06.12.2019
Flugscham? Flugwahn!
Flugscham ist ein relativ neuer Begriff, der seinen Ursprung in dem schwedischen Korrespondenzwort „flygskam“ hat, und inhaltlich die Betroffenheit gegenüber der eigenen Nutzung von Verkehrsflugzeugen sowie den damit verbundenen Klima- und Umweltfolgen ausdrückt. Auch wenn „flygskam“ durch den englischen Terminus „flight shame“ inzwischen internationale Verbreitung gefunden hat, so scheinen doch die praktische Konsequenzen daraus immer noch ein weitgehend schwedisches Phänomen zu sein; in den meisten anderen Ländern geht das „Himmels-Karussell“ unvermindert fort, ja es scheint sogar noch an Geschwindigkeit zuzunehmen: Ende Oktober berichtete der Guardian, dass die Nachfrage nach Privatjets, insbesondere in den USA und China, enorm gestiegen sei. In diese Länder werden fast zwei Drittel der rund 8.000 neuen Privatjets gehen, die in den 2020er Jahren von multinationalen Konzernen und Superreichen gekauft werden – schon in diesem Jahr gab es bei den Privatjets einen Anstieg von 9% gegenüber dem Vorjahr. Das große Problem dabei: Privatflüge emittieren bis zu 40-mal so viel CO2 pro Passagier wie kommerzielle Linienflüge. Angesichts der schieren Massen des weltweiten Luftverkehrs ist eine CO2-Kompensation, wie sie heute die Fluggesellschaft Easyjet anstrebt, schlicht nicht möglich, weil es so viele nachhaltige CO2-Speicher-Projekte gar nicht gibt. Woher sollen also all‘ die klimaneutralen Treibstoffe herkommen, um den ausufernden Weltluftverkehr betreiben zu können?
Das World Economic Forum (WEF), das jenseits der alljährlichen Treffen auch Analysen und Artikel zu international relevante Themen veröffentlicht, hat sich Mitte Oktober der Frage nach den CO2-armen Alternativen zum herkömmlichen Flugbetrieb angenommen. Die dort präsentierten Lösungen dürften einem Leser der SONNENENERGIE (siehe Ausgabe 2|19) teilweise recht bekannt vorkommen: Luftschiffe, E-Flieger mit vertikaler Start- und Landefähigkeit sowie Solarflugzeuge finden sich hier wie dort. Andere Lösungen wie die vom WEF vorgeschlagenen Bodeneffekt-Flugzeuge („Ekranoplan“; ursprünglich von Alexander Lippisch) funktionieren nur über glatten Wasser- und Wüsten-Flächen; das dem Hyperloop ähnliche Vakuum-Tunnel-System ist extrem teuer und funktioniert nicht transkontinental. Was bleibt also? Die WEF-Antwort: Bio- oder Elektro-Kraftstoffe (PtX), also alle Treibstoffe, die auf nicht-fossiler Basis hergestellt werden.
In gleicher oder ähnlicher Form schallt es heute von fern und nah: von der niederländischen Fluglinie KLM und der deutschen Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe einerseits, die auf Biokerosin setzen, bis zur Aviation Initiative for Renewable Energy in Germany e.V. (aireg) und dem neuen Hamburger Klimaschutzplan andererseits, die sich eher für PtX stark machen. Doch wie sind nun diese „regenerativen“ Treibstoffe zu bewerten?
Biokerosin gibt es bereits heute am Markt: die finnische Firma Neste Oyj stellt es in größeren Mengen aus Abfallstoffen wie Altfetten (z.B. altem Frittieröl) her. Biokerosin aus Bio-Abfällen kann sinnvoll sein, da hier von der Natur in den Biostoffen eingelagerte und zuvor für einen anderen Nutzungszweck konzentrierte Kohlenstoff-Verbindungen noch einmal energetisch genutzt werden (second use). Problematisch ist es hingegen, wenn für das Kerosin große Landwirtschaftsflächen in Anspruch genommen werden, die mechanisch bearbeitet, gedüngt und deren Pflanzungen mit Pestiziden geschützt werden müssen. Besonders schlimm wird es, wenn für solche Flächen Urwälder gerodet (Palmöl) oder Flächen für die Ernährung der einheimischen Bevölkerung gekapert werden. Nicht nur, dass das Biokerosin erheblich teurer ist als die heutigen Treibstoffe, das Biokerosin-Angebot wird wegen der geringen Flächeneffizienz der Bioenergie (< 3%) und der Landnutzungskonflikte z.B. mit Natur- und Ernährungsflächen immer gering bleiben – da helfen auch keine Algen aus den Bioreaktoren.
PtX erscheint daher für alle diejenigen als Lösung, welche das begrenzte Potential beim Biokerosin begriffen haben. Doch das hier theoretisch für die Flüssig-Treibstoff-Herstellung unbegrenzt zur Verfügung stehende Potential wird leider in der Praxis durch bestimmte Faktoren limitiert: so müssen die für die Prozesse nötigen Elemente wie Kohlenstoff und Wasserstoff erst durch sehr energieaufwändige Aufspaltungs- und Gewinnungs-Prozesse zur Verfügung gestellt werden. So gewinnt eine Demonstrationsanlage der ETH Zürich CO2 und Wasser aus der Luft, spaltet beides unter hohen Temperaturen solarthermisch auf, um anschließend die entstehenden Kohlenwasserstoffe zu verflüssigen. Wegen der benötigten großen Flächen – ein Quadratkilometer für 20.000 Liter Kerosin pro Tag – und der hohen Aufspaltungs-Temperaturen (ca. 1.500°C) müsste man solche Anlagen für die Massenproduktion in die Wüsten setzen. Doch in den meisten Wüsten ist die Luft wohl zu trocken, um größere Mengen Wasser daraus zu gewinnen. Und: die täglichen 20.000 Liter Kerosin entsprechen nur dem, was ein fliegender Jumbo-Jet (Boeing 474) in zwei Stunden verbraucht.
Etwas weniger energieaufwändig wird es, wenn man das Wasser aus Leitungen oder Flüssen und das CO2 aus Industrieabgasen nimmt, wo es in viel konzentrierterer Form vorkommt als in der Luft. Letzteres Verfahren wird CCU (Carbon Capture and Utilisation, siehe auch Artikel in diesen News) genannt, und soll bewirken, dass das Klimagas CO2 genutzt statt einfach in die Luft geblasen wird. Doch leider, es funktioniert hier nicht: denn das zum Flugzeugtreibstoff mutierte CO2 wird ja nach seiner – nun zweiten – Nutzung in den Flugzeug-Triebwerken wieder in den Himmel geblasen. Für einen Luftverkehr, der völlig CO2-frei werden muss, ist das keine Lösung. Fast schon überflüssig zu sagen, dass die weiteren Probleme dieser Treibstoffe wie hoher Wasserbedarf, hoher Energiebedarf in Richtung 400 Prozent erneuerbarer Stroms und – wie beim Biokerosin – Wasserdampf-Freisetzung in großen Höhen als Klimagas auch hier erhalten bleiben. Klimaneutralität ist jedenfalls mit solchen Kraftstoffen nicht zu erreichen.
Fazit
Der Luftverkehr in seiner heutigen Form und im heutigen Umfang lässt sich nicht klimaneutral gestalten. Er muss energiesparsamer, langsamer und weniger werden. Inlandsflüge und nicht klimaneutrale Privatflugzeuge sollten verboten bzw. es sollte ihnen die Landeerlaubnis verweigert werden. Schließlich ist es für das Klima ein Gewinn und für die Menschheit kein Verlust, wenn nicht jede Paris Hirnlos im eigenen Privatjet zu einer Party hereinschwebt.
Götz Warnke
Anmerkung der Redaktion (Matthias Hüttmann):
Aus der SONNENENERGIE 2|19: "Ein weiteres Problem ist, dass die Abgase in der Reiseflughöhe Ozon aufbauen, was die Sonneneinstrahlung zusätzlich beeinflusst. Sie werden sozusagen in der falschen Etage der Atmosphäre ausgestoßen und wirken dort besonders klimaschädlich. Auch die produzierten Wolken, die man als Kondensstreifen am Himmel sieht, stellen ein Problem dar, weil sie wie eine Art Treibhausdach funktionieren. Durch die Wassertröpfchen kommt die Strahlung der Sonne hindurch, aber die Abkühlungsstrahlung der Erde wird aufgefangen. Deshalb ist es auch eine fast naive Annahme, dass ein Ausgleich emittierter Treibhausgasemissionen durch das Pflanzen von Bäumen kompensiert werden kann. Ein Sprichwort macht das deutlich: Bäume wachsen nicht in den Himmel!"