31.07.2020
PtX: Wunsch und Wirklichkeit
Ein Bericht von Götz Warnke
Seit die Bundesregierung ihre Wasserstoff-Strategie verkündet hat, ist Power to X (PtX) – natürlich nur verbal, nicht real – in aller Munde. Von Wasserstoff (H2) als der einfachsten PtX-Form über gasförmiges Methan (CH4) bis zu flüssigem Methanol (CH3OH) und, und, und.
In den Augen der Befürworter ist PtX so etwas wie die Lösung aller Energieprobleme, denn was soll es nicht alles können: Den Flugverkehr dekarbonisieren, Verbrennungsmotoren mit „sauberem“ Treibstoff versorgen und so die alte deutsche Autoindustrie retten, unsere Häuser statt mit Erdöl beheizen, die Chemie- und Stahlindustrie unabhängig von Fossilenergien machen etc. Und so herrscht Begeisterung auf breiter Front: von den wichtigtuerischen Börsengurus, die H2 hypen und schon seit langem den Absturz des bösen, weil erfolgreichen Elon Musk prophezeien („Tesla taumelt“), bis zu den deutschen Bundesregierungen, die die Energiewende seit Jahren torpediert haben, und dennoch immer verzweifelter den Weg zwischen dem Wunsch nach Wiederkehr der alten Energiewelt (mächtige Energieerzeuger, abhängige „Verbraucher“) und den drückenden Problemen der Klimakrise suchen. Während viel von den rosigen Chancen geredet wird, herrscht bezüglich der Effizienz der Verfahren weitgehendes Schweigen und ein auffälliges Hin-und-her zwischen grünen, blauen und grauen Wasserstoff.
Nun hat das Umweltbundesamt (UBA), das dafür bekannt ist, nicht immer die Märchenstunden unserer Regierung nur brav abzunicken, einen Forschungsbericht „Systemvergleich speicherbarer Energieträger aus Erneuerbaren Energien“ vorgelegt, den die Dessauer beim ifeu – Institut für Energie- und Umweltforschung/Heidelberg, beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt/Stuttgart und bei Joanneum Research/Graz in Auftrag gegeben hatten. Was in der Konstellation UBA – Bundesregierung sicherlich kein Fehler ist.
Ansatz
Bezug nehmend auf die Pariser Klimaziele und die daraus resultierenden Treibhausgas-Minderungsanforderungen untersucht die Studie die „Bereitstellungspfade für Wasserstoff, synthetisches Erdgas sowie synthetische flüssige Kohlenwasserstoffe auf Basis von Biomasse und Strom aus Erneuerbaren Energien“ in einem mehrstufigen Analyse-Verfahren. Dabei werden folgende Produkte mit ihren jeweiligen, oft verschiedenen Herstellungs-Verfahren in die Untersuchung einbezogen: Wasserstoff, flüssige Kohlenwasserstoffe aus der Fischer-Tropsch-Synthese, Methanol, sowie Synthetisches Erdgas und Biomethan. Strom aus Erneuerbaren Energien, Kohlenstoff aus erneuerbaren (Biogas-Anlagen) wie nicht-erneuerbaren Quellen (Industrieproduktion), und verschiedene Arten von Biomasse gehören ebenfalls zum Untersuchungsszenario.
Standortfaktoren
Technologisch-strategisch entscheidende Faktoren für die PtX-Produktion sind die Verfügbarkeit von Strom, Kohlenstoffen (auch aus Biomasse) und Wasser. Als geographischer Raum zur PtX-Erzeugung oder zumindest als Stromlieferant wird dabei Europa, Nordafrika und der Nahen Osten (EUMENA) betrachtet – die Analyse beschränkt sich hier also nicht auf Deutschland. In der EUMENA-Region sind Strom Wind, PV und CSP hinreichend vorhanden. Biogene CO2-Ausgangsstoffe in Form von Biomasse, Abfall-/Reststoffe sowie Anbaubiomasse sind in Deutschland/EU vorhanden bzw. können in begrenztem Umfang importiert werden. CO2 aus Industriequellen (Erdölraffinierung, Stahlproduktion) dürfte künftig zurück gehen (CO2-freie Wirtschaft) – bis auf die Zementherstellung. CO2 aus Biogas-Anlagen (Abscheidung) ist nur bei größeren Anlagen sinnvoll.
Ergebnis einer ersten Standortanalyse ist, dass überall im EUMENA-Raum genügend Strom erzeugt werden kann, so dass beim Abscheiden von CO2 aus der Luft überall synthetische Kraftstoffe produziert werden können, wobei in der trockenen MENA-Region Wasser per Meerwasserentsalzung extra bereitgestellt werden muss. Biogene Ausgangsstoffe finden sich vor allem in der EU. Relevante CO2-Mengen können die Zementindustrien quer durch EUMENA liefern, d.h. insbesondere auch Iran, Saudi-Arabien und VAE.
Die PtX-Herstellung ist also im gesamten Großraum möglich. Ob dann auch alle Regionen dieses Großraums unsere Energieversorgung mit entsprechender Zuverlässigkeit bedienen (Versorgungssicherheit), ist eine Frage, die hier nicht gestellt wurde.
Ökobilanzierungskriterien
Hier fließen folgende Faktoren ein: Eine quantitative sowie qualitative Analyse der ausgewählten Bereitstellungspfade unter Umwelt- und Ressourcengesichtspunkten und in Anlehnung an die entsprechende ISO-Normen. Als funktionelle Einheit wurde 1 MJ angenommen für die ausgewählten Energieträger Wasserstoff, Fischer-Tropsch-Kraftstoff, Methanol, Synthese-Erdgas, sowie Biomethan, welche mit fossilen Referenzprodukten verglichen wurden. Als geographischer Bilanzpunkt wurde eine gedachte Tankstelle oder ein ebensolcher Gasanschluss in der Mitte Deutschlands angenommen. Als zeitliche Achsen wurden die Jahre 2015/Gegenwart, 2030 und 2050 gewählt. Dazu werden umfänglich die System-/Betrachtungs-Grenzen (S. 21) definiert wie Bereitstellung elektrischer Energie inkl. Übertragungsverlusten, oder Vorketten sämtlicher Materialien, die in den PtX-Prozessen eingesetzt werden. Unverständlich bleibt hier die Einschränkung: „Nicht eingeschlossen in den hier genannten Systemgrenzen sind die am Lebensende des Produktes entstehenden Emissionen und Abfälle – mit Ausnahme des im Produkt gebundenen Kohlenstoffs als CO2.“ Hier hätte man die Systemgrenze durchaus weiter fassen können.
Die Annahmen zur Struktur des künftigen Industrie- und Energiesystems beruhen im Wesentlichen auf dem Green-Szenario „GreenEe1“ der RESCUE-Studie des UBA, also z.B.: 100% EE, hohe Rezykling-Quoten, hohe Energieeffizienz in 2050.
Dazu kommen weitere Festlegungen/Annahmen wie die Nutzung der bei den Prozessen freigesetzten Wärme, die Volllaststunden-Zahl der Syntheseanlagen, der Transportarten, sowie die Zuweisung (Allokation) der Bilanzierung von Nebenprodukten, Teilmengennutzungen etc. Die Transportannahmen wirken dabei z.T. ein wenig holzschnittartig (Energie für LKW-Transport 2050 aus Fischer-Tropsch-Kraftstoffen), dienen aber der Vereinfachung/Handhabbarkeit der Analyse.
Wichtig für eine umfängliche Ökobilanz ist die Vielzahl der Wirkungskategorien/-indikatoren der PtX-Verfahren: Neben dem Wasserverbrauch auch Klimawandel, Ressourcenbeanspruchung, Versauerung, Ozonabbau, Feinstaub etc. (S. 24f.)
Ergebnisse der Ökobilanzen
Nach der Auswahl und Begründung der näher zu betrachtenden Bereitstellungspfade folgen dann auf 16 Seiten die Ergebnisse der Ökobilanzen (S. 32 ff.). Hier nur einige Punkte:
+ Am weitaus schlechtesten von allen Verfahren hinsichtlich des Treibhauspotentials schneidet ein Fischer-Tropsch-Kraftstoff mit CO2-Abscheidung aus einem Oxyfuel-Kraftwerk ab (Pfad
61, Abb. 2, S. 33): mit seinen 84 g CO2-aeq/MJ liegt der Pfad sogar noch 2050 über dem des heutigen Erdgases mit 63 g (Tabelle 10, S. 34)
+ Beim Vergleich der strombasierten Stoffe PtL und PtG mit den biobasierten BtL und Biogas schneiden letztere hinsichtlich ihres Treibhausgaspotentials deutlich besser ab, und zwar sowohl 2015/Gegenwart als auch 2050. Biobasierte Energieträger sind zudem zu jeder Zeit deutlich besser als die fossile Konkurrenz. (Abb.3, S. 35)
+ Manche PtL-Stoffe haben heute, je nach Volllaststunden der Erzeugungsanlage, noch einen höheren Treibhausgas-Rucksack als die fossile Konkurrenz. „Hauptquellen für das Treibhauspotenzial sind bei allen strombasierten Produkten vor allem der Strom für die Elektrolyse.“ (S. 36)
+ Die Verwendung eines Strommixes wie der von 2015 für die Produktion von synthetischen Energieträgern würde das Zwei- bis Dreieinhalbfache an Treibhausgas-Emissionen erzeugen wie die Verwendung entsprechender fossiler Energieträger! (S. 36)
+ Bei allen rein strombasierten Energieträgern ist 2050 der Strom der entscheidende Wirkungsfaktor in allen Umweltwirkungskategorien, während bei den biogenen Energieträgern die dominanten Wirkungsfaktoren höchst unterschiedlich sind. (S.37 f.)
+ Bis auf die Verminderung der Treibhausgase und des Sommersmogs haben die synthetischen Energieträger in allen sieben anderen Umweltwirkungskategorien auch 2050 noch negativere Auswirkungen als fossile Pendants.(Abb.6, S.40)
Fazit
Die systematisch gut gemachte Studie ist eine Art „wissenschaftliches Wunschträume-Versenken“, und damit eine schallende Ohrfeige für die Energiepolitik der derzeitigen Bundesregierung. Auch wenn in diesem Systemvergleich kein einziges Wort der Kritik fällt, so machen allein die aufgeführten Treibhausgas-Emissionen bei der PtX-Produktion mit einem hochgradig fossil-belasteten Strommix deutlich, dass eine Nationale Wasserstoff-Strategie ohne den massiven vorherigen Ausbau der Erneuerbaren Energien ein Stück aus dem Tollhaus ist.
Ja, man könnte sogar noch weiter gehen: Auf Grund der vorliegenden Daten, insbesondere der negativen Auswirkungen des PtX-Pfades in einer Vielzahl von Umweltwirkungskategorien, darf bezweifelt werden, dass angesichts der angespannten Klima- und Umweltsituation in 2050 es überhaupt möglich sein wird, dauerhaft größere Mengen an synthetischen Energieträgern herzustellen. Jetzt aber in großem Umfang energiepolitisch darauf zu setzen, führt uns nur noch tiefer in eine Sackgasse.
Die Bundesregierung allerdings wird sich in ihrer Energiepolitik weder durch eine solche Studie noch durch derartige Überlegungen abhalten lassen. Für die Kanzlerin und ihre Vasallen gilt weiterhin: „Avanti Dilettanti!“