01.03.2019
Ein erster Anlauf zum Klimaschutzgesetz
Der SPD wurde in der vergangenen Zeit öfters vorgehalten, mit Blick auf die Kohlekumpel den Klimaschutz zu vernachlässigen, was sich in den Diskussionen rund um die Kohlkommission deutlich zeigte. Die Kohle ist nun abgehakt, jetzt soll von Bundesumweltministerin Svenja Schulze das große Ganze angegangen werden. Nachdem es in der Vorwoche die Spatzen von den Dächern pfiffen, dass das Klimaschutzgesetz vertagt werden soll, hat das Umweltministerium überraschend geliefert: Schulze hat einen Gesetzentwurf für ein Klimaschutzgesetz vorgelegt. Ich korrigiere: vorgelegt hat sie ihn nicht. Ungewöhnlicherweise ging der Entwurf vor einer Ressortabstimmung direkt an die Kanzlerin zur weiteren Bearbeitung. Verbände und die Öffentlichkeit sind außen vor und erhalten den Text - auch auf konkrete Anfrage beim Ministerium – nicht.
Was ist darin geplant?
Der DGS liegt der Entwurf trotzdem vor. Die wichtigsten Eckpunkte des 65-seitigen Dokuments: Grundlage ist der Klimaschutzplan 2050, in dem als Ziel eine 80 bis 95-prozentige Reduktion der Treibhausgase bis 2050 gegenüber 1990 definiert wird. Der Gesetzentwurf des Klimaschutzgesetzes geht hier an die obere Grenze: „mindestens 95 Prozent“ sollen es schon sein. In Stufen werden konkret beziffert mind. 40 % bis 2020, 55 % bis 2030, 70 % bis 2040 und 95 % bis zum Jahr 2050. Ein weiteres Detail ist interessant: Es soll bis 2050 eine Netto-Treibhausgasneutralität erreicht werden. Das heißt, es sollen für die restlichen 5 % CO2-Senken eingerechnet werden, z.B. aus der Forstwirtschaft. Dann wird für die Zukunft noch klargestellt, dass die Klimaziele noch verschärft, aber nicht mehr zurückgedreht werden dürfen.
Die Grundlagen der Reduktion sind dem verabschiedeten Klimaschutzplan entnommen, der auf den internationalen Klimazielen beruht. Der Ministerin Schulze nun vorzuhalten, sie gehe inhaltlich zu weit, ist schlicht ein falscher Vorwurf, denn der Klimaschutzplan wurde im November 2016 von der Bundesregierung beschlossen. Für insgesamt sechs Sektoren (Energiewirtschaft, Industrie, Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft, Abfall und Sonstiges) sollen für jedes Jahr verbindliche Emissionsmengen festgeschrieben werden. Die für die Sektoren zuständigen Ministerien sollen sowohl die konkret zu ergreifenden Maßnahmen vorschlagen als auch deren Einhaltung überwachen.
Und im Entwurf folgt ein scharfes Schwert: Sollten die Emissionsziele in einem Jahr nicht erreicht werden und es aufgrund der europäischen Klimaschutzverordnung zu Strafzahlungen kommen, die von Deutschland an Brüssel zu leisten sind, werden diese Strafgelder anteilig an die betroffenen Ministerien weitergereicht. Die Ministerien sollen damit finanziell in der Haftung der Zielerreichung eingebunden werden. Das könnte ein guter Anreiz sein, aktiv zu werden. Staatssekretär Jochen Flasbarth vom BMU auf Twitter dazu: „Damit ersetzen wir Verantwortungslosigkeit durch Verantwortung.“ Bei Verfehlung eines Sektorenzieles soll zusätzlich innerhalb von sechs Monaten ein Sofortprogramm verabschiedet werden, um wieder in die Spur zu kommen. Im Bereich der Energieerzeugung ist dieses Verfahren erst ab dem Jahr 2023 vorgesehen, was im Zusammenhang mit dem geplanten Kohleausstieg und den Kommissionsergebnissen steht.
Die öffentliche Hand soll mit gutem Vorbild vorangehen: Bei Planung und Durchführung von Investitionen des Bundes ist geplant, dass die Variante den Zuschlag erhält, welche die Erreichung der Klimaziele zu den geringsten Kosten verspricht. Weiterhin setzt sich der Bund das Ziel, die Bundesverwaltung bis zum Jahr 2030 klimaneutral zu organisieren. Dann müssen von den jährlich angeschafften Neufahrzeugen (8.400 waren es insgesamt im Jahr 2018) schon deutlich mehr als die 2018 gekauften 73 Stück rein elektrisch fahren. Die Bundesländer sollen dabei vom Bund unterstützt werden, es dem Bund gleichzutun.
Weiterhin ist ein „Sachverständigengremium für Klimafragen“ geplant, welches beraten und bei der Fortschreibung der Klima- und Maßnahmenpläne mitwirken soll. Vorbild dazu ist das „Committee on Climate Change“ aus Großbritannien. Geplante und bestehende Maßnahmen sollen von dem Gremium auf Wirksamkeit untersucht und jährlich in einem Hauptgutachten bewertet, zusätzliche Instrumente vorgeschlagen werden.
Was fehlt in dem Gesetzentwurf?
Sektorenspezifische konkrete Maßnahmenpläne sind im Entwurf nicht enthalten, diese sollen von den zuständigen Ministerien erstellt werden. Das wird noch erhebliche Diskussionen verursachen. Neue Gesetz automatisch auf Klimafolgen zu prüfen, ist ebenfalls nicht vorgesehen, wäre aber eine sehr sinnvolle Ergänzung, um das Bewusstsein für die Klimaziele, gerade im politischen Betrieb, zu schärfen. Der Entwurf enthält hierzu nur eine Freigabe, dass Fraktionen, der Bundestag oder ein Ausschuss einen Gesetzesentwurf dem Sachverständigengremium zur Prüfung vorgelegt werden kann, aber keine Verpflichtung. Stutzig werden lässt der Entwurf noch bei der Darstellung des Erfüllungsaufwandes: „Der Gesetzentwurf begründet keine unmittelbaren Pflichten gegenüber Bürgern und Wirtschaftsunternehmen“, so der Textentwurf. Formal sicherlich richtig, aber dass die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes problem- und kostenlos am gesamten Land vorbeigeht, ist sicherlich auch eine Darstellung, die wohl eher den kommenden Wahlkämpfen geschuldet ist.
Ein wesentliches Instrument wird im Entwurf nicht genannt: Bei seiner Antrittsrede beim BEE hat sich der neue Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Feicht dazu festgelegt: In dieser Legislatur wird es keine CO2-Steuer geben. Die findet man jetzt auch im Klimaschutzgesetz nicht. Und das, obwohl dieses Werkzeug nun auch international immer mehr Befürworter findet. Ob OECD oder IWF: Zahlreiche Organisationen befürworten eine Einführung. Und Kanada etwas hat es durchgerechnet: Eine CO2-Steuer, gepaart mit einer Ausschüttung der Einnahmen pro Kopf der Bevölkerung, wird zahlreiche sparsame und genügsame Haushalte entlasten und 70% der Haushalte nicht stärker belasten als heute. Deutsche Billigflieger können also weiter einen Flug von Stuttgart nach Berlin für 18,15 Euro („BestPrize“) anbieten, auch wenn dabei laut CO2-Rechner des ifeu-Institutes 130 kg CO2 entstehen (einfache Flugstrecke).
Erste Reaktionen
Der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) hat sich in seiner Stellungnahme positiv zum Gesetzentwurf geäußert und betont, wie wichtig nun der engagierte Ausbau der Erneuerbaren Energien ist. Mit “Ein guter Rahmen mit Vorbildcharakter“ ist die Pressemeldung des BEE überschrieben, nun gelte es, diesen Rahmen zu füllen und konsequent umzusetzen.
Klare Ablehnung kam dagegen aus dem politischen Lager der Union, der Bundestagsabgeordnete Andreas Lämmel, der auch im Wirtschaftsausschuss des Bundestages sitzt, bezeichnete den Gesetzentwurf als „völligen politischen Nonsens“. Vorsichtiger, aber ebenfalls ablehnend formulierte der Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus: „derzeitiger Entwurf ist nicht zielführend“. Und Wirtschaftsminister Peter Altmeier warf seiner Ministerkollegin gleich über ein schlagzeilenträchtiges Blatt Profilierungssucht vor. Prompt wurde er von Twitter-Usern an seinen Kommentar nach dem COP24 in Kattowitz erinnert. Damals twitterte er „Wir müssen mehr tun und besser werden im Klimaschutz“.
Der wirtschafts- und energiepolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Bernd Westphal, sagte dagegen: „Das Klimaschutzgesetz ist im Koalitionsvertrag vereinbart und geht jetzt richtigerweise in die Umsetzung. Mit dem Gesetzesentwurf liege nun eine Struktur vor, mit der das Erreichen der Klimaschutzziele 2030 in allen Bereichen organisiert werden kann“.
Zustimmung kommt auch von den Grünen: "Wenn Frau Schulze es ernst meint, hat sie unsere volle Unterstützung", sagt Lisa Badum, klimapolitische Sprecherin der Partei. Für die Linke ist der Vorstoß unterstützenswert. Aus deren Sicht muss die Regierung aber sicherstellen, dass auch eine soziale Flankierung der Klimaschutzmaßnahmen erfolgt und fordert hier schon Nachbesserungen.
Der klimapolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Lukas Köhler kritisierte, Umweltministerin Svenja Schulze habe das System des EU-Emissionshandels ganz offensichtlich nicht verstanden. „Anders ist nicht zu erklären, dass sie nationale CO2-Einsparziele auch in den am Emissionshandel teilnehmenden Sektoren Energie und Industrie vorschreiben will, obwohl deren Emissionen bereits europaweit gedeckelt sind“.
Die Industrie kritisiert auch das Festhalten an starren Sektoren: „Ein Klimaschutzgesetz mit starren Vorgaben für die Reduzierungen in den verschiedenen Sektoren wird so nicht zum Erfolg führen“, sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer der Neuen Osnabrücker Zeitung.
Wie geht es weiter?
Politisch liegt der Spielball nun im Feld der Unionsparteien, die sich öffentlich schwer tun werden, den Gesetzesentwurf abzulehnen, denn die Erstellung ist im Koalitionsvertrag vereinbart. Auch die Ziele sind im bereits im November 2016 von der Bundesregierung verabschiedeten Klimaschutzplan entnommen und nicht neu erfunden worden. „Wir setzen das Aktionsprogramm Klimaschutz 2020 und den Klimaschutzplan 2050 mit den für alle Sektoren vereinbarten Maßnahmenpaketen und Zielen vollständig um“ steht im Koalitionsvertrag, genau wie die Ansage „Wir werden 2019 eine rechtlich verbindliche Umsetzung verabschieden“. Also soll nun geliefert werden wie bestellt.
Schulze hat im Entwurf nur den Rahmen für die konkreten Klimaschutzmaßnahmen geliefert. Darin wird ausdrücklich betont, dass die einzelnen Ressorts für die Einhaltung Ihrer Sektorenziele verpflichtet werden. Das ist nun für die Union ein echtes Problem, geht es dabei doch im Wesentlichen um die Landwirtschaft (Klöckner/CDU), Verkehr (Scheuer/CSU), Kraftwerke (Altmeier/CDU) und auch Gebäude (Seehofer/CSU). Und alle vier sind bislang nicht durch übermäßiges Engagement für Klimaschutz aufgefallen. Aus Sicht der SPD sollen Teile der Maßnahmenpakete von den zuständigen Ministerien schon bis Ende März geliefert werden und ein Dialog mit den gesellschaftlichen Gruppen angestoßen werden.
Man kann gespannt sein, ob das Vorgehen nun zu einem handfesten Koalitionskrach oder einem langatmigen Verhandlungsmarathon führt und ob der jetzige Entwurf überhaupt eine Chance hat. Die SPD wird das Papier sicherlich nutzen, um die Union in Vorwahlkampfzeiten vor sich her zu treiben. Ob das gelingt? Nachdem die Verkehrskommission eingefangen und die Gebäudekommission abgesagt wurde, muss sich die Koalition dringend zusammenreißen und eine Verabschiedung bis Jahresende erzielen. Ansonsten ist die Glaubwürdigkeit hinsichtlich Klimaschutz vollends dahin. Die nächsten Schülerdemonstrationen an diesem Freitag werden wieder daran erinnern.
Jörg Sutter