18.09.2020
Pioniere der Erneuerbaren Energien 1: Ehrenfried Walther von Tschirnhaus
Ein Bericht von Götz Warnke
Die Erneuerbaren Energien sind weder plötzlich vom Himmel gefallen noch sind sie das Produkt unbekannter Erfinder nach einer durchzechten Nacht. Sie sind das Ergebnis unzähliger Einzelinnovationen von einer Vielzahl von Menschen, die heute - stets zu Unrecht - mehr oder minder vergessen sind. Diese Pioniere der Erneuerbaren Energien aus dem Halbschatten der Geschichte ins fachöffentliche Bewusstsein zu ziehen, ist der Sinn dieser Serie. Die entsprechenden Beiträge werden in unregelmäßigen Abständen und ohne chronologische Reihenfolge der Personen erscheinen. Auch stellt die Reihenfolge keine Rangfolge der technisch-wissenschaftlichen Leistungen der entsprechenden Personen dar.
Ehrenfried Walther von Tschirnhaus (1651-1708)
Das 17. Jahrhundert war für weite Bevölkerungskreise von einem starken äußeren Zwang zur gesellschaftlichen Konformität geprägt: den Lebensrhythmus prägten - viel stärker als heute - die Jahreszeiten, den Lebenslauf die Ständegesellschaft. Handwerk sowie Technik waren weitgehend durch die Zünfte reglementiert. Wer in einer solchen Gesellschaft eigene Wege gehen und innovativ sein wollte, der musste eher zu den höchsten Ständen der Gesellschaft wie z.B. der Aristokratie gehören. Ehrenfried Walther von Tschirnhaus wurde als Sohn eines kurfürstlich sächsischen Hofadeligen geboren, drei Jahre nach Ende des verheerenden Dreißigjährigen Krieges, in einem Gebiet östlich der Neiße, in dem der Krieg auch eigenwillige, querdenkende Gruppen außerhalb des theologischen Mainstreams zurück gelassen hatte.
Obgleich nur siebtes Kind des kursächsischen Hofrats Christoph von Tschirnhaus, durfte er standesgemäß an einer Universität Rechtswissenschaften studieren; Tschirnhaus entschied sich für die Universität Leiden (1669-74). Diese erste niederländische Universität war allerdings ein Hort von Querdenkern und Innovatoren: viele bedeutenden Denker wie Hugo Grotius, Baruch de Spinoza und Christiaan Huygens hatten dort studiert, andere wie der Mediziner Franz de le Boë oder der Theologe Christoph Wittich, ein Anhänger der Philosophie Descartes, lehrten dort. In dieser Zeit des Aufbruchs der Naturwissenschaften verließ Tschirnhaus bald die eher festgefahrene Jurisprudenz und widmete sich dem wissenschaftlichen Neuland. Für seine künftige Entwicklung wichtig wurde der Mathematikunterricht bei Professor Pieter van Schooten, ebenfalls einem Anhänger Descartes, der auch ganz praktisch Militäringenieurwesen an der Ingenieurschule Leiden unterrichtete. Hier dürfte die Basis für Tschirnhaus spätere praktisch-wissenschaftliche Arbeiten gelegt worden sein.
1674 kehrte Tschirnhaus aufs väterliche Gut Kieslingswalde zurück, nicht ohne die Verbindung zu holländischen Gelehrten wie Baruch de Spinoza per Briefkorrespondenz zu halten. Doch kein Jahr später brach er erneut auf - zur für junge Adlige üblichen "Kavaliersreise" quer durch Europa (1675-79). Zuerst ging es nach London, wo ihm die Empfehlung von Spinoza die Türen der Royal Society und zu den führenden britischen Wissenschaftlern öffnete. Mit einer Empfehlung vom Sekretär der Royal Society reiste er dann nach Paris zu Gottfried Wilhelm Leibniz und Christiaan Huygens, wobei letzterer ihn als Hauslehrer für den Sohn des Finanzministers Colbert empfahl. Da Colbert Initiator der Académie des Sciences war, hatte Tschirnhaus nun auch beste Kontakte zur Creme der französischen Wissenschaftler. Und so konnte er in Paris an Versuchen mit Brennspiegeln teilnehmen, später sogar in Lyon mit dem Brennspiegel-Erfinder François Villette (1621-1698) zusammenarbeiten. Weitere Brennspiegel sah Tschirnhaus in Italien: Einerseits in der barocken Wunderkammer des Geistlichen Manfredo Settala (1600-1680) in Mailand, andererseits in der noch berühmteren Wunderkammer Museum Kircherianum in Rom, wo er auch den Hausherren, den deutschen Jesuiten und Universalgelehrten Athanasius Kircher traf.
Zurück auf Gut Kieslingswalde begann Tschirnhaus selbst, Brennspiegel anzufertigen. Dazu entwickelte er ein neues Verfahren: Statt die sphärischen Spiegel aufwändig zu gießen, hämmerte er die Form aus vorgefertigten Kupferblechen mit Hilfe eines Holzrahmens. Zwischen 1679 und 1687 produzierte er so eine unbekannte Anzahl von Brennspiegeln, von denen der größte Teil in die Wunderkabinette deutscher Fürsten gelangte. Doch das war nicht das eigentliche Ziel von Ehrenfried Walther von Tschirnhaus: Er nutzte vielmehr die hohen Temperaturen, die er mit seinen Brennspiegeln erreichen konnte (bis ca. 1.400°C), für Experimente zur Herstellung von Keramiken, die letztlich im 18. Jahrhundert zur Neu-Erfindung des Porzellans zusammen mit Johann Friedrich Böttger führten.
Ab 1687 beschäftigte sich Tschirnhaus dann mit der Herstellung von kombinierten Brennlinsen, die ebenfalls zu Schmelz- und Brennversuchen dienen sollten. Mit ihnen soll er sogar Temperaturen bis ca. 1.500°C erreicht haben. Das Problem dabei war die rissfreie Abkühlung großer Glasmassen und deren anschließender präziser Schliff. Dafür wurde extra auf Gut Kieslingswalde Glashütten und eine per Wasserkraft betriebene Schleifmühle installiert. Tschirnhaus wurde daneben von den sächsischen Kurfürsten immer wieder für wichtige Projekte im wissenschaftlich-technischen Bereich eingesetzt. 1708 starb er viel zu früh an einer Ruhr-Epedemie.
Tschirnhaus Arbeit wirkte über seinen Tod hinaus fort - nicht nur in der durch seine Versuche möglich gewordenen Neu-Erfindung des Porzellans. Insbesondere seine Brennspiegel und Brennlinsen führten dazu, dass Dresden im frühen 18. Jahrhundert ein Solarzentrum war. Andreas Gärtner (1654-1727), ab 1694 Hofmechanikus in Dresden, baute mehrere Parabolspiegel, darunter einen von 3,19 Metern Durchmesser aus Holz mit Blattgold-Auflage, mit denen er nicht nur Dinge verbrannte oder schmolz, sondern auch Eier, Fische, Hühner und Würste briet. Ebenso entwickelte Gärtner das Modell eines parabolischen Wundergartens mit heißen, gemäßigten und kühlen Zonen für Früchte aus allen Ländern Europas. Einer der Nachfolger Gärtners als Hofmechanikus, Peter Hoesen, entwickelte ebenfalls einen großen Brennspiegel.
Die Aktualität der Arbeiten von Tschirnhaus zeigt sich heute in den meist französischen Solarschmelzöfen (siehe Artikel "La Chaleur Solaire: Gestern und heute" in der SONNENENERGIE 1|20) oder im Solar-Sinter-Projekt deutsche Produktdesigner Markus Kayser. Ehrenfried Walther von Tschirnhaus kann somit als der Pionier der Concentrating Solar Power (CSP) gelten.