31.01.2020
Teslas Antritt in der Höhle des Löwen
Der Kaufvertrag über das Fabrikgelände für den E-Autobauer Tesla im Brandenburgischen Grünheide am Rande von Berlin ist notariell beurkundet. Das teilte Mitte der Woche die Staatskanzlei in Potsdam mit. Der Kaufpreis für das Waldgelände aus Landesbesitz soll bei knapp 41 Mio. Euro liegen. Da noch ein unabhängiges Wertgutachten aussteht, könne sich am Kaufpreis etwas ändern, ist von der Landesregierung weiter zu hören. Auch die zwischenzeitlichen Demonstrationen in Grünheide pro und contra Tesla‘s Gigafabrik (GF 4) sind wieder abgeebbt. Vor allem der Versuch von AfD-Landespolitikern, die Gegendemonstration mit Parolen wie „Mörderfabrik“ oder den Uralt-Sprüchen „Ami go home“ umzufunktionieren, haben für Abkühlung gesorgt.
Selbst die Aufregung über Teslas ehrgeizigen Zeitplan hat sich gelegt. Ist doch selbst Skeptikern aufgefallen, dass die Kalifornier in China beim Bau ihrer Gigafabrik 3 (GF 3) einen ähnlichen strammen Zeitplan ziemlich erfolgreich umsetzen konnten. Die Auslieferung der ersten Tesla Modell 3 „made in China“ ist aktuell angelaufen. Somit ist der Plan von Elon Musk, im Juli kommenden Jahres mit der ersten Ausbaustufe in Grünheide fertig zu sein, ernst zu nehmen. Ab der zweiten Jahreshälfte 2021 sollen 100.000 Fahrzeuge von rund 4.000 Arbeitern und Angestellten gefertigt werden. In der Endausbaustufe soll diese Mitarbeiterzahl verdoppelt werden und rund eine halbe Mio. Fahrzeuge pro Jahr vom Band laufen. Das Investitionsvolumen betrage 4 Mrd. Euro. Zu einem späteren Zeitpunkt will Tesla seine Endmontagelinie um eine Batteriefabrik ergänzen.
Ministerpräsident Woidke (SPD) sprach von einem bedeutenden Schritt für das Gelingen des Industrieprojekts, tut aber so, als ob Teslas Ansiedlung ihm zu verdanken sei. So argumentierte der Braunkohlefreund allen Ernstes damit, dass Tesla wegen der vielen Solar- und Windparks von Brandenburg angezogen worden sei. Tatsächlich waren die Planungen in Kalifornien schon zu einem Zeitpunkt angelaufen, als in Deutschland Landespolitiker wie Woidke den Ausstieg aus der Braunkohleverstromung noch zu verhindern versuchten. Die Strategie von Tesla dürfte mit dem Brandenburger Solar- und Windstrom, so schön der auch sein mag, wenig zu tun haben. Der Bau der ersten Gigafabriken, also GF3 und GF4, jenseits von „Great America“ sprechen eine andere, globale Sprache.
China ist der wichtigste und größte Automobilmarkt in Asien. In Deutschland kann der direkte Angriff auf die bislang führende deutsche Automobilindustrie gestartet werden. Nachdem die deutschen Autobauer durch ihre hirnrissige Dieselstrategie ins Hintertreffen geraten sind, ist auf dem europäischen Markt nicht nur viel Raum für Tesla. Vor allem dürfte die Situation bei qualifizierten Arbeitskräften immer günstiger werden. In Berlin bzw. im Berliner Speckgürtel arbeiten zwei moderne Daimler-Benz-Werke. In Berlin-Marienfelde befindet sich die Motorenfabrik, in der rund 2.500 Mitarbeiter vor allem Diesel-Aggregate für die PKW-Flotte der Schwaben fertigen. In Ludwigsfelde werden von ca. 2.000 Mitarbeitern Transporter der Marke Sprinter gefertigt. Wenn Daimler Arbeitsplätze abbauen müsste, stünden diese zur Verfügung.
Dass es sich hier nicht um Spekulationen handelt, zeigt ein Blick auf die völlig anderen Produktionsbedingungen der Elektroautos. Bei den traditionellen PKWs ist das Herzstück der Produktion der Motoren- und Getriebebau. Aufgrund der geringen Fertigungstiefe wird die Mehrzahl der weiteren Bauteile von Fremdfirmen im Just-in-Time-Verfahren hergestellt und geliefert. Der Karosseriebau ist kein bedeutender Fertigungsteil mehr, auch wenn dem Autonarren dies als der wichtigste Teil seiner Karosse vorkommen mag. Fallen Motoren- und Getriebebau weg, bleibt in der traditionellen Autofabrik nicht mehr viel Arbeit übrig. Getriebe gibt es im E-Auto nicht mehr und Elektromotoren werden als Billigprodukte von der Stange zugekauft. Insider schätzen, dass über 70 Prozent der traditionellen Belegschaften „überflüssig“ sein dürften. Bleibt die Batterie. Sie wird aber auch kein Bestandteil der alten Fließbandfabrik mehr sein. Auch sie wird wo anders hergestellt bzw. von Außerhalb zugekauft.
Die Wahrscheinlichkeit, dass in absehbarer Zeit ein Heer von arbeitslosen Automobilwerkern zur Verfügung steht – nicht nur in Berlin - ist groß. Bereits im Jahr 2019 hatte es in größerem Umfang Entlassungen bei Zulieferbetrieben, etwa bei Schäffler in Franken, aber auch anderswo gegeben. Dieses Kalkül wird bei Tesla also durchaus eine Rolle gespielt haben. Den Angriff auf die deutschen Konkurrenten nicht von Amerika, sondern von Deutschland aus zu führen, verrät ein strategisches Denken. Da ist Berlin-Brandenburg gerade das richtige Pflaster. Hinzu kommt, dass auch die US-Autobauer wissen, dass sie mit staatlichen Förderungen rechnen können. Und das erst recht, wenn in der deutschen Automobilbranche die Zahl der Entlassungen ansteigt. Wie schnell sich solch günstige Ausgangsbedingungen für Tesla entwickeln können, zeigte die Bund-Länder-Vereinbarung der letzten Woche zum Kohleausstieg.
Auch wenn das geneigte Publikum zuerst an die Kohlekumpel in der Lausitz und anderswo denken mag, die rund 40 Mrd. Euro Strukturhilfe, die den Braunkohle-Ländern NRW, Sachsen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt zufließen sollen, werden natürlich auch Tesla zu Gute kommen. Aktuell sind bereits eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes und großzügige Umschulungsbeihilfen bei der Bundesregierung in Arbeit. Die versprochenen Strukturhilfen müssten möglichst schnell auf den Weg gebracht werden, forderte denn auch Dietmar Woidke am 29. Januar in einem Rundfunk-Interview. Es wird also zu erwarten sein, dass Tesla Ende des Jahres 2020 oder zu Beginn von 2021 ein Assessment Center zur Personalbeschaffung eröffnen wird, während der Brandenburgische Ministerpräsident davon zu erzählen beginnt, dass er den Automobilstandort Deutschland gerettet hätte. Wetten, dass?
Klaus Oberzig