24.03.2016
Im Gespräch mit Nina Scheer
Die Folge des Erfolgs: Warum die Wärmewende bisher ausgeblieben ist
Frage: Die Energiewende ist mit der EEG-Reform vom Sommer 2014 in eine neue Phase getreten. Wie beurteilen Sie die gegenwärtige Situation?
Nina Scheer: Die Frage, wann sie in eine neue Phase getreten ist, lässt sich nicht immer so genau identifizieren. Sie war jedenfalls mit dem Koalitionsvertrag vorgezeichnet, Gesetzesform erhielt sie mit dem EEG 2014. Nun gibt es erstmalig Maximalgrenzen für den EE-Zubau im Stromsektor. Das ist eine grundlegende Weichenstellung. Es war so gedacht, dass man Ausbaukorridore für jede einzelne Technologie schafft, also Deckel und Zügel zur Regulierung des Ausbaus. Diese Sichtweise unterstellt, dass alles regulierbar sei. Es missachtet aber die Frage, welche Bedingungen erforderlich sind, damit die Firmen der Branchen der Erneuerbaren und alles was sich darum gruppiert, langfristig Fuß fassen können. Die Unternehmen müssen absehbar und langfristig Gewinne erzielen können. Nun wird die Zukunft mit Fragezeichen versehen. Dies gilt übrigens auch für die Umstellung auf Ausschreibungen. Das ist eine zweite Zäsur, die für die Energiewende ebenfalls nicht hilfreich ist.
Frage: Von Solarpark-Projektierern hört man, dass neue Solarparks nun nicht mehr wirtschaftlich seien.
Nina Scheer: Ich finde das schlimm in Bezug auf die Akteursvielfalt, für die dezentralen Strukturen in der Fläche und für Installationsbetriebe, denn es führt zu einem Rückgang, der sich so schnell nicht mehr zurückholen lässt. Die Hoffnung, dass nach einer Unterschreitung der Ausbauziele diese Kräfte wieder zunehmen könnten, ist zweifelhaft. Unternehmen werden es sich dreimal überlegen, ob sie da nochmal investieren.
Frage: Zurzeit gewinnt man den Eindruck, alles dreht sich um den Strom. Warum hat sich die gesellschaftliche Debatte auf die Stromerzeugung verengt? Wo bleibt die Wärmewende?
Nina Scheer: Die derzeit tragenden Entwicklungen lagen tatsächlich im Stromsektor. Schaut man sich die Erzeugungstechnologien an, so stellt man fest, dass sich das Stromsystem leichter umstellen lässt. Mit Wärme wird aber sehr verschwenderisch umgegangen, da scheint es leichter, zunächst große Mengen einzusparen. Nimmt man z. B. ein Passivhaus, hat man kaum noch Wärmeenergiebedarf. Betrachtet man die Energiewende vom Ende her, wird es die Deckung des Strombedarfs sein, den man herzustellen hat, um ihn mit verschiedenen Wärmequellen zu verknüpfen. Deswegen macht es schon Sinn, dass man vor allem mit Strom die Energiewende führt. Es ist aber die Frage, wie sich die Verknüpfung von Strom und Wärme erreichen lässt, wenn wir die Verbräuche im Gebäudebestand nicht genau vorhersehen können. Die Dämmung erscheint zwar als ein einfaches Mittel um Energie einzusparen, hat aber ihre Nachteile, sowohl mit Blick auf die Kunststoffverhüllungen als auch die Verhaltensanforderungen. Dämmung hat ihre Grenzen und sollte nicht davon ablenken, dass auch der Wärmesektor einer Umstellung auf Erneuerbare Energien – einer Wärmewende bedarf. Was die Energiezufuhr in den Gebäuden angeht, behandeln unsere Regelungen, etwa die Energieeinsparverordnung (EnEV), die Wärmeerzeugung mit Erneuerbaren als Nicht-Gewinnung, also nicht mehr als Wärmebedarf. Ein Haus, das regenerativ beheizt ist, wird als Null-Energiehaus angesehen. Insofern ist die Wärmewende auch hier angelegt.
Frage: Ihr CSU-Kollege Josef Göppel sagte im April dieses Jahres, um die 40 prozentige Senkung der Klimagase bis 2020 zu erreichen, müsse man die Überschüsse des erneuerbaren Stroms in den Wärmesektor und in die Mobilität bringen und so Gas und Öl einzusparen. Teilen Sie diese Ansicht?
Nina Scheer: Überschüsse sind ein Effekt von Fluktuation und Handlungsbedarfen, mit diesen umzugehen. Ich wehre mich etwas dagegen, diesen Umstand den Erneuerbaren mit dem Wort „Überschuss“ zuzuschreiben. Es geht vielmehr um die Aufgabe, ein durch fossil-atomare Grundlastkraftwerke dominiertes Energiesystem auf die Eigenschaften Erneuerbarer Energien anzupassen. Die Reduzierung der Klimagase ist dabei am ehesten dort zu erreichen, wo die höchsten CO2-Emissionen entstehen: insbesondere bei den Kohlekraftwerken. Eine Schadstoff- bzw. Verschmutzungssteuer wäre dabei ein wirksames Mittel. Und dann hat man auch weniger Erzeugungsüberschüsse und den erforderlichen Handlungsdruck, Maßnahmen für eine kontinuierliche Verfügbarkeit von Erneuerbaren Energien zu entwickeln. Wollte man die Ziele hingegen über den Gebäudesektor erreichen, müsste man diesen bis 2020 vollständig dekarbonisieren. Das ist nicht möglich und hilft uns bei der Anpassung des Energiesystems außerdem nicht weiter. Die Erzeugung ist somit der maßgebliche Faktor.
Frage: Das Jahr 2014 brachte der Heizungs- und der Dämmindustrie deutliche Umsatzrückgänge. Auch die Modernisierungsrate bleibt im Keller. Das sieht nicht nach einer erfolgreichen Politik im Wärmesektor aus.
Nina Scheer: Ja, es wurde fast ein Jahr ergebnislos über die steuerliche Absetzbarkeit von Modernisierungs- und Sanierungsmaßnahmen diskutiert. Auf einen erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen hatten viele Bauherren gewartet, es ist aber wie sie wissen erneut anders gekommen.
Frage: Das EEG hatte die Zielsetzung, die erneuerbaren Technologien für die Stromerzeugung kostengünstig und konkurrenzfähig zu machen. Für die Wärmetechnologien ist ein solcher Ansatz bisher nicht politisch umgesetzt worden. Stattdessen soll mit der neuen EnEV der Mindestdämmstandard weiter angehoben und damit die Baukosten erhöht werden. Ist es nicht verständlich, dass sich die noch teuren erneuerbaren Wärmetechnologien am Markt schwer tun?
Nina Scheer: Tatsächlich bräuchten wir zur breiten Einführung von EE-Wärmetechnologien einen vergleichbaren Anreiz. Die gesetzliche Vergütung und vorrangige Abnahmegarantie sowie das Umlagesystem halte ich für sehr sinnvoll. Die Umlage ist für sich genommen allerdings genau genommen ein europapolitisches Zugeständnis. Von den Funktionsweisen her gesehen wäre auch eine Steuerfinanzierung statt der Umlage denkbar, diese müsste sich dann aber eine Beihilfeprüfung unterziehen, der sie wohl nicht standhielte. Diesen Umstand halte ich übrigens für einen groben politischen Konstruktionsfehler in den Zielsetzungen der Europäischen Union, zumal nach Art. 194 AEUV der Energiemix Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist. Die EEG-Umlage wurde vor der letzten Bundestagswahl über die Medien und über ganzseitige Anzeigen massiv zum Gradmesser einer ‚für die kleinen Leute’ vermeintlich nicht mehr finanzierbaren Energiewende gebrandmarkt. Das wirkt bis heute nach.
Frage: …warum?
Nina Scheer: Das EEG war offenkundig zu erfolgreich. Eine weitere Energiewende-Umlage stößt vor diesem Hintergrund auf massiven Gegenwind. Die Mehrheiten sind somit zurzeit darauf ausgerichtet, die Umlagen zu reduzieren. In dieser Situation sind keine Mehrheiten für ein weiteres umlagefinanziertes System im Wärmebereich zu erreichen. Die Bremse, die wir jetzt beim EEG erleben, ist eine Folge des Ausbauerfolges der Erneuerbaren beim Strom.
Frage: Der EnEV-Ansatz, über ein Referenzgebäude und die darauf aufbauende Förderung den Gebäudeenergiebedarf zu senken, hat bislang nicht funktioniert. Die erneut gescheiterte steuerliche Absetzbarkeit hat dem noch die Krone aufgesetzt. Im April wurde die Förderung nach dem Marktanreizprogramm (MAP) nachgebessert, reicht das?
Nina Scheer: Notwendig ist auf alle Fälle eine Anhebung der Qualifikation bei den Energie-beratern. Es herrscht immer noch eine große Unsicherheit bei den Bauherren, welcher Beratung vertraut werden kann. Bei der Dena sind inzwischen zwar über 10.000 Energieexperten gelistet, aber eine Verzahnung von bauphysikalischen Maßnahmen und Haustechnik und allen anderen relevanten Disziplinen, auf eine solche Bauherrn für Wärmewendemaßnahmen angewiesen sind, ist damit noch längst nicht erreicht. Dies muss in die zukünftige Qualifikation der Energieberater eingebaut werden.
Frage: Energieberater und Planer arbeiten nach Normen, die in den einzelnen Bereichen unabhängig voneinander existieren. Eine integrierte Gebäudesimulation wird im Neubau bzw. der Bestandsmodernisierung nicht angewandt. Bei der KfW wird eine solche Simulation als Fördervoraussetzung sogar explizit nicht anerkannt! Was muss sich da ändern?
Nina Scheer: Bislang fehlt hier offensichtlich noch viel Knowhow. Über einzelne handgestrickte Lösungen lässt sich eben nicht genug Fortschritt erzielen. Der müsste zusammen mit einer Qualifizierung der Beratung angepackt werden.
Frage: In der Schweiz wird vom Verein Minerie die so genannte 2000-Watt-Gesellschaft gefordert. Aber Zürcher Architekten argumentieren, statt übermäßig zu dämmen, sei es klimapolitisch doch sinnvoller, Gebäude CO2-neutral zu bauen und zu betreiben. Erneuerbare Energien muss man ja nicht einsparen und bieten stattdessen dem Bürger einen Spielraum zwischen einer CO2-armen Dämmung und einem an die Gebäudesituation angepassten Einsatz von erneuerbaren Energiequellen. Sollten wir uns nicht dieser Philosophie anschließen?
Nina Scheer: An sich haben wir in unserem System beides, da Einsparen und erneuerbar Gewinnen in der EnEV gleichgestellt sind: die Energie, die ich nicht verbrauche, ist gleichgestellt mit der erneuerbarer Energien. Es ist allerdings die Frage, was durch die Fördermechanismen stärker angereizt wird, nachdem wir bezüglich der Wärmetechnik kein dem EEG vergleichbaren Erfolgsmotor haben. Von den Anreizen bzw. der Belohnung her gesehen sollte es systemisch gleich sein, aber die Anreize sind eben nicht lukrativ genug ausgestattet.
Frage: Wir haben den Eindruck, dass die Energiewende nur noch in einzelnen voneinander unabhängigen Teilschritten verwaltet wird. Ein strategischer Ansatz, eine Energiewendestrategie, existiert nicht. Was wäre Ihrer Meinung nach strategisch zu tun?
Nina Scheer: Man kann sicher nicht sehr viele Details im Voraus bestimmen, aber man soll¬te das, worauf es unausweichlich ankommt – nämlich auf eine Systemumstellung bzw. -anpassung in Richtung erneuerbarer Energien – klar in den Vordergrund stellen. Alles andere wird sich daran auszurichten haben und nach und nach als Handlungserfordernis erkennbar.
Frage: Wie kann der KWK-Anteil an der Gesamtstromerzeugung im Jahre 2020 wie im Koalitionsvertrag 2013 vorgesehen auf 25 % gebracht werden?
Nina Scheer: Hinter der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) kann sich ja Verschiedenes verstecken. KWK ist kein Selbstzweck. Wenn man den rein fossilen Betrieb in Kauf nimmt, hielte ich das für kontraproduktiv. Geht es aber in Richtung einer Kombination mit Erneuerbaren, ist es positiv. Auch hier sind starre Zielvorgaben zwar schwierig, aber wenn die Richtung „Erneuerbare“ stimmt, hat man einen Fortschritt. Bei fossilen Kraftwerken ist es natürlich besser, die Abwärme zu nutzen; man könnte dies weiter regulieren, um zu verhindern, dass die bei der Stromproduktion entstehende Wärme verschwendet wird. Dies darf aber der Ausgestaltung nach kein Anreiz für den Betrieb fossiler Kraftwerke werden.
Frage: Wie werden diese Fragen gegenwärtig in Ihrer Partei diskutiert?
Nina Scheer: Diese Themen sind ein Teil dessen, was unter Strommarktdesign diskutiert wird. Dabei geht es darum, wie die unterschiedlichen Komponenten zusammenwirken und wie sie sich regeln lassen. Darüber wird diskutiert. Wir sehen jetzt, wie die Photovoltaik zurück geht und müssen hier dringend nachsteuern – besser noch die Ausbaugrenzen ganz fallen lassen. Ich habe sie von Beginn an für falsch gehalten.
Frage: Und wie könnte man dem Einbruch bei Photovoltaik begegnen? Die Belastung des Eigenstromverbrauches mit der EEG-Umlage wieder zurücknehmen?
Nina Scheer: Ausgehend vom Solidargedanken finde ich es grundsätzlich richtig, dass jeder, der elektrischen Strom aus dem Netz verbraucht, sich an der Umlage beteiligt. Wenn man allerdings sieht, dass durch die Umlage auch auf den verbrauchten Eigenstrom der PV-Zubau abgebremst wird, muss man fragen, ob der Effekt vom Solidarbeitrag oder von der zu niedrigen Vergütung herrührt. Ich denke, der Vergütungssatz ist zurzeit zu niedrig. Wir müssen hier dringend nachsteuern, vor allem müsste das viel schneller geschehen können, als es gegenwärtig der Fall ist.
Frage: Können Sie sich vorstellen, dass in einem neuen EEG neue Fördertatbestände aufgenommen werden? Etwas Förderung von EE-Anlagen, die im Verbund wirken?
Nina Scheer: So etwas kann man mittelbar fördern, und zwar unter dem Gesichtspunkt, dass Systemverantwortung angereizt werden soll. Man muss entscheiden, ob man auf der Erzeugungsseite ansetzen will oder beim Netzmanagement. Bei Letzterem könnte ich mir ein Bonus-Malus-System vorstellen, das so ausgestaltet ist, dass derjenige, der sein Kraft¬werk unter dem Gesichtspunkt der Versorgungssicherheit betreibt, also praktisch nur „Strich fährt“ wie ein AKW oder Kohlekraftwerk, mit einem Malus versehen wird. Gefördert werden sollte Flexibilität, diese sollte von allen Marktteilnehmern eingefordert werden und nicht nur von denen, die mit EE-Anlagen jetzt neu ins Netz kommen.
Abschlussfrage: Welche politischen Maßnahmen würden Sie sich im Interesse der Energiewende wünschen?
Nina Scheer: Für den Wärmebereich würde ich mir ein umlagebasiertes Modell vorstellen, das Technologieentwicklung anreizt und zwar möglichst in Verzahnung mit dem Strombereich. Im Stromsektor bzw. im Strommarktdesign sollten noch mehr Hürden fallen bzw. Mechanismen implementiert werden, um die Erneuerbaren Energien in die Regelenergie hineinzubekommen. Um die fossil-atomare Ablösung voran zu bringen, brauchen wir aber weitere Mechanismen. Wir haben z.B. noch kein Signal des Marktes, dass AKW und Kohlekraftwerke sich nicht lohnen. Ganz im Gegenteil. Das beste Instrument dazu, das hat auch schon Hermann Scheer vorgeschlagen, wäre eine Verschmutzungssteuer, wodurch externe Kosten einbezogen würden. Wenn man dazu flankierend den Regelenergiemarkt vorrangig für die Erneuerbaren öffnet, hätte man die Instrumente, die die atomar-fossilen aus dem Markt drängen. Die Branchen der herkömmlichen Energieerzeugung brauchen ein unmissverständliches Signal. Anders werden sie sich nicht umstellen. Da eine Umstellung für einige Akteure von heute aus gesehen kaum noch möglich ist, kommt auf uns gesellschaftlich auch die Aufgabe zu, Menschen aus den betreffenden Branchen aufzufangen. Auch dies sollte programmatisch anerkannt werden, statt zu versuchen, die Auslöser für diesen Systemwandel weiter zu negieren bzw. zu vertagen.
Frau Scheer, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Die Fragen an Nina Scheer stellten Klaus Oberzig und Dr. Gerd Stadermann.