07.08.2020
Ein Bundesnetz-Umweltbericht gibt zu denken
Ein kommentierende Analyse von Heinz Wraneschitz
„Der Ausbau des Höchstspannungsübertragungsnetzes ist von entscheidender Bedeutung für den Erfolg der Energiewende.“ Ganz klar bekennt sich die Bundesnetzagentur (BNetzA) gleich im ersten Satz der Kurzfassung „Fact Sheet Bedarfsermittlung 2019 – 2030“ zu 3.600 km geplanten Stromtrassen-Neu- und Ausbau. Anlässlich ihrer „Strategischen Umweltplanung“ SUP hat die BNetzA einen dicken Umweltbericht dazu geschrieben.
Darin steht, wie die Genehmigungsbehörde beim Netzausbau mit dem Natur- und Umweltschutz umgehen will. Die menschliche Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt, Klima und Landschaft, aber auch das so genannte kulturelle Erbe und einiges andere mehr hat der Bundestag im „Gesetz zur Umweltverträglichkeitsprüfung“ (UVPG) als schützenswert erklärt. Doch darf dann überhaupt eine der vielen neu geplanten Hochspannungstrassen, vor allem jene besonders umstrittenen für Gleichstromtransport (HGÜ), gebaut werden? Immerhin sollen die Leitungen über Berge, unter Feldern, quer durch Deutschlands blühende Landschaften geführt werden – darunter solche, die ganz besonders geschützt sind? Und überall leben Menschen, Tiere, Pflanzen.
Grundsätzlich geht das, sagt die BNetzA, denn man vergleiche ja Alternativen miteinander, stelle „Vorschlagsvarianten und anderweitige Planungsmöglichkeiten gegenüber. Nach dem Prinzip einer Rangbildung werden die Vergleichsparameter untereinander bewertet“, erläutert die Behörde. Die wiederum gehört zum Bundesministerium für Wirtschaft BMWi: Das allein ist für die EU-Kommission Grund genug, die Unabhängigkeit der BNetzA anzuzweifeln. Weshalb sie Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof verklagt hat.
Rein mathematische Bewertung?
Wie geht die BNetzA bei der SUP vor? Sie zählt einfach die Rangplätze mehrerer selbst definierter Kriterien zusammen: „Die Alternative mit der niedrigsten Rangsumme ist aus Umweltsicht als vorzugswürdig zu beurteilen, weil mit den vergleichsweise geringsten voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen zu rechnen ist.“ Wie hoch die in jedem Einzelfall ist, spielt bei dieser rein mathematischen Bewertung der „Konfliktrisikodichte der einzelnen Schutzgüter“ keine erkennbare Rolle.
Originalplanungen und Alternativen
Im gesamten Verlauf der Planungen werden Alternativen ge- und untersucht, um die gröbsten – in der SUP „erheblich“ genannten – Umweltauswirkungen zu verhindern. Das können entweder „einzelne Maßnahmen“ sein, also die örtliche Verlagerung der Trasse; jedoch „werden auch alternative Gesamtpläne betrachtet“, so die BNetzA. Doch die Behörde schränkt die Alternativenprüfung deutlich ein, und zwar auf „vernünftige Alternativen aus dem Netzentwicklungsplan“. Die wiederum wurden „von den Übertragungsnetzbetreibern (ÜNB) vorgeschlagen“: So steht es auf Seite 331 in Teil 1 des SUP-Berichts. Zu sehen an der „Maßnahme DC5“, dem südlichen Teil der „Süd-Ost-Link“ genannten Hochspannungsgleichstromleitung HGÜ von Nord nach Süd. Die Verbindung zwischen Wolmirstedt (Sachsen-Anhalt) und dem Atomkraftwerk Isar (Bayern) wurde von Beginn an dafür favorisiert. Bei der wie auch anderen Trassen zeigt der „Gesamtplan Freileitung“ viele Flächen mit grüner oder gelber Farbe: „Mittleres bis geringes oder gar kein erhöhtes Konfliktrisiko“ bedeuten diese Markierungen.
Im „Gesamtplan Erdkabel/Seekabel“ dagegen chargieren große Flächen oft zwischen Gelb, Orange und Rot. Das bedeutet laut BNetzA: Wenn die Leitungen unterirdisch verlegt werden ist dort das „schutzübergreifende Konfliktrisiko mittel über hoch bis sehr hoch“. Dennoch ist Erdverkabelung für einen Großteil gerade der HGÜ-Trassen vorgesehen. Von der laut „Gesamtplan Freileitung“ auch auf der Süd-Ost-Link-Strecke farblich sichtlich umwelt-günstigeren Variante ist in der SUP überhaupt nichts zu lesen.
Bei der Kabelvariante Wolmirstedt-Isar haben sich in der SUP 63.581 „Konfliktrisikopunkte“ (KRP) ergeben. Auf der etwas kürzeren Strecke von Lauchstädt (Sachsen) nach Meitingen (Baden-Württemberg), der „Al1-DC5“ wurden aber „nur“ 46.152 KRP gefunden. Also hätte Lauchstädt-Meitingen eigentlich vorne gelegen bei der möglichen Baudurchführung. In den Steckbriefen von SUP-Teil 2 ist ganz genau aufgelistet, wie sich alle Leitungen oder Kabel („Maßnahmen“) auf die Umwelt auswirken – wenn sie denn gebaut werden. Hier ist die Ursprungsvariante „DC5“, also Wolmirstedt-Isar (533 km) mit „h“ bewertet, der zweithöchsten von fünf Stufen möglicher Umweltauswirkungen. In genau derselben Stufe „h“ landet die Alternative Lauchstädt-Meitingen (425 km).
Doch allen KRP-Punkten zum Trotz: die BNetzA hat sich für Wolmirstedt-Isar entschieden, für die längere Variante des Süd-Ost-Link. Die selbst gegebenen Richtlinien ließen das zu: „Beträgt die Differenz der Rangplatzsumme weniger als zwei, sind die entsprechenden Maßnahmen als ebenbürtig anzusehen. Aus Umweltsicht kann in diesem Fall kein Vorrang begründet werden.“ DC5 hatte die Rangsumme „5“, AL1-DC5 die „4“ erhalten.
Und so stellt die BNetzA in ihrer „Bedarfsermittlung 2019 – 2030“ klar, nicht alles könne für alle zufriedenstellend geklärt werden: „Besonders dann, wenn gar nicht um Tatsachen oder Zusammenhänge gestritten wird, sondern verschiedene Menschen, Interessensgruppen und Institutionen naturgemäß zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen und auch gegensätzliche Meinungen vertreten.“
So ist es beispielsweise in Nordbayern. Eine Tochter der N-Ergie betreibt in Teilen Ober- und Unterfrankens, der Oberpfalz und Oberbayerns das Verteilnetz, also die Spannungsebenen von 400 bis 110.000 Volt. Zu dieser Region steht in der „Bedarfsermittlung 2019 – 2030“ der BNetzA: Sie „bräuchte, um ihren Jahresenergiebedarf von ca. 19 TWh zu decken, 3.000 Windräder der 3 MW-Klasse“ und für eine dreiwöchige „Windflaute“ Speicher für 1,1 TWh Strom. „Eine solcher für Deutschland typischer Ballungsraum kann den nötigen Strom „dezentral“ (im Sinne von „autark“) weder regenerativ produzieren noch speichern“, schreibt die BNetzA.
Aus dem Umfeld der N-Ergie heißt es dazu, dass in diese Bewertung nicht nur Wind-, sondern der ganze Energiemix mit Sonnen- und Bioenergie hätte einfließen müssen. Außerdem fehle eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung der Kosten. Dann könnte der Ausbau der erneuerbaren Energiegewinnung in der Fläche die, wie durch Studien nachgewiesen, insgesamt günstigere Alternative sein. Doch dagegen sträuben sich seit Jahren ÜNB, BNetzA und BMWi unisono. Mehr Leitungen – mehr Durchleitungsgebühr? Die macht heute schon einen erheblichen Teil des Strompreises aus. Zahlen muss diese Zeche vor allem der ganz normale Stromkunde.
Und so bleibt als Fazit: Die Strategische Umweltprüfung SUP der Bundesnetzagentur alleine löst beileibe nicht alle Probleme um den Höchstspannungsnetzausbau.
Umweltbericht – was ist das?
Der Umweltbericht zum „Netzentwicklungsplan Strom 2019 – 2030“ besteht aus fünf Drucksachen. Der Umweltbericht selbst ist schon einmal zweigeteilt: Teil 1 enthält die „Strategische Umweltprüfung SUP“ selbst; in Teil 2 „Steckbriefe" werden die voraussichtlichen erheblichen Umweltauswirkungen der einzelnen Maßnahmen des Plans dokumentiert, also der Vorschlagsvarianten und – sofern vorliegend – der Alternativen zu diesen Vorschlagsvarianten bewertet“. Zwei Karten zeigen die „Übersichten über die Untersuchungsräume und die Konfliktrisiken“ für den Freileitungs- sowie den Erdkabel/Seekabel-Bau. Im „Fact Sheet zur SUP“ sind wesentliche Ergebnisse zusammengefasst. Insgesamt ist der Umweltbericht fast 1000 Seiten stark.