht nur haben die Stromthemen bereits in der Ausgabe 9/89 das Buch „Das Ende des blauen Planeten?“ von Crutzen/Müller ausführlich besprochen („Klimakollaps: Gefahren und Auswege“), sondern sie schreiben auch ca. ein halbes Jahr später in der 2/90 unter dem Titel „Der Mensch dreht am Thermostat der Natur“: „Über den zusätzlichen Treibhauseffekt und seine Folgen für unser Klima wissen die Menschen nicht erst seit gestern Bescheid. Auch die StromTHEMEN haben diese wichtigen Fragen immer wieder aufgegriffen. Erinnert sei an die frühen Vorträge des verstorbenen Veba-Chefs Rudolf v. Bennigsen-Foerder, der mit seiner Forderung nach ‚Alternativen zum fossilen Feuer‘ eindrucksvoll eine Lanze brach für das wachsende Problembewusstsein.“
Alle diese Erkenntnisse – und das vor 30 Jahren!
Fazit
StromTHEMEN waren ein gut gemachtes, informatives und kostenloses Magazin mit einem hohen Anteil an EE-Themen. Liest man heute die Beiträge, so fallen vor allem zwei Dinge auf:
1. Die Langsamkeit und das Kurzzeitgedächtnis der Menschheit angesichts der drängenden Probleme. Das Erstere ist aus dem o.a. evident. Für das Kurzzeitgedächtnis ein kurzes Beispiel: Das an sich sehr sinnvolle Konzept des Solarautos Sion hat bei einigen E-Autofans als vermeintlich disruptive Innovation einen geradezu kultischen Status. Dabei wird übersehen, dass es ein solches Konzept längst schon gab: den Pöhlmann ELSolar von 1984, über den auch die Stromthemen u.a. in 10/91 berichteten. Der kooperierende Energiekonzern RWE wollte das Fahrzeug bauen lassen, fand aber dafür in der (deutschen) Autoindustrie keinen Partner.
2. Das Verhältnis der Stromkonzerne zu den EE. Blickt man in die Stromthemen, so scheint dieses Verhältnis relativ entspannt gewesen zu sein – so ganz anders, als es sich heute beim Kampf um die Energiewende darstellt. Der entscheidende Unterschied ist, dass damals die EE noch nicht die Systemfrage (Solarstrom statt Kohlestrom) stellten. In Vor-EEG-Zeiten wurden die Erneuerbaren von den Stromkonzernen eher als Additiv, als zusätzliches Geschäftsfeld gesehen, was sich z.T. – siehe Offshore-Wind! – auch bewahrheitet hat. Für die Stromversorger boten die von ihnen betriebenen EE-Anlagen die Möglichkeit, die eigenen CO2-Emissionen herunter zu rechnen, und sich selbst als innovativ und weltoffen darzustellen. Zudem konnten EE als Schlüssel zu neuen Geschäftsfeldern dienen: die Wärmepumpe zum „Wildern“ im Markt der Gasversorger, das E-Auto als Einbruch in den Markt der Mineralölkonzerne. Da spielte ein wenig fremderzeugter PV-Strom vom Pfarrhausdach oder von der E-Auto-Fronthaube keine Rolle.