12.07.2019
Eine Wohnsitz-Gemeinde will Energiekommune werden
Die Bürger von Neusitz (Mittelfranken) sehen die Energiewende als Chance, die Dorfgemeinschaft zu stärken und bauten bereits einen Bürger-Solarpark. Im Ort steht vor fast allem das Wort "Energie-": vor dem Konzept, dem Team, den Tagen, dem Stammtisch, der Genossenschaft. Auf ihrem Weg hin zur Energie-Kommune werden Aktiven unterstützt von der Ländlichen Entwicklung Bayern.
Neusitz liegt keine drei Kilometer entfernt vom romantischen Mittelalterstädtchen Rothenburg ob der Tauber in Mittelfranken. Die Nähe zu der nicht nur schönen, sondern auch wirtschaftsstarken Stadt ist für die Neusitzer Fluch und Segen zugleich: „Wir haben keinen Supermarkt, keinen Metzger und keinen Bäcker. Aber in fünf Minuten Entfernung gibt es alles“, erzählt der zweite Bürgermeister Florian Meyer im Rathaus. „Tote Hose“ herrscht in Neusitz aber keineswegs: Es gibt zum Beispiel ein Gewerbegebiet mit Autohaus und Fitnesscenter, eine Montessori-Grundschule und einen Kindergarten mit Mensa. Neusitz ist ein beliebter Wohn- und Gewerbe-Standort, wozu auch der direkte Autobahnanschluss beiträgt.
Die Autobahn A7 trennt den Ort nicht nur von der Stadt Rothenburg. Sie durchzieht das Gemeindegebiet auch in einem großen Schwung von Süd nach Nord. Um das früheren „Haufendorf“ Neusitz herum sind in den letzten Jahrzehnten viele Wohngebiete außerhalb des Altdorfes entstanden.
Unter diesen Vorzeichen wurde die Energiewende in Neusitz auch als Chance erkannt, die Dorfgemeinschaft zu stärken. 2013 gab der Gemeinderat ein Energiekonzept in Auftrag, dessen Erstellung vom Amt für Ländliche Entwicklung in Ansbach unterstützt wurde. Darüber hinaus sollte das Konzept dem Gemeinderat eine Entscheidungshilfe in seiner Planungshoheit sein – vor allem bei Vorhaben mit großen Bioenergie-, Windkraft- oder Solaranlagen. Von Anfang an begleitete ein „Energieteam“, das sich bei der Auftaktveranstaltung zusammenfand, die Arbeit des Planungsbüros Klärle. Viele themenbezogene Sitzungen wurden gehalten. Dem Energieteam gehörten 27 Freiwillige aus unterschiedlichsten Berufen an. Die Planer loben im Abschlussbericht des Energiekonzeptes das „enorme Wissens- und Erfahrungspotenzial“ im Team.
Im Mai 2014 widmete die Gemeinde dann das ganze Kirchweih-Wochenende ihren „Energietagen“. Mit einer Ausstellung, Vorträgen und großem Rahmenprogramm wurde den Bürgern das fertige Energiekonzept präsentiert. Darin hatten sich zwei Maßnahmen herauskristallisiert, die verstärkt und zeitnah angegangen werden sollten: zum einen eine gemeinsame Wärmeversorgung, zum anderen die Einführung energieeffizienter Geräte und Leuchtmittel. „Mit der Einladung zu den Energietagen bekam jeder Haushalt eine LED-Lampe vor die Haustür gestellt“ erinnert sich 2. Bürgermeister Meier. 5000 Euro habe diese Aktion die Gemeinde gekostet. Doch der Erfolg, sprich die Sensibilisierung der Bürger, blieb nicht aus: Kurz danach konnte die Gemeinde eine große Sammelbestellung abwickeln. Vor drei Jahren wurde außerdem die Straßenbeleuchtung in Neusitz auf LED umgerüstet. Meyer sagt, die erste Auswertung habe einen um 60 Prozent verminderten Stromverbrauch ergeben.
Solarpark: schwere Geburt!
Für die Umsetzung des Energiekonzepts gründeten die Energieteam-Mitglieder einen offenen „Energiestammtisch“ mit regelmäßigen Treffen einmal im Monat. Parallel beauftragte die Gemeinde die Energieagentur Nordbayern mit der Umsetzungsbegleitung. In diesem Rahmen wurde die Realisierbarkeit eines Solarparks als Bürgeranlage geprüft: Rasch fand sich eine geeignete Fläche in der Gemarkung Schweinsdorf direkt an der Autobahn. Im Lauf des Jahres 2016 änderte die Gemeinde den Flächennutzungsplan und stellte für die in ihrem Besitz befindliche Fläche den vorhabenbezogenen Bebauungsplan „Solarpark Neusitz“ auf.
Weil mit der Neufassung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2017 Ausschreibungen eingeführt werden sollten, bekam das Projekt Priorität. Anstatt mit einer Größe von einem Megawatt wurde der Solarpark in zwei Teilen zu je 750 kW realisiert, um sich so die Festvergütung zu sichern. Betrieben werden sollte die Anlage von einer Genossenschaft, die es aber noch gar nicht gab. „Bei uns war es andersrum als üblicherweise: Erst war das Projekt da, dann wurde die Genossenschaft gegründet“, erzählt Meyer. Wenn auch andere Betreiberformen im Gespräch waren, fiel die Entscheidung doch eindeutig für eine Genossenschaft: „Es sollten sich so viele Bürger wie möglich beteiligen können. Das war immer Prämisse“, sagt Eva-Maria Fell vom Amt für Ländliche Entwicklung Mittelfranken.
Doch um den Solarpark in Bürgerhand zu realisieren, übernahm ein Unternehmen aus dem nahen Crailsheim, Ingenia Projects, die Zwischenfinanzierung: Ingenia erwarb zunächst von der ausführenden Solarfirma den ersten, fertiggestellten Photovoltaikanlagenteil. Im Juni 2017 gründete sich die Energiegenossenschaft (EG) Neusitz eG offiziell. Und die kaufte im Dezember desselben Jahres die Anlage von Ingenia zurück. Der zweite PV-Teil ging dann im April 2018 in Betrieb.
25 Prozent Eigenkapital eingeworben
Laut Michael Bayer, zweiter Vorstand der EG Neusitz, habe die EG ein Viertel des Investitionsbedarfs mit Eigenkapital decken können. Hierzu seien 375 Anteile zu je 1000 Euro von über 90 Genossen gezeichnet worden. Circa 60 Prozent der Genossen seien Gemeindebürger. Jeder Eigner konnte bis zu 20 Anteile erwerben, hat aber in der Generalversammlung nur eine Stimme. Auch die Gemeinde beteiligte sich mit 18 Anteilen. „In den ersten zwei Jahren bilden wir erstmal Rücklagen“, lässt Bayer einblicken. Die Auszahlung einer Dividende werde dann in der jährlichen Generalversammlung beschlossen.
Unter dem Dach der EG haben die Neusitzer jedoch die Möglichkeit, weitere Energieprojekte umzusetzen, zum Beispiel eine Nahwärmeversorgung. Angedacht war zunächst eine kombinierte Wärmeerzeugung aus Holzhackschnitzeln und Solarkollektoren.
Denn „in Neusitz heizen fast alle mit Öl“, sagt Meyer, „viele Heizungen wären alt genug, um eine Sanierung anzugehen.“ Bei einer Fragebogenaktion sei jedoch der Rücklauf enttäuschend gewesen, sodass die Entscheidung fiel, das Projekt vorerst nicht weiter zu verfolgen.
Christian Dany