21.12.2018
Wenn der Grenzwert gar nicht passt
Bei den "Trilog-Verhandlungen" zwischen EU-Kommission, EU-Parlament und dem Europäischem Rat haben sich die Teilnehmer auf gemeinsame Vorschläge für die CO2-Regulierung bei Neuwagen (PKW und leichte Nutzfahrzeuge) für die Zeit ab 2021 geeinigt. Bei PKWs ist in Europa bis 2030 eine CO2-Reduktion von 37,5 Prozent vorgesehen, bei den leichten LKW eine von 31 Prozent. Damit die Vorgaben verbindlich in Kraft treten können, müssen Rat und Parlament den Beschlüssen noch zustimmen. Doch schon jetzt hat der Verband der Automobilindustrie (VDA) mit einer Pressemitteilung zu Wort gemeldet, in der VDA-Präsident Bernhard Mattes (B.M.) ausführliche Kritik an dem Vorhaben übt. Als DGS-News drucken wir diese Kritik hier gern ab – können sie aber leider nicht unkommentiert stehen lassen.
B.M.: „Die deutsche Automobilindustrie steht für eine emissionsfreie Zukunft der Mobilität.“
DGS-News: Ab wann konkret: 2050? 2080? 2100?
B.M.: „Sie muss aber bezahlbar und umsetzbar sein.“
DGS-News: Dafür werden schon die Chinesen mit ihrem strikten CO2-Reduktionsprogramm sorgen. Es bleibt nur die Frage, ob die „deutsche Spitzentechnologie“ der VDA-Mitglieder da mithalten kann.
B.M.: „Das Trilog-Ergebnis setzt scharfe Ziele und schafft zu wenig Impulse für neue Technologien: Diese Regulierung fordert zu viel und fördert zu wenig.“
DGS-News: Dass der umgekehrte Weg – wenig fordern und viel fördern – bei der Automobilindustrie auch keine Lösung ist, haben wir beim Dieselskandal gesehen. Diesel wird übrigens immer noch steuerlich subventioniert; da kann der Staat mal anfangen!
B.M.: „Niemand weiß heute, wie die beschlossenen Grenzwerte in der vorgegebenen Zeit erreicht werden können.“
DGS-News: Dürfen wir helfen? Kleinere Autos, leichtere Autos, PKWs nur noch elektrisch, LKWs elektrisch, mit Oberleitung/Stromschiene und evtl. H2 + Brennstoffzelle als Range-Extender. Eine staatliche CO2-Abgabe wäre zweifellos förderlich.
B.M.: „In keinem anderen Teil der Welt gibt es vergleichbar scharfe CO2-Ziele. Damit wird die europäische Automobilindustrie im internationalen Wettbewerb stark belastet.“
DGS-News: Das ist so nicht richtig! China hat Anfang diesen Jahres 553 Spritschlucker-Autotypen schlicht verboten und führt im nächsten Jahr eine E-Auto-Quote ein, die jährlich um mindestens zwei Prozent steigt (aber natürlich auch erhöht werden kann). Dazu kommt, dass man Verbrenner in großen Städten nicht oder nur mit erheblicher Verzögerung bzw. zusätzlichem Geld zulassen kann. Diese Maßnahmen zusammen dürften mindestens ebenso große CO2-Reduktionen nach sich ziehen wie die Trilog-Ergebnisse. Viele andere Länder gehen sogar noch weiter, u.a. Dänemark, das ab 2030 keine reinen Verbrenner mehr zulassen will, oder Georgien, das bis 2030 90 Prozent seiner Fahrzeuge durch E-Autos ersetzen will.
B.M.: „Das richtige Ziel einer emissionsfreien Mobilität muss im Einklang stehen mit dem Ausbau der Infrastruktur, einer ausgewogenen Industriepolitik und sachgerechten Maßnahmen zur Beschäftigungssicherung.“
DGS-News: Zweifellos, nur muss auch die deutsche Autoindustrie einen verantwortlichen Beitrag dazu leisten und nicht so tun, als würde es mit ihrer Modellpolitik à la größer, schwerer, luxuriöser, protziger künftig so weiter gehen.
B.M.: „Diese Balance lässt das Trilog-Ergebnis vermissen. Faktoren wie die Marktsituation und kundenseitige Akzeptanz bei der Elektromobilität, sinkende Verkäufe von CO2-sparenden Dieselmodellen und die Tatsache, dass viele Technologien zur Kraftstoffersparnis bereits ausgereizt sind, werden nicht ausreichend berücksichtigt.“
DGS-News: Eben weil viele Technologien zur Kraftstoffersparnis bereits ausgereizt sind, ist es notwendig, einen Schlussstrich unter die Produktion von Verbrennungsmotoren zu ziehen, und vollständig auf eine CO2-freie Mobilität zu setzen. Das würde auch die kundenseitige Akzeptanz schaffen.
B.M.: „Das schwächt den Industriestandort Europa und gefährdet Arbeitsplätze. Klimaziele sind nur dann wirksam, wenn sie erfüllbar sind.“
DGS-News: Die Autoindustrie hat nur dann eine Existenzberechtigung, wenn sie das Klimachaos nicht weiter befördert. Denn kippt das Klima, sind der Industriestandort Europa und seine Arbeitsplätze unser kleinstes Problem.
B.M.: „Deswegen hatten wir dafür plädiert, sich an dem von der EU vorgeschlagenen Maßnahmenpaket mit einer Reduktion um 30 Prozent bis 2030 zu orientieren. Das war bereits sehr ambitioniert, wäre aber unter bestimmten Bedingungen umsetzbar gewesen. Gleichzeitig hätten die EU–Klimaziele mit diesem Ambitionsniveau sicher und auf volkswirtschaftlich effiziente Weise erreicht werden können. Eine sachliche Begründung für die vorgenommene Verschärfung ist nicht erkennbar.“
DGS-News: Die sachliche Begründung ist der Klimawandel und das verbindliche Pariser Abkommen zu seiner Verhinderung/Abmilderung. Da die europäische Autoindustrie, allen voran die deutsche, hier nicht hinreichend tätig geworden ist, ist die Verschärfung berechtigt.
B.M.: „Es fehlen effektive Anreize für Innovationen.“
DGS-News: Für welche Innovationen, bitte? Für „The now real clean Diesel“?? Es ist an der Zeit, mit solchen „Innovationen“ (= Neuerungen) wie etwas mehr PS und etwas weniger Wendekreis aufzuhören, und stattdessen auf echten technischen Fortschritt wie emissionsfreie Autos aus umweltfreundlichen Materialien und mit geringstem Energieverbrauch zu setzen.
B.M.: „Zwar ist auf Initiative des Rates eine stärkere Anrechnung von Plug–in-Hybriden beschlossen worden. Insgesamt aber ist die Förderung der Elektromobilität zu schwach ausgestaltet. Auch die EU-Mitgliedsstaaten müssen Verantwortung übernehmen – mit einem deutlichen Aufbau der Ladeinfrastruktur und einer aktiven, nachfrageorientierten Politik. Derzeit stehen drei Viertel aller Ladesäulen für E-Fahrzeuge in nur vier Ländern, nämlich in Großbritannien, Deutschland, Frankreich und den Niederlanden. Die Grenzwerte gelten aber für Europa als Ganzes.“
DGS-News: Das ist „Augenwischerei“: große Flächenländer mit vielen E-Fahrzeugen und hohem Marktpotential brauchen eben mehr Ladesäulen. Und auch in anderen Staaten wie Norwegen, Dänemark, Schweiz und Österreich ist die Abdeckung mit Ladesäulen in der Fläche nahezu ausreichend, zumal es hier viele Eigenheimbesitzer mit eigenem Stromanschluss gibt.
B.M.: „Ebenso bedauerlich ist, dass die Regulierung keine wirksamen Impulse für alternative und regenerative Kraftstoffen (sog. E-Fuels) setzt. Wenn den Herstellern keine Möglichkeit für eine freiwillige Anrechnung der E-Fuels auf ihren individuellen Flottengrenzwert gegeben wird, bleiben wichtige CO2-Reduktionspotenziale ungenutzt. Zudem wäre ein maßgeschneidertes Anreizsystem für leichte Nutzfahrzeuge vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Einsatzbereiche und kleinerer Stückzahlen nötig gewesen.“
DGS-News: Wer für E-Fuels (strombasierte Kraftstoffe) wirbt, möchte einfach nur am überholten Konzept des Verbrennungsmotors festhalten, denn Brennstoffzellen-Fahrzeuge haben sich bis heute am Markt nicht durchsetzen können. Und er zeigt auch, dass er grundsätzliche Probleme dieser künstlichen Kraftstoffe, wie den hohen Energieverbrauch, nicht begriffen hat: der energetische Wirkungsgrad dieser Stoffe liegt inkl. Transport zum Abnehmer bei unter 30%, und er sinkt noch a) bei flüssigen gegenüber gasförmigen E-Fuels, und b) beim Einsatz in Verbrennungsmotoren. Selbst für das Branchenblatt „Automobilwoche“ ist die vom VDA betriebene E-Fuel-Debatte ein „automobiler Untoter“!
B.M.: „Leider geht auch das 31-Prozent-Ziel für Transporter an der technischen Realität in diesem Segment vorbei. Die Entwicklungs- und Produktzyklen sind mit bis zu zehn Jahren deutlich länger als bei Pkw. Zudem ist ein niedriger Kraftstoffverbrauch bei Nutzfahrzeugen seit jeher ein entscheidendes Kaufargument, insofern ist der Markt aus sich heraus auf CO2-Effizienz getrimmt.“
DGS-News: UPS hatte bereits vor zwei Jahren rund 100 Elektro-Transporter im Einsatz und lässt derzeit weitere für sich entwickeln. Die Deutsche Post baut erfolgreich den StreetScooter, die US-Amerikanische Workhorse Group Inc. ihren E-Lieferwagen NGEN-1000, Nissan seinen e-NV200 und Renault Trucks startet 2019 eine neue E-LKW-Serie – alle diese Typen sind Null-Emissions-Fahrzeuge und wurden in kürzester Zeit entwickelt und produziert. Wer jetzt noch 10 Jahre für Entwicklungs- und Produktionszyklen braucht, nur um seine dreckigen Transporter um gerade einmal 31% sauberer zu machen, ist nicht mehr ganz von dieser Welt und offensichtlich in der falschen Branche!
DGS-News-Fazit: Die neuen CO2-Grenzwerte sind für die deutsche Autobranche sicher nicht „vergnügungssteuerpflichtig“, aber sie stellen einen notwendigen Beitrag zum Klimaschutz dar. Die deutsche Automobilindustrie versucht hingegen einmal mehr, sich mit durchschaubaren Ausflüchten vor ihrer klima- und gesellschaftspolitischen Verantwortung zu drücken. Diese Haltung hat leider eine lange, ungute Tradition: bereits 1984 versuchte der VDA mit halbseidenen Argumenten, die Einführung des Katalysators auszubremsen. Der SPIEGEL (29/1984) schrieb schon zur damaligen Argumentation: „100 Prozent übertrieben“.
Götz Warnke