29.03.2019
Zukunftsoptionen regenerativer Wärme
Die Abkehr von fossilen Heiz- und Brennstoffen bringt eine Verschiebung des ökonomischen Schwerpunktes von den Brennstoffkosten zu den Anlagen- und Systemkosten. Das bedeutet einen Paradigmenwechsel. Die sogenannten Grenzkosten tendieren gegen Null und ermöglichen neue Wärme- und vor allem Geschäftsmodelle. Dies ist bislang leider eine wenig realisierte Erkenntnis. Auch in der DGS wird - neben Berichten über einige innovative Wärmelösungen – recht traditionell mit erneuerbarer Wärme umgegangen. So diente der Leitfaden Solarthermie einer ganzen Generation von Energieberatern, Planern und Installateuren als Grundlage für ihre Aktivitäten bei der Errichtung bivalenter Heizsysteme.
Einen Entwicklungssprung hatten vor Jahren Wärmepumpen gebracht. Sie können als ein Beginn der Ablösung vom bivalenten, fossilen Heizungssystem angesehen werden, die die Rolle der Erneuerbaren im Wärmebereich verändern. Die Kombination von Wärmepumpen, erweiterten Speichermöglichkeiten und Solarthermie führt zu neuen Perspektiven. Hinzu kommen Energiemanagementsysteme, die Absenkung der Systemtemperaturen und Wärmerückgewinnung. Dies wird in letzter Zeit begleitet von Innovationen bei einzelnen Technologien, z.B. PVT-Kollektoren und Kapillarrohr-Technologie. Betrachtet man jedoch die Statistik des BDH für das Jahr 2018, hat sich im Heizungsmarkt erst einmal nichts ändert. Gasbrennwert dominiert nach wie vor. Die Klammer der politischen Rahmenbedingungen hält wohl noch. Das ist eine Seite der Mediaille.
Die andere ist die Frage, wie wir selbst das Thema der zweifellos vorhandenen Innovationen im Wärmebereich angepackt haben. Unser bislang präferiertes Paradigma lautete, wir müssten beweisen, dass solare Wärmelösungen nicht teurer sind als herkömmliche, fossile. Zudem haben wir den Markt wohl mehr oder weniger monolithisch wahrgenommen. Es gab und gibt wenig differenzierte Vorstellungen über die Kunden solcher Wärmelösungen und folglich auch wenig Versuche, differenzierte Antworten zu finden. Es ist eine defensive Haltung, die letztlich immer nur auf das Narrativ der Gegenseite reagiert hat, erneuerbar und solar sei zu teuer, unwirtschaftlich und würde deshalb beim Publikum nur bei attraktiver Förderung ankommen. Die technische Entwicklung hat aber längst einen Stand erreicht, bei dem wir den Spieß rumdrehen können. So existieren rein regenerative Lösungen, mit denen Amateurvermieter und die Wohnungswirtschaft Geld verdienen können. Also nicht Geld sparen, sondern mit innovativen Geschäftsmodellen Geld verdienen! Darin liegt ein Paradigmenwechsel, der auch von einer Organisation wie der DGS noch bewusster wahrgenommen und verstoffwechselt werden muss. Denn mit einem Automatismus nach dem Motto Innovationen setzen sich ganz alleine durch, notfalls später, wird man der Thematik nicht gerecht.
Erst die Verknüpfung und kombinierte Anwendung mehrerer Innovationen bringt neue Wärmekonzepte hervor. Allerdings ist die Idee, mit dem jeweiligen Gebäude mehr Energie zu erzeugen, als das Haus für seinen Betrieb selbst braucht, noch kein Wendepunkt. Solange dieser Überschuss rein bilanziell bleibt, ist noch nicht viel erreicht. Solange die Abkehr von der althergebrachten Hydraulik, die Senkung der Systemtemperaturen und die Erschließung der Niedertemperatur-Solarthermie nicht vollzogen wird, hilft auch eine intelligente Steuerung nicht viel. Etwas neuer ist auch der Gedanke, dass Ökostrom von außerhalb des Gebäudes eingesetzt werden kann. Erst auf dieser Ebene entstehen rein regenerative Konzepte, die alle fossilen Komponenten hinter sich lassen.
Für rein regenerative und fossilfreie Häuser lassen sich aktuell drei Entwicklungstendenzen festmachen, die diskutiert werden sollten:
- Senkung der Systemtemperaturen: Erschließung von Niedertemperatur-Solarthermie in Verbindung mit Wärmepumpen, Fußbodenheizungen und Kapillarrohrtechnologie
- Externer Ökostrom als feste Komponente zum Fluktuationsausgleich: Das sollte nicht nur für Sonnenhäuser mit Solardächern (PV und Thermie), Langzeitspeichern (Typ Jenni) und integrierten Heizpatronen für Ökostrom gelten; interessant für Energie- und/oder Wohnungsgenossenschaften
- Separate (externe) Wärmequellen für Wärmepumpen: In Plus-Häusern (oder Effizienz- bzw. Aktivhäusern u.a.) können gut zugängliche, externe Energiequellen wie Kanalisationssysteme, industrielle Abwärme- und Kühlsysteme integriert und mit dem Gebäude vernetzt werden.
Die neuen Formen der Vernetzung, oder nennen wir sie Verbundlösungen, werden durch digitale Steuerungs- und Energiemanagementsysteme erst möglich. Und dies bedeutete nicht nur auf der physikalischen Ebene einen Sprung, der mit fossilen nicht möglich ist.
Der Switch zu rein regenerativer Energie bringt einen Paradigmenwechsel auf der ökonomischen Ebene: da Erneuerbare Energien keine Brennstoffkosten verursachen, richtet sich der Fokus auf die Systemkosten der Haustechnik. Als Anforderungen sollte gelten: die Investitionen müssen nicht (reflexartig) so günstig wie möglich gestaltet werden. Es könnte vielmehr die Frage sein, ob sich damit eine Rendite erzielen ließe. Schauen wir uns das EFH an. Unter der Bedingung, dass die Investitionen in Gebäude und Haustechnik in einem richtigen finanziellen und zeitlichen Verhältnis stehen, ergibt sich die Situation, dass mit dem Ende der Abzahlung eine weitgehend kostenfreie Immobilie zur Verfügung steht. Das eröffnet neue Lebensentwürfe für die Besitzer im Alter und im Ruhestand. Das Haus kann zum Bestandteil und Eckpfeiler einer Altersversorgung werden. Das wird nicht für alle EFH-Besitzer gelten. Für die Vielzahl unterschiedlicher Fälle gilt es, Modelle zu entwickeln, die sich an den finanziellen Möglichkeiten der Besitzer orientieren. Egal ob Neubau oder Bestand. Aber haben wir bislang so gedacht?
Beim Mehrfamilienhaus zielt das Konzept nicht auf eine kluge Alters- und Familienplanung der Eigner, sondern kann zu einem neuen Geschäftsmodell werden: der Flat Miete. Denn wenn die Grenzkosten gegen Null tendieren, wird die Investition in die Haustechnik unter veränderten Gesichtspunkten zum integralen Bestandteil der Gesamtinvestition und bestimmt die Kalkulation der Miete. Heizkosten, Abrechnungsaufwand mit Fremdfirmen, persönliche und juristische Konflikte zwischen Mieter und Vermieter entfallen. Die Warmmiete kann zur Flat-Miete gewandelt werden, die auf Jahre stabil bleibt, weil sie konstant gehalten werden kann. Der Hausbesitzer bzw. Investor bekommt Zugriff auf diejenigen Teile der Warmmiete, sprich die Brennstoffkosten, die der Mieter zuvor an den Energieversorger bzw. Brennstofflieferanten abgedrückt hatte. Das verbessert die Rendite und beschleunigt den Return of Investment. Es sage niemand, es fänden sich hierzulande nicht genügend potente Mieter, die mitziehen würden.
Bei veränderten Geschäftsmodellen werden die Erneuerbaren Energien nicht mehr nur unter dem Gesichtspunkt der Energieeinsparung und ihres Beitrages zum Klimaschutz betrachtet, noch besteht der Konkurrenzdruck zu fossilen Systemen, bei denen die Investkosten auf vergleichbarem Level gehalten werden müssen. Die angeführten Beispiele sind weder erschöpfend noch langjährig praxiserprobt. Aber sie existieren als Leuchtturmprojekte bzw. in kleiner Stückzahl. Die Investitionen in Erneuerbare Energien eröffnen zudem die Möglichkeit, die Energiedienstleistung auf andere Sparten wie die Mobilität auszudehnen. Dies sollte Anlass zu einer tiefergehenden Beschäftigung mit dem alten Thema Wärme sein. Es zeichnet sich ab, dass dieser Prozess einen disruptiven Charakter annehmen wird.
Klaus Oberzig