21.04.2017
Ungleichbehandlung von Strom und Wärme ist nicht das Problem
„Meine Energie mache ich selbst, war vor mehr als drei Jahrzehnten das Motto der Solar- und Windpioniere“. So beginnt das Vorwort in der Broschüre „Bürgerenergie heute und morgen“, in der das Bündnis Bürgerenergie (BBEn) seine Vision über „Verbraucher-Erzeuger-Gemeinschaften“ vorstellt. Als eines der großen Hindernisse auf dem Weg dahin müssten allerdings die regulatorischen Hindernisse abgebaut werden, die einem dezentralen und in Bürgerhand befindlichen „Prosuming“ entgegen stünden. Die Regulierung auf dem Energiemarkt sei derzeit noch klar zum Nachteil dezentraler Versorgung ausgelegt. „Wer bereits heute Energie-Prosumer ist und seinen Bedarf etwa mit einer genossenschaftlich betriebenen PV-Anlage selbst deckt, ist hoffnungslos gegenüber den Stromkonzernen und Netzbetreibern benachteiligt“, so René Mono, Vorstand beim Bündnis Bürgerenergie. Scheinbar passend dazu legte Anfang April Agora Energiewende eine Studie mit dem Titel „Neue Preismodelle für Energie“ vor. Darin befasst sich die Berliner Denkfabrik u.a. mit dem monetären Teil dieser Hürden. „In der Realität besteht der Strompreis für die meisten Verbraucher zu 75 bis 80 Prozent aus staatlich veranlassten, regulierten Preisbestandteilen. Energiesteuern, Netzentgelte, Abgaben und Umlagen summieren sich auf etwa 55 Mrd. € pro Jahr…“ so Agora. Aber nicht nur das. Es existiere ein eklatanter Unterschied bei den staatlich induzierten Aufschlägen zwischen Strom und allen anderen Energieformen.
So belaufen sich die Aufschläge beim Strom gegenwärtig auf 18,7 ct/kWh und liegen deutlich über jenen die für Heizöl (0,6 ct), bei Erdgas (2,2 ct), Diesel (4,7 ct) oder Benzin (7,3 ct) erhoben werden. Die fossilen Energieträger Benzin, Diesel oder Heizöl sowie Erdgas und Kohle blieben von staatlichen Zugriffen recht unbeschadet. Vergleiche man den heutigen Stand dieser Klimaschädlinge mit dem des Jahres 2005, so habe sich praktisch nicht viel verändert. Ganz im Gegensatz zum Strom. Zwar sei „der Strom durch den Anteil Erneuerbarer Energien immer sauberer“, so Agora Direktor Patrick Graichen, „jedoch auch immer teurer geworden“.
Ein Aspekt ist dabei, dass die Vergünstigungen für die Industrie bei Energie- und Strompreisen sich nach einer aktuellen Studie des Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), die im Auftrag der Grünen-Bundestagsfraktion erstellt wurde, im Jahr 2016 auf rund 17 rd. € beliefen. Rund 11,5 Mrd. € davon, also rund zwei Drittel, trugen die privaten Haushalte sowie kleinere Unternehmen über ihre Stromrechnung.
Auch Agora Energiewende fordert als Konsequenz eine Reform des Steuer-, Entgelte-, Abgaben- und Umlagensystems zugunsten der Erneuerbaren. Dies sei die „nächste Großbaustelle“ für die Energiewende. Und scheint sich damit in guter Gesellschaft zur oben zitierten Forderung des Bündnisses Bürgerenergie zu befinden. Was vernünftig und einleuchtend klingt, bedarf allerdings der genaueren Erläuterung. Denn Agora ist Verfechter einer zentralistischen Energiewende, die nach neoliberalen Kriterien ablaufen soll. Bei Patrick Graichen klingt das so: „Im idealen Strommarkt geben Strompreise das Signal dafür, dass sich Angebot und Nachfrage in Echtzeit ausgleichen, Flexibilität angeboten wird und Kosten und Energieeffizienz erreicht werden. Wenn Strom knapp ist, mobilisieren hohe Preise den Betrieb von Speichern, Lastmanagement und Erzeugungsanlagen. Ist Strom im Überschuss vorhanden, dann locken die niedrigen Preise zusätzliche Abnehmer“. Diese neoliberale Lehre des Marktes, der, wenn man ihn nur ließe, alles regelt, werde durch die staatlichen „Fehlanreize“ konterkariert. „Sie überlagern oft fast vollständig das koordinierende Preissignal im Großhandel“. Da die Preissignale „auch an den Sektorengrenzen nicht stimmen“, sieht Agora die Sektorkopplung in Gefahr.
Diese Sicht auf den Fortgang der Energiewende stellt sich also durchaus anders dar als die politische Forderung nach einem Recht auf Prosuming, welches auch der Staat mit seiner Steuerpolitik nicht behindern dürfe. Agora vergöttert den Markt und scheut die offene Auseinandersetzung um harte und direkte ordnungspolitische Maßnahmen zum Nachteil der Fossilen. Führt man den Vergleich mit den in der Wärmeerzeugung eingesetzten fossilen Energieträgern weiter, stellt man fest, dass es hier nicht die Steuern und Abgaben sind, die ein Hemmnis darstellen. Es geht bei der Einführung der Erneuerbaren Energien nicht nur um eine andere, klimafreundliche Energie, sondern darum, wie viel und wie frei die Träger und Akteure dieses Wandels agieren können. Im Bereich der Wärme existieren z.B. nicht die komplizierten Regelwerke, wie sie sich aus dem sogenannten „Öffentlichen Stromnetz“ ergeben. Der Kauf und die Inbetriebnahme eines Gaskessels, der ebenfalls eine leitungsgebundene Energieversorgung darstellt, ist im Vergleich dazu ein schlichter Akt. Das Gleiche gilt für Fernwärme oder den Bezug von Heizöl. Bürokratie und verwirrende Regelwerke, die das Recht auf einen freien Umgang bei der Energieerzeugung und -nutzung einengen, existieren hier nicht. Stattdessen liegt der sprichwörtliche Hase dort in den Reglementierungen im Gebäudebereich im Pfeffer, die von ihrem Charakter her den Bevormundungen des Strombereiches sehr ähneln. Von der EnEV bis zu den KfW-Förderprogrammen mit ihrer Unzahl von Energiehäusern haben die Zentralisten ein Unheil angerichtet, das mit einer Reform des Steuer- und Abgabesystems nicht zu beheben sein wird.
Mit den seit Beginn der Ära Merkel praktizierten Marktregulierungsmaßnahmen ist die Energiewende nicht vorangekommen, sondern heftig abgebremst worden. Auch wenn verbal Klimaschutz und Energiewende hochgehalten wurden, sind direkte Maßnahmen zur CO2 Vermeidung, zur Dekarbonisierung und zum Verbot fossiler Verbrennungstechniken geschickt umgangen worden. Auch wenn die Energiewende darunter schwer gelitten hat, muss man aber auch konstatieren, dass diese Politik samt den sie tragenden Parteien, gescheitert ist. Das zeigen die Emissionswerte wie auch der Stillstand bei der Modernisierung der Gebäudetechnik. Die großen Konzerne, ob im Strombereich oder bei der Förderung von Öl, Gas und Kohle mögen wenig Federn gelassen haben, sie haben sich aber als Verhinderer einer Energie- und Klimawende offenbart. Die „nächste Großbaustelle“ wird daher kein Spiel mit Marktmechanismen sein, sondern die politische Durchsetzung von Prosuming – dezentral, bürger- und klimafreundlich. Kombiniert mit einer CO2-Bepreisung und einem Verbot fossiler Verbrennungstechnik.
Agora Energiewende „Neue Preismodelle für Energie“, April 2017
BBEn: „Bürgerenergie – heute und morgen“