13.09.2019
Wüsten-Solar-Wasserstoff für Bayerns Autobauer?
In Hamburg laufen noch Gespräche mit potenziellen Investoren für den weltgrößten Wasserstoff-Elektrolyseur: 100 MW soll der leisten, um Windstrom in das klimafreundliche Gas zu verwandeln. Doch Elektrolyse ist nur ein Teil des kompletten Wasserstoffkreislaufs. Offensichtlich bereits viel weiter denkt deshalb der Freistaat Bayern mit dem neu gegründeten „Zentrum Wasserstoff Bayern“, kurz H2.B.
Denn H2.B hat die gesamte Wasserstoffwirtschaft von der Erzeugung bis zum Verbrauch im Blick. Im Mittelpunkt steht die Speicherung des Energie-Gases Wasserstoff (H2). Um H2.B gemeinsam mit zwei Wissenschaftlern als Vorstand zu gründen, waren am Donnerstag dieser Woche gleich drei Regierungsmitglieder nach Nürnberg gekommen. Der aus Niederbayern stammende Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler / FW) beeilte sich, zu betonen: Er selbst habe den Standort am Energie-Campus Nürnberg EnCN ausgewählt, nicht der aus der alten Reichsstadt stammende Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Denn dem Franken Söder wird aus anderen bayerischer Regionen des Öfteren vorgeworfen, den nördlichen Teil des Freistaats überproportional zu unterstützen. Vor Söders Amtsantritt gab es genau dieselben Vorwürfe aus Franken in die Richtung Südbayern, wo bisher meist die Ministerpräsidenten herkamen.
Für „anfangs 10 Mio. Euro“ (Söder) will die Regierung das auf den Weg bringen, was CSU und FW im Koalitionsvertrag festgelegt haben: Eine „Wasserstoffstrategie. Ein längst überfälliger Schritt“, wie der Regierungschef einräumte, aber auch „ein Zukunftssprung für Bayerns wichtigsten Wirtschaftsbereich Automobil. Ein optimales Netzwerk bis hin zum Schwerlastverkehr“ solle geschaffen werden, ja sogar Wasserstoff-betriebenen Flugverkehr habe man im Blick.
Die Vorstands-Professoren – die Volkswirtin Veronika Grimm und der Chemiker Peter Wasserscheid - erläuterten im Detail, was das H2.B leisten soll. Grimm, als Wissenschaftliche Leiterin des schon lange existierenden EnCN auch in Beratungsgremien der Bundesregierung aktiv, will am H2.B „Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zusammenbringen“. Zunächst werde eine „Strategie- und Koordinationsstelle eingerichtet, auf die alle zurückgreifen können“. Damit die sofort loslegen kann, werden laut Minister Aiwanger „vier Stellen aus dem EnCN umgeswitcht“. Die Posten seien aber bereits neu ausgeschrieben, konterte Prof. Grimm Ängste, das Ganze sei nur eine Verlagerung vom EnCN ins H2.B.
Das neue Wasserstoffzentrum hat sich für „die Entwicklung einer H2-Strategie im Dialog mit allen Partnern“ jedenfalls einen herausfordernden Zeitplan gesetzt hat. Veronika Grimm will „im Oktober den Strategieprozess beginnen und mit Industrie und Kommunen sprechen. Im Dezember 2019 kommt das erste Eckpunktepapier, im April 2020 ein H2-Gipfel, im Mai die H2-Konferenz“, nennt sie konkrete Daten. Grundsätzlich gehe es auch darum, dass Bayern strategische Partnerschaften mit anderen Ländern aufbaue, Demonstrationsprojekte errichte, deren Erkenntnisse „großflächig in Infrastrukturen umgesetzt werden können“. Vor allem aber solle die landesweit vorhandene „H2-Expertise vernetzt werden“.
An dieser Stelle kommt Prof. Peter Wasserscheid ins Spiel, unter anderem Direktor am Helmholtz-Institut Erlangen-Nürnberg für Erneuerbare Energie, kurz HI-ERN. Die von ihm mitentwickelte LOHC-Technologie – LOHC ist die Abkürzung von Liquid Organic Hydrogen Carrier, eine ungefährliche Art der Speicherung von H2 in einem flüssigen Trägermedium – steht offenbar im Zentrum der bayerischen H2-Pläne. Insgesamt gehe es darin um den Fragenkomplex: Was ist notwendig, um H2 im Energiesystem besser nutzen zu können? Doch besonders wichtig ist laut Wasserscheid, „Erzeugungs- und Verbrauchsorte zu verbinden“. Denn für Flüssigwasserstoff oder H2 unter hohem Druck brauche es neue Infrastrukturen. LOHC dagegen könne per Schiff oder Lkw transportiert werden. Ein anderer Ansatz sei: Warum wird H2 unter Normaldruck nicht einfach durch die bestehenden Erdgasfernleitungen geschickt?
Laut Wasserscheid geht es im neuen H2.B auch um die effiziente Anwendung „des werthaltigen H2 in Mobilität und Industrie. Bislang fehlen dafür noch Produkte, Anlagen, Wirtschaftlichkeit.“ Letztere werde von der Industrialisierung profitieren. Dafür aber müssten neue Produktionstechniken in realen Forschungsfabriken entwickelt werden, um hinterher „konkurrenzfähige Konversions- und Speichereinheiten produzieren zu können“, so der H2.B-Co-Vorstand.
Von seiner Kollegin Veronika Grimm erhält er dafür volle Zustimmung. H2 sei „ein wichtiger Schlüssel für die Energietransformation“. Und wenn man an das optimale Zusammenspiel verschiedener Komponenten denke, könne das ein „Wettbewerbsvorteil gegenüber Österreich, Japan, China sein, die strategisch schon viel weiter sind“. Doch gerade in Bayern gebe es „exzellente Grundlagen für die H2-Wirtschaft: Wir sind in der universitären und außeruniversitären Forschung hervorragend aufgestellt, auch in den komplementären Feldern“, also bei der Technik rundherum. Die Volkswirtin erkennt deshalb „eine gute Position für wasserstoffbasierte Mobilität“ und sogar für den Freistaat „eine gute Chance, Marktführer zu werden“.
Den Weg dahin soll die gleichzeitig unterschriebene „Absichtserklärung Wasserstoffbündnis Bayern“ ebnen. Von Audi über BMW, Bosch, Hydrogenious, Linde, MAN, Schaeffler bis zu Siemens waren 16 Firmen bereits beim Start dabei – neben der Staatsregierung. Aber das Bündnis sei „offen für alle anderen Interessierten aus der Wirtschaft“, stellte Prof. Grimm klar. Doch egal, wer alles dabei ist: Schon nächstes Jahr soll „die weltweit erste LOHC-Tankstelle stehen“. Bis 2023 will Hubert Aiwanger sogar 100 solcher H2-Zapfsäulen in Bayern haben – des Henne-Ei-Problems wegen: „Keine Tankstellen, keine Autos.“ CSU-Wissenschaftsminister Bernd Sibler hob ergänzend hervor: Wasserstoff sei „ein spannendes Element, die Nr. 1 im Periodensystem. Bei der Nutzung kommt hinten nur Wasser raus. Und wir Bayern haben die Sicherheit im Griff“ - dank der Expertise von Wissenschaftlern wie Peter Wasserscheid und anderer Professoren, gerade aus Nürnberg oder Erlangen.
Nicht nur deshalb versprach Energieminister Aiwanger bereits beim Start von H2.B: Mit weiteren Projekten werden auch Budget und Mitarbeiterzahl wachsen. Für ihn ist jedenfalls bereits „genug geforscht. Nun müssen wir das Wasserstoffauto aus Bayern liefern, und zwar sehr schnell. Genauso müssen das Lkw-Hersteller schaffen, um die Klimaziele zu erfüllen“, nannte er zwei mögliche Entwicklungsrichtungen.
Bei Pkw setzt der FW-Minister im Übrigen auf ein „Nebeneinander von Batterie- und Brennstoffzellen-Autos: Die mit H2 werden die weiteren Strecken fahren, die mit Batterien die kürzeren.“ Aufgehorcht haben aber viele Teilnehmer der Start-Veranstaltung vor allem, als er erklärte, wie und wo der Wasserstoff produziert werden soll: „Wir denken auch international. Viel H2 wird aus Regionen wie Nordafrika kommen, über LOHC mit Schiffen transportiert aus Ländern mit viel Sonne und Wind“ - und viel Platz. Dort gebe es auch keine Anwohner, und deshalb keine Diskussionen um 10H-Abstandsregeln: Auf diese 10-fache Entfernung zwischen Windrädern und Wohngebieten besteht in Bayern bekanntlich weiterhin der FW-Koalitionspartner CSU.