04.10.2019
Batteriezellen bald aus Deutschlands Mitte
Ein weiteres Beispiel für „andere machen´s vor“ möchten wir an dieser Stelle vorstellen. Es geht dabei nicht um die Ankündigung in dieser Woche, dass der Autozulieferer Webasto, der auch Solardächer für PKW und Wallboxen herstellt, jetzt eine eigene Batteriefertigung startet. Dort werden „nur“ Batteriestapel zusammengesetzt und verschaltet, die Batteriezellen selbst werden importiert. Es soll auch nicht um den Konflikt zwischen den Städten Ulm und Münster gehen – beide Städte konkurrierten kürzlich um Investitionen in Millionenhöhe vom Wirtschaftsministerium für die Einrichtung einer Forschungsfertigung für Batteriezellen. Münster bekam den Zuschlag, Ulm kritisierte das Verfahren sowie die Grundlagen der Entscheidung und bemüht sich nun um weitere Fördermittel.
Baugenehmigung für Produktion übergeben
Nein, am Mittwoch dieser Woche wurde in Jena (Thüringen) eine besondere Baugenehmigung übergeben. Die Genehmigung zum Bau einer Batteriezellenproduktionshalle bei Arnstadt - der größten ihrer Art in Deutschland. Der Investor ist hierzulande nicht allzu bekannt: Contemporary Amperex Technology Co. (CATL) hat seinen Hauptsitz in Ningde an der chinesischen Ostküste, von Taiwan aus nordwestlich auf dem Festland gelegen. Auf der ees Europe (parallel stattfindende Speichermesse der Intersolar Europe in München) war CATL in diesem Jahr erstmals vertreten.
Vor Jahren schon wurde erwartet, dass aus dem Spektrum der deutschen Automobilzulieferer eine größere Investition in die Batterieproduktion getätigt wird. Doch Firmen wie Continental und zuletzt auch Bosch haben sich zurückgehalten bzw. eine solche Produktion abgelehnt. Ein Argument war das hohe Risiko, das mit einer derart großen Investition verbunden ist. Um günstige Batteriezellen fertigen zu können, muss die Produktion entsprechend groß sein, eine Investition im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich genügt hier nicht.
CATL wird nach eigenen Angaben nahe Arnstadt bis zu 1,8 Mrd. Euro investieren und eine Zellproduktion in vier Stufen aufbauen. Parallel dazu wurde der ehemalige Standort von Solarworld in Arnstadt erworben, um dort die Logistik und die Verwaltung unterzubringen. Ab 2025 soll die Produktion auch durch eine Recycling-Anlage ergänzt werden. Schon im vergangenen Jahr sprach Wirtschaftsminister Tiefensee in diesem Zusammenhang von der „bedeutendsten Industrie-Investition der vergangenen Jahre“. Und die Unternehmensleitung drückt aufs Tempo: Ursprünglich für 2022 vorgesehen, soll die Produktion nun bereits 2020 starten, schon in diesem Jahr soll erstes Personal eingestellt werden.
CATL – vom Noname zu einem der Marktführer
Doch wer ist CATL? Liest man das Gründungsdatum, das Jahr 2011, reibt man sich erstaunt die Augen. Bei uns wäre das bis heute vielleicht ein größeres Unternehmen, das immer noch den Titel „Start-Up“ trägt. Nicht so in China: CATL ist inzwischen ein Großkonzern und beschäftigt heute über 20.000 Mitarbeiter. Nach Gründung wurde zielstrebig die Li-Ionen-Technologie weiterentwickelt, zuerst für den Einsatz in Bussen, dann für PKWs. Im vergangenen Jahr folgte dann ein Börsengang. Nach Analyse der Beratungsgesellschaft Benchmark Mineral Intelligence (Bild 2) lag das Produktionsvolumen von CATL im Jahr 2018 bei knapp 40 GWh. CATL rangiert damit weltweit auf Platz 2 hinter LG Chem (51 GWh) und vor BYD (25 GWh). Doch diese Zahlen sind dynamisch: CATL verdoppelt seit 2016 jährlich seine Produktion, die Mitbewerber, zu denen auch Tesla und Panasonic gehören, expandieren ähnlich. Auch deshalb ist Geschwindigkeit einer der wichtigsten Erfolgsfaktoren im Zellgeschäft.
In Deutschlands Mitte sollen zukünftig die Batteriezellen für Elektroautos gefertigt werden. Einer der ersten Abnehmer der neuen Batterien ist BMW, weitere Kunden sollen Daimler, der PSA-Konzert (Peugeot, Citroӫn) und Volvo sein. Allein BMW hat einen langjährigen Fertigungsauftrag im Volumen von 4 Mrd. Euro vergeben. Im September wurde bekannt, dass ab 2021 auch die Nutzfahrzeuge von Daimler Trucks mit Zellen von CATL ausgestattet werden. Auch hier wird das Volumen auf einen Milliardenbetrag geschätzt.
CATL entwickelt auch die Technologie weiter: Auf der IAA im September stellte der Konzern das neue CTP-Konzept (Cell-To-Pack) vor. Bisher wurden einzelne Batteriezellen produziert, diese im nächsten Schritt in Module zusammengefügt und am Ende die einzelnen Module zu Batteriepacks verarbeitet. CATL will zukünftig auf den Zwischenschritt der Module verzichten und den kompletten Batteriepack direkt mit Zellen bestücken. Damit soll die Energiedichte um 10 bis 15 % erhöht werden, die Zahl der Bauteile wird um 40 % reduziert.
Die Autoindustrie als Zuschauer
Betrachten wir das nochmals aus der Distanz: Nachdem die deutsche Autoindustrie den Trend zum Elektroauto verschlafen hat, schwingt sich nun ein chinesisches Unternehmen auf, aus Thüringen die deutsche Vorzeigebranche mit der wichtigsten Komponente der neuen Mobilität zu beliefern. Und die Batterie definiert die Eckdaten des Elektrofahrzeugs: Kapazität, Reichweite und Preis – alles hängt zentral von der Batterie ab. Provokant gesprochen wird der Autobauer zukünftig noch die Lackfarbe bestimmen, auf die technischen Kennwerte haben BMW, Daimler und Co. aber nahezu keinen Einfluss mehr. Und nebenbei steckt in der Batterie auch rund die Hälfte der Wertschöpfung des Elektroautos. Doch die deutschen Autokonzerne sehen sich den technologischen und preislichen Wettlauf bei der Batteriezellherstellung derzeit von der Seitenlinie aus an. Nur dabei statt mittendrin.
Jörg Sutter