22.02.2019
Netzausbaubeschleunigungsgesetz NABEG: Parteiengeplänkel ohne Konsens
Was kommt nach dem NABEG, dem 2011 vom Bundestag beschlossenen Netz-Ausbau-Beschleunigungsgesetz? Natürlich das NABEG-Beschleunigungsgesetz. Am Mittwoch dieser Woche wurden Sachverständige im Bundestags-(BT-)Ausschuss für Wirtschaft und Energie angehört. „Schnellerer Energieleitungsausbau stößt bei Experten auf Zustimmung“: Unter dieser Überschrift fasste die Buntdestags-Pressestelle die zwei Stunden-Veranstaltung zusammen.
Das musste all jenen schleierhaft vorkommen, die die Befragung verfolgt hatten. Wollten sich die BT-Mitarbeiter möglicherweise nicht mit der Mehrheitsfraktion von CDU und CSU anlegen? Hatte doch CDU-Abgeordneter und Reserveoffizier Joachim Pfeiffer aus Waiblingen schon vor seiner ersten Frage klargestellt: „Es liegt ein gutes Gesetz vor. Wir wollen die Rechtswege beschleunigen.“ Und seine FraktionskollegInnen schlugen mit ihren Fragen in dieselbe Kerbe. Das bleibt natürlich haften.
Zu Bundestags-Expertenbefragungen muss man aber wissen: Sie verlaufen nach den Kräfteverhältnissen im Parlament. Weshalb von 19 Fragerunden mit je vier Minuten Antworten die größte Fraktion auch fast die Hälfte der Fragen stellen durfte. Zudem: Sie stellte drei, die SPD zwei Sachverständige. Die kleineren Fraktionen hatten jeweils nur einen Menschen mit Fachkenntnis berufen können.
Als Quasi-Neutraler war Matthias Otte von der Bundesnetzagentur BNetzA am meisten gefragt. Doch außer, dass er sich eine starke Beschleunigung beim Übertragungsnetzausbau (ÜN) wünscht und „Leerrohre gleich mit einzubeziehen interessant, die Idee bestechend“ fand, war ihm nichts Substantielles zu entlocken. Stattdessen verwies Otte auf „die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB). Die machen die Ausschreibungen, nicht die BNetzA.“ Ansonsten scheint der BNetzA egal, was der Bund in Gesetze gießt: Die Behörde führt offensichtlich alles ohne nachzufragen aus. Bedenken hatte Otte nur, falls das NABEG 2.0 auch auf bereits angestoßene Leitungsbauten angewendet werden müsste: Dann hätte das zur Beschleunigung gedachte Gesetz eine Bremswirkung und könnte selbst das schon im Bau befindliche Ultranet wieder auf Anfang stellen.
Auch die von der SPD-Fraktion benannte und oft befragte Münsteraner Uni-Professorin Sabine Schlacke sah keine großen Probleme bei der Beschleunigung des Beschleunigungsgesetzes. Selbst auf die Frage des AfD-MdB zur womöglichen Erleichterung von Enteignungen hat Schlacke „verfassungsrechtlich keine Bedenken“.
FDP-Sachverständiger Dieter Posch, früher hessischer Wirtschaftsminister, findet es ohnehin positiv, „Bundesfachplanung und Planfeststellung zu integrieren. Das wäre ein erheblicher Beschleunigungseffekt“. Dann müssten Stellungnahmen von Trägern öffentlicher Belange nur noch einmal statt jetzt doppelt eingeholt werden.
Die von den Grünen benannte Expertin Stephanie Ropenus (Agora Energiewende) sagte eigentlich zum neuen NABEG gar nichts. Aus ihrer Sicht ist aber einerseits klar: „Wir brauchen alle HGÜ-Trassen bis 2030“, jene Hochspannungs-Gleichstrom-Leitungen, die inzwischen hauptsächlich unterirdisch kreuz und quer durch die Republik gezogen werden sollen. Gegen die gibt es trotzdem vielerorts Proteste. Und andererseits forderte Ropenus „einen Ausbaupfad für Erneuerbare Energien. Das Ziel 65 Prozent EE-Stromanteil bis 2030 ist noch nicht verankert im EEG.“
Die Fragen von CDU-, CSU- und SPD-Abgeordneten betrafen vor allem die Belange der Grundstückseigner, hauptsächlich also von Bauern. Viel wurde deshalb gesprochen über „Einmal-Entschädigung oder Rentenmodell“, also Raten zu Beginn, nach zehn und nach dreißig Jahren Leitungsbetrieb. Doch bei Entschädigungs- genauso wie bei Ausgleichszahlungen traten deutliche Differenzen zwischen den Experten zutage.
Honorar-Professor Norbert Wimmer von der internationalen Anwaltskanzlei White & Case beantwortete beispielsweise eine Frage von CDU-MdB Jens Koeppen so: „Wir sollten Ersatzgeldzahlungen für kompensatorische Maßnahmen erweitern. Forschungsvorhaben zum Kollisionsrisiko für Vögel“ will er damit u.a. finanzieren.
Für den Würzburger Umwelt-Anwalt Wolfgang Baumann steht dagegen fest: „Für geschützte Arten kann es keine Entschädigung geben.“ Für ihn ist auch NABEG 2.0 „EU-rechtswidrig. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung steht nicht mehr drin. Deshalb sinkt das Niveau des Umweltschutzes“, und auch §44 im Bundesnaturschutzgesetz – der betrifft Brut- und Rastgebiete – werde nicht beachtet.
VKU hat andere Vorstellungen
Die Frage nach der künftigen Rolle der Verteilnetzbetreiber (VNB) stellte Johann Saathoff an den von seiner SPD-Fraktion eingeladen Michael Wübbels. Der Fachmann vom Verband kommunaler Unternehmen – der VKU vertritt die Stadt- und Gemeindewerke und damit auch die VNB – stellte grundsätzliche Bestimmungen von NABEG 2 in Frage. „Wir VNB dürfen nur auf Aufforderung der ÜNB unsere Netze regeln. Es gibt intelligentere Lösungen.“ So könnten „VNB alleine oder in Zusammenarbeit mit Nachbarn Flexibilitäts-Optionen erschließen. Strom nicht abregeln, sondern regional verteilen“, nannte er als Ziel. Und als Beispiel erwähnte er „den zellularen Ansatz der N-Eergie“. Die Nürnberger Stadtwerke forderten darin: Weniger neue Leitungen, stattdessen mehr regionale Stromerzeugung und Verteilung. Wübbels hielt ein Plädoyer dafür, die Ökostromerzeugung durch Abregeln zu verhindern: „Redispatch vermeiden und Strom in der Region zu verwenden.“ Das sei auch im Hinblick auf die „Sektorenkopplung Strom-Wärme-Verkehr wichtig: Das können nur die VNB.“
Die anderen Sachverständigen griffen meist zu diplomatischen Formulierungen. Einzig Wolfgang Baumann hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Auf die Frage des „Linken“ Ralph Lenkert, ob das vorgesehene Reduzieren der Genehmigung auf die Bundesfachplanung sich auf den Umweltschutz auswirke, antwortete der Würzburger Anwalt mit drastischen Worten: „Die Gesetzesnovelle wird den Rechtsschutz reduzieren. Es wird dazu führen, dass der Widerstand wächst.“ Am heftigsten seine Kritik am bereits vor Planungsende möglichen „vorzeitigen Baubeginn: Der wird ein Rohrkrepierer für die Akzeptanz der Projekte.“
Anhang
Die Liste der geladenen Sachverständigen und die jeweils einladende Fraktion:
- Dr. Martin Grundmann, ARGE Netz GmbH & Co. KG – Unionsfraktion
- Matthias Otte, Bundesnetzagentur - Unionsfraktion
- Prof. Dr. Norbert Wimmer, White & Case LLP - Unionsfraktion
- Prof. Dr. Sabine Schlacke, Westfälische Wilhelms-Universität Münster Institut für Umwelt- und Planungsrecht – SPD-Fraktion
- Michael Wübbels, Verband kommunaler Unternehmen e. V. (VKU) – SPD-Fraktion
- Dieter Posch, Posch Rechtsanwälte – FDP-Fraktion
- Wolfgang Baumann, Baumann Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB – Fraktion Die Linke
- Dr. Stephanie Ropenus, Agora Energiewende – Fraktion Bündnis90/Grüne
Die kompletten Stellungnahmen aller Sachverständigen sind hier zu finden und herunterzuladen.
PS: Wer sich die 2-Stunden-Anhörung selber ansehen und anhören möchte, kann das hier tun.