28.02.2020
Insekten – ein energieeffizientes Nahrungsmittel?
Unsere heutige fleischlastige Ernährung führt zu einem erheblichen Verbrauch an Ressourcen und Energie in Form von Futtermittel-Anbau und -Importen, Stallungen und Melkanlagen, Viehtransporten, Schlachthöfen, Kühlhallen etc. etc. Für die Produktion von einem Kilo Rindfleisch – also 4 bis 5 Steaks – werden 15.000 Liter Wasser und 27 bis 49 qm Land verbraucht, sowie 27 kg CO2 emittiert. Natürlich sind solche Bilanzen von den Haltungsformen (intensiv, extensiv, artgerecht) in der Tierzucht, sowie von der Regionalität und von der zur Fleischerzeugung verwendeten Tierart, abhängig. So fallen bei Wildfleisch meist weniger Lasten als bei Rind- oder Schweinefleisch an, besonders wenn es aus regionalen Quellen stammt. Und der herbstliche Karpfen aus dem Teich nebenan belastet den Planeten weniger als der ganzjährige Lachs aus irgendwelchen Zuchtfarmen. Doch die Alternativen zu Rind, Schwein und Pute werden die Folgen unseres immer noch weltweit wachsenden Fleischkonsums, den wir im Gegenteil allein schon aus Klimaschutz-Gründen reduzieren müssten, von den Mengen her niemals abfedern können. Wer also nicht zum Vegetarier oder gar zum Veganer werden will, muss sich nach nachhaltigen Alternativen umsehen.
Dabei fällt auf, dass gerade in Deutschland die Auswahl an Fleischprodukten eingeschränkt ist: während sich auf den meisten spanischen Wochenmärkten ein Innereien-Schlachter mit Pfoten, Hoden, Penissen etc. im Angebot findet, ist die Ganztiernutzung hierzulande nicht mehr üblich; isst man woanders auf der Welt Hunde- und Katzenfleisch, ist solches in den D-A-CH-Staaten verboten. Gar die in Südostasien üblichen, frittierten Skorpione oder Vogelspinnen, dürften hier bei Tisch blankes Entsetzen auslösen.
Mit den Insekten wird in Deutschland sogar eine ganze, weltweit verbreitete Tiergruppe als Lebensmittel ausgeklammert. Diese Tiere gelten und galten hier als Schädlinge, als barbarisch, ekelig, unrein und als Anzeichen für Verderbnis. Als Teil von Lebensmitteln taugten sie allenfalls zu üblen Scherzen: mein Vater erzählte mir, wie er Ende der 1920er Jahre zur Reichsmarine kam. Am Sonntag frisch eingezogen und auf den Schiffen untergebracht, kamen die neuen Matrosen am Montag erstmals an Bord zum Frühstück. Die Altgedienten ließen ihnen – völlig unüblich – beim Essen den Vortritt, und es gab sogar – völlig unüblich – Rosinenbrote! Die Neuen bestrichen ihre Rosinenbrotscheiben mit Butter und aßen, während die Älteren nur interessiert zuschauten. Nach einer Weile nahmen auch letztere ihre Brotscheiben an einem Ende zwischen zwei Finger und schlugen sie mit dem anderen Ende so auf die Tischkante, dass die Rosinen auf den Boden fielen. Völlig ratlos fragte schließlich ein junger Matrose, warum man denn die guten Rosinen aus dem Brot schlage. „Weil es Mehlwürmer sind“, lautete die Antwort. Das Entsetzen an den Tischen der einen Seite und das Hohngelächter an denen der anderen Seite ist gut vorstellbar.
Dabei sind Mehlwürmer wie viele Insekten eine gute Eiweißquelle und haben einen hohen Anteil von ungesättigten Fettsäuren sowie Mikronährstoffe und Vitamine. Insekten haben ein breites, leicht bereitzustellendes Nahrungsspektrum und brauchen für die Zunahme von einem kg Lebendgewicht ca. 2 kg Futter, während Hühner rund 2,5 Kilogramm, Schweine etwa 5 Kilogramm und Rinder bis zu 10 kg Futter benötigen. Insekten benötigen weniger Flächen und weniger Wasser als die herkömmliche Tierzucht; bei gleicher Körpermasse fallen z.B. bei Mehlwürmern nur noch 1 bis 10% der klimarelevanten Emissionen wie bei der Schweinehaltung an. Zudem gibt es bei den vielfach in Schwärmen lebenden Insekten keine ethischen Probleme der Massentierhaltung. Über 2.000 essbare Spezies mit unterschiedlichen Inhaltsstoffen und Geschmacksnuancen gibt es – die niederländische Universität Wageningen führt darüber eine 100seitige Liste.
Kein Wunder also, dass es inzwischen Fans und Internetseiten über essbare Insekten gibt, dass Insekten in unterschiedlichster Verarbeitungsintensität ihren Platz in Supermarkt-Regalen und auf Restaurant-Tischen finden: von Insekten-Pulver zum Kochen und Backen über Insektenburger bis zu gerösteten Heuschrecken und Mehrwürmern. Wer heute über eine der großen Food-Messen wie die Grüne Woche geht, findet inzwischen mehrere Stände mit Insektenprodukten im Angebot. Auffällig ist, dass alle Insekten(-Grundstoffe) hierzulande aus dem Ausland kommen – aus den Niederlanden, Belgien, Frankreich, der Schweiz. Grund dafür ist die seit Anfang 2018 geltende Novel-Food-Verordnung der EU. Danach benötigen „alle Lebensmittel, die vor dem 15. Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang in der Europäischen Union für den menschlichen Verzehr verwendet wurden“, eine Zulassung aus Brüssel, wenn sie in den Ländern der Europäischen Gemeinschaft verkauft werden sollen. Zu diesen „neuartigen Lebensmitteln“ gehören auch Speiseinsekten und Insekten-Lebensmittel, selbst wenn sie in einzelnen, etwas weltoffeneren EU-Staaten bereits im Handel sind; allerdings gilt hierfür eine Übergangsfrist, in der diese Nahrungsmittel weiter vertrieben werden dürfen.
Bei allen Insekten-Lebensmitteln auf dem hiesigen Markt handelt es sich um Produkte aus Zuchtfarmen – Wildfänge gehören nicht dazu, weshalb der Aufschrei einiger Veganismus-Ideologen mit Blick auf das große Insektensterben in der Natur ins Leere läuft. Der Grund für die Beschränkung auf Zuchtinsekten ist, dass die Tiere grundsätzlich auch für den Menschen schädliche oder gar gefährliche Stoffe enthalten können. Kein Wunder, dass sich bereits im Mai 2016 das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf einem wissenschaftlichen Symposion („Insekten als Lebens- und Futtermittel - Nahrung der Zukunft?“) mit dem Thema beschäftigte, und weiterhin kontinuierlich damit befasst ist. Denn die potentiell von Insekten-Nahrungsmitteln ausgehenden Gefahren lassen sich grob in drei Kategorien zusammenfassen:
+ Allergene, die bei Allergikern zu Problemen führen können.
+ Toxine, die das Insekt entweder selbst produziert, und die während der Verarbeitung nicht neutralisiert werden können, oder Stoffe aus der Umwelt, etwa wenn sich das Insekt im Umfeld einer mit Schwermetallen verseuchten Deponie ernährt hat.
+ Mikroorganismen, die vielleicht nicht den Insekten selbst schaden, aber beim Menschen schwere Erkrankungen auslösen können. Ein Beispiel sind Zoonosen, bei denen ein Mikroorganismus den Sprung von einem Tier zum Menschen schafft – solches erleben wir gerade mit dem Corona-Virus, der offensichtlich durch den Verzehr von Schuppentieren in China übertragen wurde.
Alle diese Probleme sind jedoch bei einer Beschränkung auf Zuchtinsekten weitgehend auszuschließen. Wie aber steht es um Insekten aus traditionellen Insektenverzehr-Ländern? Immerhin wird z.B. Afrika, immer wieder, wie auch jetzt, von großen Heuschreckenplagen heimgesucht. Bei Tieren reichern sich problematische Stoffe zumeist in den Innereien an. Viele Insekten sind, wie u.a. auch bei uns die nicht zu den Insekten gehörenden Krabben, zu klein, um ihre Innereien und insbesondere den Darm vor dem Verzehr bzw. der Weiterverarbeitung zu entfernen. So etwas könnte hingegen bei den bis zu 9 cm Wüstenheuschrecken möglich sein, die derzeit zu Milliarden die Sahelzone entgrünen. Per Solarthermie geröstet und entkeimt sowie anschließend verpackt, ließen sich diese Tiere nach Erteilung einer EU-Zulassung nach Europa importieren.
Fazit
Eiweißreiche Lebensmittel auf Basis von Insekten belasten Umwelt und Klima deutlich weniger als unsere konventionelle Tierzucht. Die Aufzucht von Insekten braucht weniger Raum, weniger Wasser, weniger Futter und weniger Energie als unsere heutige Fleischerzeugung. Dennoch bleibt angesichts der Vielzahl der Spezies und deren unterschiedlichen Eignungen im Lebensmittelbereich noch ein erheblicher Forschungsbedarf. Wenn es gelingt, die traditionellen Vorurteile in der Bevölkerung gegenüber Speiseinsekten und Insekten-Lebensmittel abzubauen, kann dieser Bereich einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Klimakrise leisten. Die Novel-Food-Verordnung der EU ist dabei zweifellos hilfreich.
Götz Warnke