06.03.2020
Shuttle-Region – was ist denn das?
„Shuttle-Modellregion Oberfranken“: Ob sich die Menschen im Nordosten des Freistaats Bayern an den Begriff gewöhnen werden, steht in den Sternen. Jedenfalls übergab Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) Mitte Januar den Projektpartnern – Kommunen, regionale Hochschulen, Industrie- und Verkehrspartner – für das Zwei-Jahres-Projekt so genannte „Zukunftsschecks“ über zusammen zwölf Mio. Euro.
Insgesamt werden bis Ende 2021 15,3 Mio. Euro in das Projekt gesteckt. Ob bei Sensorik, Algorithmen für die Künstliche Intelligenz KI wie auch anderen Technik-Themenfeldern: Es ist noch jede Menge Entwicklungsarbeit notwendig. Doch schon zum Jahreswechsel sollen in Hof/Saale, Rehau und Kronach autonome Elektro-Linienbusse auf festgelegten innerstädtischen Routen verkehren, lautet das Ziel. Und irgendwie solle der Strom auch „Öko“ sein, heißt es von Projektbeteiligten.
Für den Kronacher Landrat Klaus Löffler (CSU) beginnt damit „ein neues Mobilitätszeitalter“. Denn autonome Kleinbusse sind nicht gerade Standard im Nahverkehr – und schon gar nicht in kleineren Städten. Deshalb ist es auch „ein Modellprojekt, wie es in dieser Art noch keines gab in Deutschland“, wie Minister Scheuer bei der Scheckübergabe anmerkte.
Doch ganz so einzigartig ist der künftige autonome Oberfranken-Shuttle offensichtlich doch nicht. Denn im Programm „Ein zukunftsfähiges, nachhaltiges Mobilitätssystem durch automatisiertes Fahren und Vernetzung werden 14 Vorhaben mit rund 62 Mio. Euro Forschungsmitteln unterstützt“, heißt es von Scheuers Ministerium.
Und ein zweiter Förderaufruf im Wert von bis zu 80 Mio. Euro ist bereits gestartet. „Gefördert werden Vorhaben beispielsweise in den Bereichen Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV, Shuttle-Dienste), KI-Anwendungen oder vernetztes Fahren“, ist auf bmvi.de zu lesen. Auf die Straßen gebracht werden aktuell dank dieses Programms autonome Shuttles in drei weiteren Regionen: „Ride4All - Entwicklung eines integrierten und inklusiven Verkehrssystems für autonom fahrende Busse“ heißt ein Projekt in Soest (NRW), „Shuttles&Co - Autonome Shuttles & Co im digitalen Testfeld Stadtverkehr“ in Berlin und „TaBuLa-LOG - Kombinierter Personen- und Warentransport in automatisierten Shuttles“ das dritte in Lauenburg/Elbe (Schleswig-Holstein). Die Beteiligten von „EVA-Shuttle“ zählen auch zu BMVI-Geldempfängern. Der „EVA-Shuttle wechselt vom Labor auf die Straße im Stadtteil Weiherfeld-Dammerstock“, heißt es von den Projektpartnern um das in Karlsruhe ansässige FZI Forschungszentrum Informatik. Laut FZI-Direktor Professor J. Marius Zöllner biete der Stadtteil „genau die richtige, anspruchsvolle Umgebung, in der wir die neu entwickelten Fähigkeiten der Fahrzeuge im Mischverkehr demonstrieren und ein an die Strecke angepasstes Sicherheitskonzept umsetzen können“.
Während der Karlsruher Straßeneinsatz das EVA-Shuttle erst jetzt gestartet ist, sind in Hamburg bereits seit August 2019 „autonome Elektro-Shuttles des Projekts HEAT (Hamburg Electric Autonomous Transportation) im Probebetrieb. Der fünf Meter lange, knapp drei Tonnen schwere Elektro-Shuttlebus wird ab Mitte 2020 bis zu zehn Fahrgästen Platz für die Fahrt durch die Hamburger HafenCity bieten“, ist beim Branchendienst electrive.net zu lesen.
In Berlin haben sogar schon 2018 die Verkehrsbetriebe BVG und die Kliniken der Charité den „Regelbetrieb mit fahrerlosen E-Kleinbussen“ aufgenommen. Und es gibt noch einige andere elektro-autonome Busprojekte. Warum also überhaupt die Förderrichtlinie „Ein zukunftsfähiges, nachhaltiges Mobilitätssystem durch automatisiertes Fahren und Vernetzung“? Und warum unterstützt das Verkehrs- und Infrastrukturministerium genau die Shuttle-Region Oberfranken mit über 12 Mio. Euro Bundesmitteln? Wenn Beckmesser behaupten, Minister Andreas Scheuer wolle mit dem Programm von seinem Maut-Debakel ablenken, dann stimmt das nicht wirklich. Denn zumindest hier wird sehr wohl Neues ausprobiert.
Denn der Projektführer ist Valeo. Wem der Name auf Anhieb nichts sagt: Der französische Konzern sieht sich immerhin weltweit an neunter Stelle der Automobilzulieferer. Und neben weltbekannten Größen wie Bosch, Brose, Conti, Leoni, Schaeffler und Co. ist Valeo gerade in Nordbayern mit über 4.000 Mitarbeitern stark vertreten. Jörg Schrepfer, Valeo-Standortleiter für Fahrassistenzsysteme in Kronach, hat sich seit 2017 um das Projekt „Shuttleregion Oberfranken“ bemüht – und am Ende Erfolg gehabt. Deshalb fand die Vorstellung des Shuttle-Testobjektes in „seinem“ Werk in Hummendorf statt.
Valeo stand auch im Mittelpunkt der Präsentationen: Immerhin haben die Franzosen 1991 die Ultraschall-Parksensoren für Autos entwickelt und danach vieles andere. Kronach-Hummendorf ist eines der wichtigsten Forschungszentren im Konzern. Heute sieht sich Valeo gerade „bei Fahrerassistenz-Sensorik CDV weltweit führend“. Und jede Menge verschiedenster Sensoren sind mit die wichtigsten Komponenten, die in ein autonomes Fahrzeug eingebaut werden müssen: Durch sie können Shuttles „sehen“ oder „fühlen“.
Kronachs Landrat Löffler hob die regionalen Kooperationspartner heraus: Die Städte und Landkreise, die Unternehmen Rehau AG+Co und DB Regio Bus, dazu die Hochschulen Coburg, Hof und Uni Chemnitz, die wissenschaftlich mitarbeiten.
Die Bahnbusfirma betreibt zwar bereits die einzige autonome ÖPNV-Buslinie Bayerns in Bad Birnbach. Doch in Oberfranken wolle man, so Geschäftsführer Jörg Konrad, die Vernetzung und Steuerung von einer zentralen Leitwarte aus testen und lernen. Diese Zentrale scheint ein wichtiges Förderkriterium gewesen zu sein.
Denn bisher dürfen autonome Fahrzeuge nur mit einem menschlichen „Operator“ an Bord unterwegs sein. Kosten senken ginge aber vor allem, wenn auf diesen Mit-Fahrer komplett verzichtet werden könnte. Ein wesentlicher Aspekt des Forschungsprojekts. „Mensch-Maschine-Interaktion“ heißt das in der Wissenschaftler-Sprache. Oder „wie kann Mensch mit so einem Shuttle interagieren?“, wie Professor Matthias Wilde von der Hochschule Coburg ausführte. DB-Mann Konrad nannte „die Akzeptanz der Bevölkerung sehr wichtig. Die Leute müssen sich erst dran gewöhnen“ – ein Verhalten, das man seit der ersten deutschen Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth kennt. Da ist er sich mit den Technik-Experten des VDI einig: Die haben in einer kürzlich veröffentlichten Studie die Akzeptanz durch die betroffenen Menschen als ganz wichtig herausgestellt.
Achja, die Shuttlebusse. Auf die Straßen von Rehau, Hof und Kronach sollen die autonomen, verbesserten Navya-Fahrzeuge erst zur Jahreswende 2020/21 kommen. Dann werden per Shuttle Firmenstandorte in Rehau miteinander verbunden, die Hofer Innenstadt durchquert oder die Kronacher Altstadt bis zur hochgelegenen Festung Rosenberg touristisch erschlossen. Ganz euphorisch erklärte der Vertreter der Stadt Hof beim Startschuss: „Silicon Valley war gestern – Oberfranken ist heute.“ Aber ganz so sicher sind sich nicht alle Beteiligten. „Ein Projekt kann hat Vorteil, dass es auch scheitern kann“, gab ein Hochschulvertreter unter der Hand zu.