13.09.2019
Methan: Kontrolliertes Gegenfeuer oder Brandbeschleuniger?
"Wie sauber ist Erdgas"? lautete der Titel zu einem parlamentarischen Arbeitsfrühstück im Deutschen Bundestag am Dienstag dieser Woche. Gesprochen werden sollte über die "Klimawirkung von Erdgas unter Berücksichtigung von Methan-Leckagen aus Produktion und Transport". Eingeladen hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) zusammen mit den MdBs Dr. Lukas Köhler (FDP), Timon Gremmels (SPD), Gösta Beutin (Die Linke) und Dr. Julia Vierlinden (Bündnis 90/Grüne). Bemerkenswert war dies nicht nur, weil Methan-Leckagen ein Thema darstellen, das Politik, Energiewirtschaft und die Medien scheuen, wie der Teufel das Weihwasser. Interessant war die eineinhalbstündige Veranstaltung auch deshalb, weil sie Einblicke erwarten ließ, wie in den Oppositionsparteien über den "Fuel Switch" und das neue Erdgaszeitalter gedacht und gesprochen wird.
Gleich zu Beginn setzte Sascha Müller Kraenner, einer der beiden DUH-Geschäftsführer, seine Eckpunkte und erklärte, "wir brauchen Erdgas auch weiterhin". Wer von den Zuhörern überrascht war und nun erwartet hätte, die Veranstaltung würde in eine Laudatio für Erdgas und seine geringeren CO2-Emissionen bei der Verbrennung ausarten, sah sich allerdings getäuscht. Der eingeladene Referent, Dr. Stefan Schwietzke vom Environmental Defense Fund Europe (EDF) sprach offen über die Probleme bei den Vorkettenemissionen des Erdgases und wie gefährlich die Methanleckagen sind.
Das schien ein Kontrapunkt zur vor allem von der Gaswirtschaft vertretenen Theorie der Klimafreundlichkeit von Erdgas zu sein. Der Referent ordnete das Treibhauspotential von Methan CH4 durchaus richtig ein. Der atmosphärische CH4-Anstieg sei dreimal so hoch wie der von CO2 seit Beginn der industriellen Revolution, erläuterte er. Und ein Kilogramm CH4 ist 84mal so klimaschädlich wie ein Kilogramm CO2 über die ersten 20 Jahre. Die Reduzierung der CH4-Konzentrationen in der Atmosphäre ginge zwar schneller vonstatten als bei CO2, aber diese ersten 20 Jahre, so stellte Schwietzke fest, seien für die Einhaltung der Klimaziele entscheidend.
Diese richtige Einordnung von CH4 verknüpfte er aber - die zweite Überraschung des parlamentarischen Frühstücks - nicht der Forderung, auf die Nutzung von Erdgas so schnell wie möglich zu verzichten. Stattdessen legte er Folien auf, die von "Problemen & Chancen" handelten. Natürlich müsse nach wie vor der Fahrplan des Paris Abkommens eingehalten werden, aber CH4 habe ein großes Reduktionspotential, das es zu nutzen gelte. Schon heute ließen sich, so seine These, 75% der weltweiten CH4 Emissionen vermeiden, wenn die Erdgasindustrie nicht so „verschwenderisch“ mit ihrem Rohstoff umgehen würde. So sei der globale Gasverlust pro Jahr höher als der komplette deutsche Gasverbrauch, nämlich rund 100 Mrd. Kubikmeter. Dies entspreche einem Gegenwert von 27 Mrd. Euro.
Das gemeinsame Anliegen von Deutscher Umwelthilfe und Environmental Defense Fund Europe sei es, unabhängige Messungen und Kontrollen der Methan-Leckagen aus der Erdgasindustrie zu initiieren. Erst dann könne „die Klimawirksamkeit von Erdgas beurteilt werden – und auch erst dann können Maßnahmen zur Reduktion der klimaschädlichen Methan-Leckagen umgesetzt werden“. Deutschland als wichtigstem europäischen Gasmarkt komme dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Bundesregierung habe die Chance und die Verantwortung, hier neue Impulse zu setzen - sowohl in der Formulierung der nationalen Gasstrategie als auch in der EU-Ratspräsidentschaft 2020. Ausgangspunkt muss die Einhaltung der Klimaziele sein, und damit auch eine wirksame Regulierung zur Reduktion von Methanleckagen.
In seiner letzten Folie zeigte Schwietzke aber auch, das unabhängige Messdaten bisher nur aus westlichen Ländern vorliegen, die, wenn überhaupt, nur ungenügend ausgewertet würden. „Weiterreichende Initiativen“ seinen notwendig, um diese, wie er sagte, "Lücken" zu füllen. In unabhängigen Messdaten sieht er den "Katalysator", der dazu führen werde, das Methanproblem zu entschärfen. Wie er mit Politikern wie dem US-Präsidenten Trump und dem russischen Präsidenten Putin umzugehen gedenke, darüber sagte er nichts.
In der anschließenden kurzen Diskussion wurde diese Frage auch von den anwesenden MdBs nicht aufgegriffen. Vielmehr schienen sie von der komplexen Materie und dem angeblichen Reduktionspotential von CH4 erst einmal beeindruckt. Alleine der linke Beutin sprach sich, neben Beiträgen aus dem Publikum, als einziger MdB für den schnellstmöglichen Abschied vom Erdgas aus. Interessant an dieser Veranstaltung war vor allem, dass ein neues Narrativ präsentiert wurde, wonach nicht der Kampf gegen eine sich abzeichnende globale Erdgaswirtschaft geführt werden, sondern gemeinsam mit der Erdgasindustrie für eine langfristige Reduktion der Vorkettenemissionen gesorgt werden müsse.
Nach diesem neuen Narrativ sei die Senkung der Methanemissionen ein wichtiger Beitrag, um die Klimaziele zu erreichen. Die technischen und wirtschaftlichen Stellschrauben seien ja vorhanden und ein großes Potenzial existiere. Transparente Messdaten seien auch deshalb wichtig, „um Emissionsminderungen zu priorisieren, zu verifizieren und Bezugsquellen zu bewerten“. Dafür müsse Deutschland Verantwortung übernehmen. Am Ende klang das alles dann doch wie ein Klimaschutzkonzept aus der Industrie.
Klaus Oberzig
Environmental Defense Fund (EDF)
Folienvortrag Dr. Stefan Schwietzke, EDF