09.08.2019
Methan, ein Megaproblem der Klimakrise
Unbemerkt von der öffentlichen Diskussion vollzieht sich zurzeit in Deutschland, aber auch weltweit ein dramatischer Wandel beim Brennstoffeinsatz zur Strom- und Wärmeerzeugung. In Deutschland ist dies unter den Begriff "Fuel switch" bekannt geworden. Es ist die modernere Variante der alten Theorie vom Erdgas als der Brückentechnologie. Sie soll den Erneuerbaren Energien angeblich zum Durchbruch verhelfen. Die Erzähler dieser Geschichte sprechen nur vom Verbrennungsprozess und dessen geringeren CO2-Emissionen im Vergleich zur Kohle. Das ist eine sehr selektive Betrachtungsweise, die sich nicht damit auseinandersetzt, dass Methan, aus dem Erdgas zum allergrößten Teil besteht, nicht vom Himmel fällt, sondern einen langen Prozess der Förderung, der Reinigung und des Transports hinter sich hat, bevor es vor Ort verbrannt wird.
Vielen Befürwortern einer Solarisierung kommt das regelrecht ungelegen, denn das deutsche Narrativ vom Ablauf der Energiewende ist eine liebgewordene Theorie, die einem kuscheligen Ofen gleicht, hinter dem man nicht gerne hervorkriecht. Aber die Nutzung von Erdgas ist kein nationaler Alleingang, begrenzt auf Deutschland. Der Stoff wird weltweit gefördert, transportiert und eingesetzt. Das Thema Methan ist kein nationales, es ist ein globales Problem und zwar ein Megathema. Wer behauptet, die Reduzierung der CO2-Emissionen bei der Stromerzeugung sei ein Fortschritt im Kampf gegen die Klimakrise, der hat entweder den Schuss nicht gehört oder argumentiert bewusst verschleiernd. Denn das Problem besteht in seinen sogenannten Vorkettenemissionen, wie auch jenseits des Einsatzes bei der Strom- und Wärmeerzeugung.
Und gerade bei den Methan-Ausgasungen aus den auftauenden Permafrostböden der arktischen Regionen Russlands, Kanadas und Alaskas steigen seit zwei bis drei Jahren Methan und CO2 in ungeahnten Mengen in die Atmosphäre. Wie unter anderem Klimaforscher des Alfred-Wegener-Institut und des Potsdam Institut für Klimafolgenforschung sagen, sei einer der großen Kipppunkte im Klimasystem durchgegangen: die Permafrostböden tauen 70 Jahre früher auf als die verschiedenen Klimamodelle des IPCC vorhergesagt hatten. Auch die unter der Überschrift des „Tierwohls“ geführte Diskussion zum Fleischkonsum – nicht alleine der Deutschen, sondern weltweit – adressiert das Thema Methanemissionen. Zu viele Rinder, zu viele Methanemissionen.
In seinem Vortrag "Erdgas umweltfreundlich? Methan – das unterschätzte Klimagas" warnt Professor Martin Creuzburg, emeritierter Physikprofessor der Universität Regensburg, gerade zum jetzigen Zeitpunkt, den Einsatz von Erdgas zu forcieren. Das Gegenteil müsse der Fall sein. Er vertritt dabei die gleichen Positionen wie Professor Robert Howard von der Cornell University New York, der Erdgas als "A Bridge to Nowhere" bezeichnet. Zwischen beiden mag es im Detail Unterschiede in der Berechnung der Vorkettenemissionen geben, aber im Ergebnis stimmen beide überein, dass Erdgas bereits bei einer Leckage von 3 % mindestens so klimaschädlich sei wie die Kohle.
Zur Verdeutlichung dieser Zusammenhänge nochmals ein Zitat aus dem Vortrag von Prof. Creuzburg: „Erdgas, also Methan, CH4, wird als umweltfreundlich gepriesen, weil bei seiner Verbrennung nur 0,20 kg CO2 pro kWh Heizenergie entstehen, bei Heizöl aber 0,28 und bei Kohle 0,35. Dabei wird nicht bedacht, dass bei der Förderung und Verteilung von Erdgas bis über 10 % unverbranntes Methan in die Atmosphäre gelangen. Das Methan-Molekül ist 56 mal klimawirksamer als CO2; sein CO2-Klimaäquivalent ist 56. Allerdings ist die Verweildauer von Methan in der Atmosphäre ca. 10 mal kürzer als die von CO2, aber in den 10 bis 20 Jahren, die uns noch für die Klimarettung verbleiben, ist CH4 immer noch 45 mal wirksamer als CO2, und nicht 20 mal, wie oft behauptet wird. Zu jedem Molekül CO2, das bei der Verbrennung eines CH4-Moleküls entsteht, kommen also bei 10 % Leckagen noch 45 * 10 % = 4,5 CO2-Klimaäquivalente durch das unverbrannte Methan dazu. Die Erdgaswirtschaft ist also nicht halb so Klima schädlich wie die Kohlewirtschaft (s.o.), sondern 0,5 * (1 + 4,5) = 2,75 mal Klima schädlicher.
In welcher Dimension man sich die Leckagen tatsächlich vorzustellen hat, macht die Erdgasindustrie selber deutlich. Um zu belegen, wie sehr sie sich anstrengen will, das Methan-Problem abzumildern, schrieb sie bereits 2017: „…die Umsetzung aller kosteneffizienten Maßnahmen zur Reduzierung der Methanemissionen weltweit hätte die gleichen Auswirkungen auf den langfristigen Klimawandel wie die Schließung aller bestehenden Kohlekraftwerke in China.“ – Wohlgemerkt: nur die „kosteneffizienten“ Maßnahmen würden die Methan-Emissionen um das Äquivalent von jährlich 4 Milliarden Tonnen CO2 (= Ausstoß der chinesischen Kohlekraftwerke) verringern. Die gesamte Emission in der Erdgas-Wertschöpfungskette liegt also darüber!
Was aus den Besserungsvorhaben der Erdgasindustrie geworden ist, ist bislang unbekannt, im Vordergrund steht ja seither die Expansion. Also Pipelinebau, LNG-Terminals und Gasmotorenkraftwerke für eine neue KWK.
Ca. 3,5 Prozent der weltweiten Erdgasförderung werden aus Kostengründen abgefackelt. Das sind 143 Milliarden Kubikmeter, wodurch 350 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt werden, was 10 Prozent der CO2-Emissionen aller EU-Staaten entspricht. (Dagmar Röhrlich in Wissenschaft – News & Aktuelles aus der Wissenschaft, 3.02.2016)
Zu allen Rechnungen hinzu kommen die Emissionen (und Auswirkungen) nach Beendigung der Förderung. Bei endgültig verschlossenen Bohrungen kann man keineswegs davon ausgehen, dass sie dicht sind. Das restliche Erdgas steht immer noch unter Druck. Man rechnet bei den ca. 3 Millionen alten, verlassenen Bohrlöchern alleine in den USA mit 20 Tonnen Austritt pro Loch und Jahr. Früher oder später werden auch die stählernen Mantelrohre der Korrosion unterliegen, womit alle zuvor getroffenen Abdichtungsmaßnahmen wirkungslos werden. - Auch damit bereiten wir unseren Folgegenerationen ein Geschenk, wofür sie sich "bedanken" werden. Wie die Lage in Russland, dem Hauptlieferanten für Deutschland aussieht, bleibt im Dunkeln. Auf alle Fälle werden die auftauenden Böden Sibiriens die Probleme der dort verbauten Pipelines nicht verkleinern.
Auch die giftigen Hinterlassenschaften der Erdgasförderung stellen ein Entsorgungsproblem dar, da Deponieraum zunehmend zur Mangelware wird. Lagerstättenwasser werden in Versenkbohrungen entsorgt. In Niedersachsen wurde am 19.07.2019 bekannt, dass durch Undichtigkeit einer solchen Bohrung bis zu 220.000 m³ Lagerstättenwasser (200 bis 300 Gramm Salze pro Liter) in einen oberen Grundwasserleiter gelangt sind. Zur Klimaschädlichkeit des Erdgases hinzu kommen also erhebliche Umweltauswirkungen, die von den Akteuren der Energiewende - die doch bestimmt eine ganzheitliche Betrachtungsweise pflegen möchten - nicht außer Acht gelassen werden können.
Es wäre wünschenswert, wenn die Organisationen der Klimaschützer und der Energiewendefreunde sich anlässlich der Diskussionen um die LNG-Infrastruktur endlich auf eine einheitliche Position zu Methan einigen könnten. Das Narrativ der Brückentechnologie sollte auf den Müllhaufen der Geschichte gepackt und der Einsatz von Erdgas schnellsten gestoppt werden. Nach der Kohle müssen im Interesse aller Menschen auf diesem Planeten nicht Methan, sondern alleine die Erneuerbaren Energien forciert werden. Und das wird nicht mit marktlenkenden Mitteln zu erreichen sein, sondern alleine durch Beschlüsse des IPCC, an die sich alle Industrien und Regierungen zu halten hätten.
Klaus Oberzig
Folienvortrag Prof. Martin Creuzburg, "Erdgas umweltfreundlich? Methan – das unterschätzte Klimagas"