08.11.2019
(Auto-)Arbeitsplätze in der „Großen Transformation“
Gesellschaftliche Umbrüche – seien sie ökonomisch oder technisch getrieben – erzeugen immer auch ihre Verlierer. Das ist weder überraschend noch neu: als in den 1960ern die Computer und Anfang der 1970er die japanischen Taschenrechner aufkamen, verschwanden die exzellenten deutschen Hersteller für mechanische Rechenmaschinen (z.B. Brunswiga in Braunschweig), zwanzig Jahre später erledigte der Siegeszug von PC und Nadeldrucker die großen Schreibmaschinenhersteller wie Olympia in Wilhelmshaven. Dass dies kein deutsches Phänomen ist, zeigen Handy-Hersteller wie Nokia oder Schmalfilm-Produzenten wie Kodak, die dem Smartphone bzw. der Digitalkamera unterlagen.
Doch heute steht ein Umbruch ganz anderer Größenordnung an: der Abschied von unserem seit 130 Jahren vorherrschenden fossilen Energiesystem mit allen seinen Ausprägungen und Synergien im energetischen und stofflichen Bereich. Dieser Epochenumbruch, der auch eine weitere industrielle Revolution umfasst, wird gemeinhin als „Große Transformation“ beschrieben. In dieser Umbruchszeit werden nicht nur bekannte Industrien, Techniken, Marken und Produkte verschwinden, sondern auch viele bisher sichere Arbeitsplätze.
Die erste und wohl überflüssigste der Industrien hat es bereits erwischt: die Biotope und Dörfer vernichtende Braunkohlenindustrie muss aus Klimaschutzgründen zügig abgewickelt werden. Hier gibt es zwar nur noch rund 20.000 direkte Arbeitsplätze, aber mit Hilfe der Lobbyisten und „Lautsprecher“ in Politik und Gewerkschaften hat man es geschafft, den entsprechenden Kohleregionen im Rahmen des „Kohlekompromisses“ aus dem Bundeshaushalt umfangreiche Strukturhilfen von ca. 40 Milliarden Euro bis 2038 zukommen zu lassen – eine geradezu überbordende Fürsorglichkeit der Merkelschen Bundesregierung, derer die ausgebremste Solar- und Windindustrie auch bei erheblich höheren Arbeitsplatzverlusten nie teilhaftig werden durfte.
Doch bei der nächsten industriellen Umwälzung wird eine derartige Form von „Wählerstimmen-Kauf“ kaum möglich sein: denn die Große Transformation betrifft nicht nur den Strom- und Wärme-Sektor, sondern auch die Landwirtschaft und den Verkehrssektor. Und zu letzterem gehört die deutsche Autoindustrie. Sie wird nicht nur derzeit durch einen selbstverschuldeten Abgasskandal gebeutelt, sondern hat auch den Umbruch zur E-Mobilität, der von China als weltgrößtem Automarkt massiv forciert wird, weitgehend verschlafen. Das ist besonders kritisch, denn die Autoindustrie ist systemrelevant: sie ist, neben dem Werkzeugmaschinen- und Anlagen-Bau, einer der wenigen Industriezweige, in denen Deutschland noch Weltgeltung hat; sie trägt erheblich zur deutschen Wirtschaftsleistung bei; und sie ist mit 1,8 Millionen direkten und indirekten Arbeitsplätzen einer der größten Arbeitgeber. Daher ist sie von den Bundesregierungen aller Couleur massiv „gepampert“ worden, und einige haben sogar dem Zusammenbruch bzw. dem Ausverkauf anderer deutscher Industrien relativ tatenlos zugesehen, nur um nicht die Exportchancen der deutschen Autohersteller in wichtigen Märkten wie z.B. China zu beeinträchtigen. Doch nun, wo die Autoindustrie einer der wenigen verbleibenden relevanten Industriezweige ist, kommt jetzt hier der Umbruch in Form der Elektromobilität. Und der wird Arbeitsplätze kosten – viele Arbeitsplätze, das ist schon klar. Denn E-Autos haben viel weniger Teile, müssen viel seltener zur Reparatur. Nur wie viele Beschäftigungsverhältnisse das wirklich kostet – dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen.
Bereits im Sommer 2017 hatte das Münchner ifo-Institut im Auftrag des Verbands der Automobilindustrie e.V. eine entsprechende Studie erstellt. Diese Studie im Vorlauf zur Bundestagswahl und mit Blick auf das z.T. von den Grünen favorisierte Verbrennerverbot ab 2030 kam auf einen Abbau von über 600.000 Arbeitsplätzen.
Rund ein Jahr später nahm sich der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe (ZDK) mit seiner Studie „Elektromobilität 2025“ [5] des Themas an, und zwar natürlich aus Sicht des Handwerks und nicht der Industrie. Hier stand der After-Sales-Umsatz im Vordergrund, also z.B. das Thema „große Wartung“ für Fahrzeuge im Bestand. Da der ZDK von nur 5 % E-Autos (BEV) im Bestand von 2025 ausgeht, bleiben auch die Auswirkungen sehr gering. Doch diese Studie könnte sich als gefährliche „Beruhigungspille“ für das Kraftfahrzeuggewerbe herausstellen. Denn nach einigen Prognosen wird die E-Mobilität ab 2022 richtig Fahrt aufnehmen und 2026 die Produktionsbänder dominieren [6]. Daher wären Berechnungen für die Zeit um 2030 oder 2035 für die Gewerbetreibenden aufschlussreicher.
Mitte November 2018 veröffentlichte das Fraunhofer IAO seinen Bericht „ELAB 2.0 - Wirkungen der Fahrzeugelektrifizierung auf die Beschäftigung am Standort Deutschland“ [7]. Dort werden drei Szenarien entwickelt, die von einem langsamen, einem mittleren und einem schnellen Anstieg des Anteils der elektrischen Antriebe an der Fahrzeug-Produktion (!) 2025 bzw. 2030 ausgehen. 2030 würden in der Produktion bei einem E-Auto-Anteil von 25% bis zu 80.000, bei einem Anteil von 40% bis zu 90.000 und bei 80% bis zu 125.000 Arbeitsplätze entfallen.
Im September 2019 erschien eine Studie des Wirtschaftsberatungsunternehmens Deloitte unter dem Titel „Autovertrieb und Service 2035. Neue Antriebe, Shared Mobility und autonome Shuttles lassen Umsatz und Gewinn schrumpfen“ [8]. Zwar geht die Studie nicht ausführlich auf Arbeitsplatzverluste ein, und der Anteil von E-Auto-Neuzulassungen wird für 2035 entsprechend dem mittleren Fraunhofer-Szenario (dort bereits in 2030) auf 40% geschätzt, doch die Verwerfungen im Automobilgeschäft sind hierbei erheblich: Umsatzrückgänge von 55 Prozent im Ersatzteil-, Reparatur- und Service-Geschäft mit entsprechenden Gewinneinbrüchen, sinkende Neuwagenabsätze durch Carsharing und Autonomes Fahren, sowie der Direktvertrieb im Internet (bei Tesla schon heute üblich) treffen sowohl die Auto-Industrie als auch das Kfz-Gewerbe. Dies wird in beiden Bereichen zu erheblichen Arbeitsplatzverlusten führen, zumal mit z.B. Mobilitäts- und datengetriebenen Dienstleistungen nur wenig personalintensive Geschäftsbereiche laut der Studien dazu kommen.
Was also tun angesichts dieser wenig erfreulichen Arbeitsplatz-Aussichten in der Großen Transformation? Vielleicht müssen sich künftig Auto-Produzenten mehr als Fahrzeug-Produzenten begreifen, die die unterschiedlichen Mobilitätsbedürfnisse der Menschen – vom Fahrrad über Lastenrad, Trike, E-Motorroller bis zum Auto – befriedigen können. Damit ließen sich einige über die Jahre nach Fernost abgewanderte Arbeitsplätze zurückholen. Dazu kämen dann Mobilitätsdienstleistungen wie Fahrzeug-Vermietungen oder -Sharing. In den Autowerkstätten wird der Beruf des Kfz-Mechanikers gegenüber dem des Elektrikers immer mehr an Bedeutung verlieren. Um qualifizierte Elektriker zu halten und zugleich für eine gute Auslastung der Qualifizierten zu sorgen, könnte sich das Kfz-Gewerbe hin zu Installationen von Wallboxen, Hausspeichern und PV-Anlagen orientieren. Denn wer sich z.B. ein E-Auto anschafft, hat meist auch Interesse an einer PV-Anlage – und umgekehrt. Die Firmen des Kfz-Gewerbes könnten also ihre Kunden-Karteien gleich mehrfach verwerten.
Götz Warnke