01.02.2019
Windschiffe – die Dekarbonisierung der Meere
Wenn die Pariser Klimaziele eingehalten werden sollen, muss auch die (See-)Schifffahrt dekarbonisiert werden. Rund drei Prozent der weltweiten CO2-Emissionen stammen von hier, dazu 13 Prozent der Schwefeldioxid (SO2)-Emissionen und 15 Prozent der menschengemachten Stickoxid (NOx)-Emissionen.
Der Grund dafür ist, dass als Schiffstreibstoff Schweröl eingesetzt wird, ein Abfallprodukt der Mineralöl-Verarbeitung. Nach Analyse des Naturschutzbundes NABU stoßen allein die 15 weltgrößten Containerschiffe so viele Schadstoffe aus wie 750 Millionen Autos, weshalb der Schweizer Rundfunk die Schifffahrt als „das schmutzigste Gewerbe der Welt“ bezeichnete.
Selbst die schönsten großen Traumschiffe sind letztlich nichts weiter als schwimmende Müllverbrennungsanlagen. Zwar hat man vor einigen Jahren begonnen, die Schiffsabgase durch Scrubber und Nasswaschverfahren zu reinigen, und den Treibstoff auf etwas weniger umweltschädlichen Marinediesel umzustellen, doch das CO2-Problem bleibt dadurch nahezu unberührt. Und so setzt man nun auf CO2-ärmere Energie-Effizienz-Techniken wie verflüssigtes Erdgas (LNG) als Treibstoff, zumal das entsprechende, frisch aufgelegte Förderprogramm des Bundes öffentliche Gelder verheißt und den Schiffbau-Zulieferern nicht allzu große Umstellungen abverlangt. Und die CO2-neutrale Zukunft? Vielleicht regenerativ erzeugter Wasserstoff (Power-to-X) + Brennstoffzellen? Ach, die wirklich schweren, anstrengenden Probleme einer totalen Dekarbonisierung des Schiffsverkehrs mögen dann doch besser bitte künftige Generationen lösen ... – wenn denen noch Zeit bis zum „Climate Breakdown“ bleibt.
In der Tat, die Dekarbonisierung der Seeschifffahrt ist ein schwieriges Unterfangen: Während für den Straßenverkehr ein 40-kWh-Akku und eine 11-kW-Wallbox meist mehr als ausreichend für den Fahrbetrieb sind, hat man hiermit zumindest bei Seeschiffen wegen der großen Massen und weiten Entfernungen nicht die geringste Chance. Auch stromführende Oberleitungen, wie man sie ggf. über Kanäle spannen könnte, scheiden bei weltweiten Schifffahrts-Routen aus. Selbst die Solarenergie in Form von PV-Strom, die heute immer mehr die Energieversorgung z.B. bei sommerlichen Fahrgast- und Freizeitschiffen auf Binnen- und küstennahen Gewässern übernimmt, käme als alleinige Energiequelle im winterlichen Nordatlantik schnellstens an ihre Grenzen – von den Roaring Forties und Furious Fifties ganz zu schweigen. Und dennoch gibt es eine CO2-freie Technik, die kostengünstig ist und sich zudem seit Jahrhunderten bewährt hat: die Segelschifffahrt. Und dabei waren die alten Segelschiffe weder langsam noch klein: Die 1869 gebaute „Cutty Sark“ erreichte mit ihren 3.000 qm Segelfläche eine Höchstgeschwindigkeit von 17,5 Knoten (32 km/h), die kurz nach 1900 getauften Großsegler „Preußen“ und „R.C. Rickmers“ kamen auf über 5.000 Bruttoregistertonnen.
Heute heißen die Nachfahren der Großsegler „Windschiffe“, und sie könnten noch erheblich größer und schneller werden als ihre „Ahnen“. Denn in den letzten Jahrzehnten haben engagierte Ingenieure und Techniker ihre „Hausaufgaben“ in den Bereichen Hydro- und Aerodynamik gemacht. Zwar gibt es heute eine begrenzte Renaissance kleiner, traditioneller Frachtsegler wie die „Brigantes“ oder „Tres Hombres“ mit ihren umweltfreundlichen Transporten, aber die Tendenz geht zu großen Schiffen mit neuen Windantriebssystemen. Daher ist „Windschiffe“ auch die eindeutig zutreffendere Gattungsbezeichnung als „Segler“. Als wichtigste Antriebskonzepte lassen sich derzeit benennen:
Der Flettner-Rotor, bei dem eine oder mehrere senkrecht auf Deck stehende, rotierende Säulen einen Vortrieb erzeugen, wenn der Wind sie von der Seite anströmt. Das E-Ship 1 des Windkraft-Unternehmens Enercon verfügt z.B. über vier solcher Rotoren. Nachteil dieser Technik ist, dass die Schiffe weder – wie auch andere Segler – nicht gegen den Wind, sondern auch nicht mit bzw. vor dem Wind fahren können. Zudem benötigen die Schiffe einen Motor zum Antrieb der Rotoren. Solange die Energie für einen solchen Motor nicht aus regenerativen Quellen wie Sonne, Wind und Wellen stammt, ist das Konzept noch nicht überzeugend.
Das Dyna-Rigg des Hamburger Schiffbauingenieurs Wilhelm Prölss, das inzwischen verschiedene Weiterentwicklungen/Adaptionen erfahren hat. Wenngleich das Schiff wie ein klassischer Rahsegler aussieht, so sind die Rahsegel – wie bei slupgetakelten Sport-Segelbooten mit einem Roll-Großsegel – einzeln aus dem Mast ausfahrbar. Das alles geht mit steuerbaren Elektromotoren; der Strom dafür kann durch Windgeneratoren oder Schleppgeneratoren (beim Segelbetrieb: Schiffs-Schraube und -Welle als Generator) erzeugt und in Akkus gespeichert werden. Die bekanntesten heutigen Schiffe mit Dyna-Rigg sind allerdings keine Frachter, sondern Luxussegler wie der Maltese Falcon oder die Black Pearl.
Tragflächensysteme nutzen zumeist die Erfahrungen der Luftfahrttechnik. Bei den dann auf den Schiffsdecks senkrecht stehenden Flügeln kommen verschiedenste Konzepte/Varianten zum Einsatz. Derzeit entwickelt die deutsche Firma Becker Marine Systems eine solches Tragflügelsystem für das schwedische Unternehmen Wallenius Marine. Dabei soll ein neuer Autotransporter von Wallenius mit vier solcher Flügel ausgerüstet werden. Künftig könnten eine PV-Verkleidung der Flügel und entsprechende Akkus an Bord die Energie für Anlegemanöver etc. liefern.
Daneben gibt es noch eine Vielzahl weiterer Konzepte wie der als Rumpfsegler entworfene Frachter Vindskip der norwegischen Firma Lade AS, oder der Neoliner, eine moderne Interpretation des klassischen Seglers, mit dem Renault künftig seine Autos nach Amerika verschiffen will. Alle heutigen Windschiffe sind weitgehend automatisiert und brauchen nicht mehr Besatzungsmitglieder als ihre fossile Konkurrenz – im Gegensatz zu den alten Großseglern. Inzwischen koordinieren sich die engagierten Mitglieder der Szene auch international über die International Windship Association (IWSA). Doch warum schaffen die Windschiffe dann nicht den Durchbruch durch die „fossile Front“?
Da ist einerseits die sehr konservative Maritime Wirtschaft, insbesondere die Reeder und Schiffsmakler. Viele stehen dort einer solchen technischen Revolution mit ähnlicher innerer Abneigung gegenüber wie weiland die Britische Admiralität beim Übergang ihrer Kampfschiffe vom Segel- zum Dampfantrieb. Diese Abneigung rationalisiert sich in Fragen wie „Kommen die Schiffe wegen der sich wandelnden Winde auch pünktlich im Zielhafen an?“, ohne zu erkennen, dass diese Frage nur sekundär ist gegenüber der Frage „Können Schiffe angesichts der hohen Treibstoffkosten und der niedrigen Frachtraten überhaupt noch (profitabel) fahren?“ Denn die Maritime Wirtschaft steckt seit 10 Jahren in einer tiefen Krise, die viele Unternehmen in die Insolvenz getrieben hat, und natürlich auch den Reedern die Investitionen in neue Windschiffe erschwert. Dabei könnten gerade letztere eine Lösung für die Treibstoffkosten sein.
Und da sind andererseits die nationalen Regierungen mit ihren staatlichen Förderprogrammen: Während das Stockholmer Transportministerium 27 Millionen SEK für die Entwicklung des Windschiffs zur Verfügung stellt, wie die schwedische Seefahrtszeitung berichtet, setzt das Bundesverkehrsministerium s.o. weiterhin auf LNG-Förderung. Sieht man sich dann noch die bundesdeutsche Energiepolitik als Ganzes an, fällt einem nur noch Goethes Torquato Tasso ein: „Man merkt die Absicht und man ist verstimmt.“
Götz Warnke