24.05.2019
Brüssel oder Moskau
Das Skandalvideo von Ibiza und die dadurch ausgelöste Regierungskrise in Wien werden von manchen als Problem eines kleinen Nachbarlandes abgetan. Andere wiederum sehen es im Gesamtzusammenhang der rechten und faschistoiden Tendenzen, die weltweit in erschreckendem Ausmaß um sich greifen. Aber die Frage, ob das, was in Österreich so spektakulär in die Medien gehievt wurde, tatsächlich ein singulärer Vorgang ist, der bei uns in Deutschland unmöglich wäre, wird weder gestellt, noch beantwortet. Kann man sich in Deutschland also beruhigt zurücklehnen und zum Alltagsgeschäft übergehen? Ganz so einfach stellt sich das wohl nicht.Natürlich gibt es hierzulande Fragen nach den Geldquellen einer AfD, die offenbar eine politische Freundschaft zu Putin pflegt. Und natürlich verfolgt man auch die Diskussionen in den USA um eine mögliche Russlandconnection von Präsident Trump, zumal die Deutsche Bank in einer noch unklaren Art und Weise darin verwickelt zu sein scheint.Aber gehen wir auf eine andere Ebene und betrachten konkret das Thema Energie, das in Russlands Wirtschaft und Politik immer im Mittelpunkt steht und mit der globalen Machtpolitik unlösbar verwoben ist. Es gibt seit Jahrzehnten eine enge politische Beziehung zu Russland bzw. zur damaligen Sowjetunion. Sind diese Verhältnisse so transparent und offen, dass man sie mit der aktuellen österreichischen Schmierenkomödie um Vizekanzler Heinz-Christian Strache von der FPÖ überhaupt nicht vergleichen könnte? War da nicht ein Kanzler Schröder, der, nachdem ihm im Juli 2005 angesichts der Hartz IV Debatten seine parlamentarische Mehrheit plötzlich nicht mehr ausreichend erschien, ein Misstrauensvotum und Neuwahlen vom Zaun brach? Am 18. September 2005 verlor er diese und musste sein Amt an Angela Merkel übergeben. Sie machte in der Energiepolitik genau da weiter, wo Schröder aufgehört hatte.
Schröder begleitet diesen Kurs nahtlos bis heute aus dem Sessel eines hochdotierten Repräsentanten des russischen Konzerns Gazprom. Eine eigenartige Geschichte, innerhalb weniger Wochen vom Kanzler der Bundesrepublik Deutschland in die Führungsetage eines russischen Mega-Konzerns zu wechseln. Seither wurde in der Energiepolitik ja auch viel bewegt. Erdgas wurde zur Brückentechnologie erklärt, ohne die die Solartechnologie nicht zum Zuge kommen würde. Von wem stammt dieses Narrativ? Vermutlich von irgendeiner im Dunkeln arbeitenden Denkfabrik, deren Auftrag und Finanzierung ewig ungeklärt bleiben wird. Interessierten Beobachtern wird wohl noch in Erinnerung geblieben sein, dass der energiegeladene Peter Altmaier, weiland Umweltminister, in jeder seiner Reden feststellte, die Energiewende dauere zu lange. Sie bräuchte deshalb eine Brücke, die ihr den Weg über die tiefe Schlucht der mangelnden Wirtschaftlichkeit bereite. Eine scheinbar einleuchtende Metapher, die zwar falsch, aber immerhin so verfänglich war, dass selbst heute noch Solarfreunde an ihr hängen.
Allerdings wurde das Altmaier‘sche Narrativ Monate später von seiner Chefin neu ausgerichtet. Angela Merkel erklärte, die Energiewende gehe zu schnell und brauche dringend eine Atempause. Die kam dann auch prompt in Form der Ausschreibungen für PV und Wind und einem Bündel von Hindernissen und Hinterhältigkeiten, zu der eine in Marsch gesetzt deutsche Bürokratie nun einmal fähig ist. Im Hintergrund arbeiteten längst Gazprom und einige deutsche Konzerne wie z.B. Eon und BASF/Wintershall am Projekt der direkten Anbindung Deutschlands an das russische Pipelinenetz, ohne den Unwägbarkeiten der noch jungen osteuropäischen Demokratien ausgesetzt zu sein. Am 2. Dezember 2005 wurde Nord Stream als Aktiengesellschaft nach Schweizer Recht gegründet. Vorsitzender des acht Mitglieder umfassenden Aktionärsausschusses ist als einer von vier Vertretern der Gazprom der deutsche Altbundeskanzler Schröder.
Nach sechs Jahren Bauzeit wurde am 8. November 2011 die Ostseepipeline Nord Stream 1 eingeweiht. So wurde Deutschland zur Drehscheibe im westeuropäischen Gasgeschäft. Und es wurden die Weichen für das gestellt, was man heute den „Fuel Switch“ nennt, die Ablösung der Kohle durch Erdgas. In absehbarer Zeit wird die Nord Stream 2 Pipeline in Betrieb gehen, die wie ihr Schwesterprojekt die früheren Durchleitungsstaaten, vor allem Polen, vom Geschäft mit dem Gastransport ausschließt.
Aber es passierte noch etwas anderes, sehr Erstaunliches. Obgleich die Akteure im deutsch-russischen Gasgeschäft die Gleichen blieben, veränderte sich das Narrativ von der Brückentechnologie nicht und blieb intakt. Es wurde zu einer Art Glaubensbekenntnis der Energiewendebewegung. Das anrüchige Gemauschel hinter den Kulissen, was heuer in Österreich für Aufregung sorgte, wurde in Deutschland stillschweigend hingenommen. Die dubiose deutsch-russische Erdgas Connection wurde erst vom US-Präsidenten Donald Trump frontal angegriffen. Die Konkurrentin im Gasgeschäft erwies sich als mutiger als diejenigen, die für Solar und Klimaschutz zu kämpfen vorgaben. Die Energiewendebewegung hat sich mehrheitlich längst unter eine gasdichte Blase zurückgezogen, in der sie ihre deterministischen Träume einer Energiewende mit der Sonne weiterspinnen kann, ohne die milliardenschweren Investitionen fossiler Großkonzerne und die sie unterstützende der Hand der Politik zur Kenntnis zu nehmen.
Interpretieren lässt sich das nur in eine Richtung: Teile der Protagonisten eines Solarzeitalters haben längst den Glauben an ihre eigene Vision verloren. Sie sind eingeschwenkt auf die völlig andere Erzählung über eine Energiewende, wie sie von den fossilen Konzernstrategen und ihren Politikern entwickelt wurde und über alle Massenmedien verbreitet wird. Es ist die Geschichte von der Digitalisierung der Energiewende, dem notwendigen Netzausbau und der Wirtschaftlichkeit großer, zentraler Lösungen. Man könnte es auch so sagen: große Teile der Energiewendebewegung haben ihre innere Unabhängigkeit, Expertise und Politikfähigkeit verloren und sich der Führung ihrer ehemaligen Kontrahenten unterworfen.
Soll damit gesagt werden, die Energiewende oder die Solarisierung der Gesellschaft sei tot - so tot, wie es aktuell manche von der Solarthermie behaupten? Mitnichten. Aber die Bewegung für Klimaschutz und Solarisierung steht mit dem Rücken zur Wand und wird große Anstrengungen unternehmen müssen, um wieder festen Boden unter den Füßen kriegen. Deutlich wird das auch an der Fridays for Future Bewegung, die als eine indirekte Kritik an den in die Jahre gekommenen Solarfreunden der Republik verstanden werden kann. So ist es denn keine Übertreibung und schon gar keine Verschwörungstheorie, wenn man angesichts der Entgleisungen des Ex-Vizekanzler von der FPÖ auf den Gedanken kommt, über den eigenen Beritt nachzudenken. Man sollte aber aufpassen, dass man die geistige Abhängigkeit von einer deutsch-russischen Gas Connection nicht gegen eine US-amerikanische eintauscht. Wenn am Sonntag das Europaparlament gewählt wird, geht es auch darum, die Weichen für eine europäische Energiewende zu stellen, der es mit der Zeit gelingen muss, sich von der fossilen Vorherrschaft in den Köpfen der Europäer zu emanzipieren..
Klaus Oberzig
Nord Stream AG