15.05.2020
Ohne demokratische Rechte geht nichts voran
Kommentar von Klaus Oberzig
Während die Empörung darüber groß ist, dass mit der aktuellen Mini-EEG-Novelle der 52-GW-Deckel nicht mit beseitigt worden ist, bleibt eine Verfahrensfrage weitgehend unbeachtet. In seiner Sitzung am 29. April 2020 hatte das Bundeskabinett "eine Formulierungshilfe aus dem Bundeswirtschaftsministerium" zur Änderung des EEG 2017 und "weiterer energierechtlicher Bestimmungen" beschlossen. Damit könnten die Koalitionsfraktionen nun einen Gesetzentwurf für eine EEG-Novellierung "aus der Mitte des Bundestages" einbringen. Das zumindest zitieren verschiedene Medien, darunter das PV-Magazin aus dem Kabinettsprotokoll.
Dass zwischen Regierung und Ministerien einerseits und den Regierungsfraktionen andererseits eine enge Verbindung besteht, ist in einer parlamentarischen Demokratie normal. Aber genauso normal war bisher: Ein Gesetzentwurf, der, von wem auch immer in den Bundestag, eingebracht wurde, musste am Ende des Tages vielfache Veränderungen erfahren. Parteien, Ausschüsse, auch Lobbyisten kämpften um veränderte Formulierungen, Paragraphen und Inhalte. Auch die Solarverbände spielten als Akteure in diesem Geschäft mit. So war die DGS bei vielen Anhörungen und Stellungnahmen beteiligt. Diese Mitwirkungsrechte der Zivilgesellschaft scheinen nun auf unbestimmte Zeit außer Kraft gesetzt. Stattdessen erscheint die verharmlosende Begrifflichkeit "Formulierungshilfe" als schlichte Anweisung an Abgeordnete, wofür sie die Hand heben müssen.
Neben der wegen Corona außer Kraft gesetzten, wichtigen demokratischen Grundrechte auf unbestimmte Zeit – dauerhaft unbefristet - ist auch eine Entmachtung der demokratischen Institutionen zu konstatieren. Der Bundestag als Gesetzgeber erfährt einen weiteren, massiven Bedeutungsverlust gegenüber der Exekutive, die allein das Gesetz des Handelns bestimmt. Das wirft natürlich für die Solarbewegung grundlegende Fragen auf. Wenn eine Mitwirkung am Zustandekommen von Gesetzen nicht mehr stattfindet und wenn darüber hinaus die Parteien im Parlament mehr oder minder in die Rolle von Befehlsempfängern oder Statisten gedrängt werden: Welche Einwirkungsmöglichkeiten gibt es dann überhaupt noch? Genau genommen nur die direkte Ansprache der zuständigen Ministerien.
Die gelebte Praxis der vergangenen Jahre hat aber gezeigt: Die Merkel-Regierungen sind als Gegner der Erneuerbaren einzustufen. Auch wenn aus der großen Koalition immer wieder versichert wird, man sei ja glühender Verfechter der Erneuerbaren Energien: Die tatsächliche Politik spricht eine genau gegenteilige Sprache. Nicht auf ihre Worte, sondern auf ihre Taten solle man schauen, steht bereits in der Bibel. Beispiele sind nicht nur der 52-GW-Photovoltaik-Deckel oder die - nach der EU-Richtlinie mögliche - fehlende Entlastung und Befreiung der Solarstromanlagen von Abgaben und bürokratischen Hemmnissen. Erkennbar hat die große Koalition nicht vor, dies umzusetzen. Stattdessen verschärft sie, jenseits der parlamentarischen Verfahren, in einer Grauzone die Rahmenbedingungen für den Betrieb der Erneuerbaren Energien.
Weitere Beispiele dafür sind die Prosumer-Optionen für den Eigenverbrauch aus dem Hause der Bundesnetzagentur oder fehlende Perspektiven für den Weiterbetrieb von Ü20-Anlagen, die deshalb in den kommenden Jahren in wachsender Anzahl aus dem EEG-Vergütung herausfallen werden. Es steht zu befürchten, dass entsprechende gesetzliche Regelungen als "Formulierungshilfe" in die Koalitionsparteien hinab gereicht werden. Ob die Opposition - ja die gibt es auch noch - diese Entwürfe noch rechtzeitig zu Gesicht bekommt oder gar eine öffentliche Debatte anleiern könnte? Das scheint mehr als fraglich.
Vor diesem Hintergrund - und die Eliten zeigen wenig Bereitschaft, nach einem Ende des Coronafiebers daran etwas zu ändern - erscheinen Positionspapiere, Forderungen und Green Deal Programme oftmals als harm- und hilflose Bettelei. Auch die zwei immer wiederkehrenden Argumentationslinien haben ausgedient: Einmal das Gemeinsamkeit suggerierende "wir müssen" z.B. Sektorkopplung vorantreiben oder ein neues grünes Konjunkturprogramm als Ausweg aus der Coronakrise schaffen. Und andererseits das "die Regierung muss uns endlich verstehen", mit dem Verbände auf sonnige Vorschläge hinweisen - „die sind ja Interesse der Regierungspolitik“ - nur noch peinlich.
Diese Regierung und die sie stützenden und lenkenden Wirtschaftskräfte sehen das anders und haben für die Zukunft andere Prioritäten. Sie sind auf die Gesundheitsindustrie fokussiert und sehen in ihr den Ausweg aus der Krise. Der ganze Zauber um „Corona“ weist unmissverständlich darauf hin. Auch die Hoffnung, das „energische Handeln“ des Staates müsse bzw. könne einfach auf die Durchsetzung einer neuen Energie- und Klimapolitik umgelenkt werden, entbehrt jeder Grundlage. Die wirtschaftlichen Triebkräfte, sprich die Interessen der großen Kapitale und Eigner, zielen in eine andere Richtung. Solch ein Policy Switch erfordert völlig andere Kräfte und Konstellationen.
Die Solar- und Ökoenergie-Bewegung muss aus der Rolle des Bittstellers herauswachsen, muss sich Handlungsfähigkeit und Eigenständigkeit erkämpfen. Die glorreiche Zeit der ersten Jahre des EEG können schwerlich als Blaupause für die Zukunft dienen. Es muss der Energiewendebewegung gelingen, ein anderes Selbstverständnis und vor allem andere Konzepte zu entwickeln, die auch ohne Vater Staat ökonomische Wirksamkeit und vor allem Sprengkraft entfalten. Ansonsten könnten die Erneuerbaren Energien für Jahre in eine unbedeutende Nische zurückfallen. Neue Geschäftsmodelle und die Eroberung von Märkten sind gefragt, notfalls ohne staatliche Förderung. Aber als erstes müssen die demokratischen Rechte und Freiheiten zurück geholt werden. Anders wird es nicht gehen.