06.11.2020
Ja wo wird er denn erzeugt? Meine Rundreise zum nicht immer grünen Wasserstoff
Ein Erlebnisbericht von Heinz Wraneschitz
Wasserstoff, immer wieder Wasserstoff. Gleich zweimal war ich in dieser Woche bei Online-Veranstaltungen dabei, die das chemische Element mit der Ordnungszahl 1 zum Inhalt hatten. Eine neue Studie habe ich mir auch noch angeschaut. Und ständig hatte ich das Gefühl, ich bin im falschen Film.
Ja, natürlich ist Wasserstoff (H2) ein Super-Energieträger. Denn wenn er katalytisch oder "normal" verbrennt, wird kein CO2 freigesetzt wie bei Benzin, Erdgas, Kohle: Aus 2H2 plus O2 (Sauerstoff) wird H2O (Wasser) plus Energie. Doch woher den Wasserstoff nehmen? Anders als besagte Fossilien kommt H2 in der Natur normalerweise nicht vor; man muss ihn also erst einmal herstellen. Und zwar genau in der Rückwärtsrichtung: Aus H2O wird unter Zuführung von Energie (z.B. aus Strom) 2H2 plus O2. Elektrolyse nennt man das kennt jeder Mensch aus dem Physikunterricht, 4. Klasse oder so. Alternativ wird H2 auch schon mal bei Chemie-Prozessen als Nebenprodukt frei. Aber Energie muss auch dafür aufgewendet werden.
Strom haben wir eigentlich hierzulande noch genug. Auch um H2 zu erzeugen. Doch damit H2 auch wirklich "Grün" ist, muss der Strom ebenfalls diese Farbe haben. Gut, inzwischen stammt die Hälfte der hiesigen Strommenge aus Sonne, Wind, Wasser, Fäkalien. Aber Überschuss? Den könnten wir aktuell höchstens dann abgreifen, wenn die Grundlast aus - nein, es heißt, sie seien nicht dreckig - Kohlekraftwerken die Übertragungsnetze von Nord nach Süd verstopfen und so die Windkraftwerke im Norden und Osten der Republik www.eihrer Einspeisemöglichkeiten berauben.
Wohin mit zu viel Ökostrom?
Dieser Öko-Überschussstrom wird aber heute bereits zu großen Teilen anderweitig verkocht: in riesigen Warmwasserspeichern von Fernwärmenetzen zum Beispiel. Power to Heat (P2H) nennt sich das. Ist ökologisch sinnvoll. Und für die Nutzer lukrativ. Denn die bekommen oft sogar noch Geld für dieses Wasserkochen, wenn der Börsenstrompreis gerade unter Null ist.
Ob das bis zu Jörg Müller durchgedrungen ist, weiß ich nicht. Jedenfalls hat der Vorstandsvorsitzende der Enertrag AG am Mittwoch steif und fest behauptet: "Überschussstrom, den wir sonst nicht nutzen können, dürfen wir nicht abregeln, sondern wir machen künftig H2 draus." Und völlig anders als die Stromanstiegsprognosen von Wissenschaft und Politik bei gleichzeitigem Ende von Atom- und Kohlekraftwerken sagt der Enertrag-Boss voraus: "Der Stromverbrauch durch die Elektrifizierung der Energieverbräuche wird gar nicht sehr hochgehen."
Glaubt man Müllers Mitarbeiter Tom Lange, bei Enertrag für die strategische Projektentwicklung zuständig, dann brauche man lediglich "Investoren, die bereit sind, Risiken zu tragen", und schwuppdiwupp sei die Grün-H2-Produktion gewuppt. Aber halt, ein paar kleine Einschränkungen macht Lange dann doch noch: "Ein wesentlicher entscheidender Punkt: Der Absatz. Jemand muss bereit sein, diesen Grün-H2 zu nutzen. Und ein langfristiger Liefervertrag ist notwendig." Fast nix, diese Bedingungen?
Wohin mit der Erzeugung?
Dagegen haben sich Bundesverband (BEE) und Landesverband Erneuerbare Energien Nordrhein-Westfalen (LEE) die Regierungs-Planzahlen für Grünen H2 genauer angeschaut. In der Nationalen Wasserstoffstrategie stehe lediglich, "wir wollen in Deutschland Grünen H2 in großem Stil konsumieren. Jetzt muss auf die Agenda, ausschließlich Grünen H2 zu fördern und ihn dann auch hier zu produzieren", erklärte BEE-Präsidentin Simone Peter am Dienstag anlässlich der Vorstellung einer neu erstellten Studie der beiden Verbände. Die bewertet Vor- und Nachteile von H2-Importen im Vergleich zur heimischen Erzeugung.
"Der starke Fokus auf Importe verschleiert den Blick auf den schleppenden Ausbau der Erneuerbaren Energien (EE) in Deutschland." Christian Mildenberger, der Geschäftsführer des LEE legt den Finger genau in die zwei tiefsten Wunden der Nationalstrategie. Frank Merten, einer der Studienmacher vom Wuppertal-Institut, nennt dazu Zahlen: Den in absehbarer Zeit "erwarteten H2-Bedarfen von 110 TWh stehen gerade mal 14 TWh Erzeugung daheim entgegen". Nicht nur in Marokko, einem der Länder, auf deren Kooperation die Bundesregierung setzt, würde H2-Export die lokale Energiewende behindern, ist Merten sicher.
Genauso sei aber die Konzentration von Elektrolyseuren im Norden Deutschlands ein Trugschluss: Ja, den aktuell dort abgeregelten Windstrom könne man schon heute in H2 umwandeln. Aber besser sei, so Yann Girard, Studienmitautor von DIW Econ, EE-Erzeugung wie Elektrolyseure übers Land zu verteilen, möglichst dorthin, wo auch der Bedarf für H2 bestehe. Das sei gerade für die Volkswirtschaft gut: " Je mehr H2 hier erzeugt wird, umso mehr EE-Bedarf." Eine jährliche Wertschöpfung von 25 Mrd. Euro 2050 hat Girard errechnet, und Beschäftigung für bis zu 650.000 Menschen. Was dafür notwendig ist? Christian Mildenberger: "Wind und PV entfesseln, dann ist die Wirtschaftlichkeit schnell erreicht." In etwa das Gegenteil dessen also, was die Regierung im neuen EEG möglich macht und in der H2-Strategie will.
Auroras Goldgräbertraum
Laut Richard Howard ist Deutschland in Europa derzeit der attraktivste Markt für die H2-Entwicklung, vor den Niederlanden, Großbritannien, Frankreich und Norwegen. Der Forschungsdirektor bei Aurora Energy Research meint, unser Land sei "Vorreiter für die aufstrebende H2-Wirtschaft in Europa". Denn hier gebe es "ein unterstützendes politisches Umfeld" eine hohe H2-Nachfrage aus der Industrie, und eine "wachsende Stromerzeugung aus EE. Die könnte für die H2-Produktion genutzt werden." Aurora hat eine Studie über den europaweiten Wasserstoffmarkt geschrieben.
Doch es ist nicht alles Grün, was sich mit H2-Plaketten schmückt: Das "ebenfalls große Potenzial" der Niederlande, Großbritanniens (GB) und Norwegens liege bei "grünem als auch blauem Wasserstoff", also nicht CO2-freiem. Der Grund: "Alle drei Länder haben eine lange Geschichte der Erdgasproduktion und verfügen über ein erhebliches Potenzial für die CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS)." Gerade in GB "werden bereits mögliche Geschäftsmodelle und Förderprogramme für CCS und H2 diskutiert." Also aus den Augen, aus dem Sinn mit dem vermaledeiten CO2 aus der gasbasierten H2-Produktion.
"H2 hat das Potenzial, in Europa ein wichtiger Bestandteil der Energieversorgung zu werden." Für dieses "Fazit" hätte Esser keine Studie erarbeiten lassen brauchen. Neben weniger Treibhausgasen "ergibt sich auch ein interessanter Markt mit erheblichem Volumen. Allerdings erfordert der Aufbau einer H2-Wirtschaft die frühzeitige Unterstützung von Regierungen, systematische Änderungen des Energiesystems und erhebliche Investitionen des Privatsektors. Daher gilt es jetzt, die zunehmende Begeisterung für H2 in die richtigen Bahnen zu lenken und den Schwung mitzunehmen", gehen Essers Allgemeinplätze weiter.
Scheinbar geht es in der Aurora-Studie vor allem um Kohle, also ums Klingeling, nicht aber um eine echt CO2-freie Wirtschaft. Bei der aber hätte H2 als speicherbarer Energieträger eine wichtige Rolle im Zusammenspiel mit den EE inne. Doch wenn schon die Fragen nach den Elektrolyse-Standorten und der Art der H2-Erzeugung umstritten sind, könnte der Goldgräberstimmungstraum von Aurora und der anderen H2-Markt-Fans bald ein alpiges Ende haben. Genau so wie meine H2-Rundreise durch diese Woche.