13.01.2023
Umweltpolitik in Zeiten des Ukraine-Krieges
Ein Gespräch zwischen Carsten Träger und Heinz Wraneschitz
Momentan wird entweder über die durch den Ukrainekrieg forcierte Energiekrise debattiert, über Gasimporte aus den USA oder den Golfstaaten, und ganz aktuell über das geplante Abbaggern der Braunkohle unter dem Dorf Lützerath. Doch bleibt bei all den tagesaktuellen Themen die langfristig angelegte Umweltpolitik, der Ausstieg aus den Fossilen Energien, die Bewältigung des Klimawandels auf der Strecke?
Heinz Wraneschitz sprach für die DGS-News mit dem umweltpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und deren Obmann im Umweltausschuss des Deutschen Bundestags.
DGS: Wie fühlt man sich als Umweltpolitiker der Ampelkoalition, wenn er zum Beispiel der Installation von Flüssiggasterminals und dem Import von Frackinggas aus den USA zustimmt?
Träger: Ich hätte mir das vor dem 24. Februar 2022 nicht vorstellen können und bis dahin weder den Gasterminals noch der Atomkraftverlängerung zugestimmt. Doch die von Kanzler Olaf Scholz so formulierte Zeitenwende bedeutet auch: Wir mussten sicherstellen, dass wir mit der Energie über den Winter kommen und niemand im Dunkeln sitzen muss.
DGS: Doch auch die Verwendung von Flüssiggas bedeutet CO2-Ausstoß. Sind diese Gasterminals auf länger angelegt?
Träger: Ja, die sind tatsächlich auf länger angelegt. Die Unternehmen sind nur unter gewissen Bedingungen bereit, die Investitionen auf sich zu nehmen. Wir sprechen hier Jahren, nicht Tagen oder Wochen. Das ist so langfristig, dass wir alle unsere Pläne neu justieren müssen, die wir vorher mit Atom- und Kohleausstieg hatten, mit der Transformation zur klimaneutralen Gesellschaft. Die Ziele bleiben, aber wir müssen sie neu einordnen.
DGS: Das klingt, als ginge es mit dem CO2-Ausstieg rückwärts. Sehe ich das richtig?
Träger: Jein. Es geht kurzfristig rückwärts, Ihr Gefühl ist nicht falsch. Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat tatsächlich gravierende Folgen wie etwa Gasmangel in ganz Europa. Und selbst dann, wenn der Krieg hoffentlich schnell enden sollte, wird diese Energiesituation nicht schnell wieder so werden wie vorher. Mittelfristig aber beschleunigen wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Umstieg wird schneller stattfinden. Wir werden aus der fossilen Energiewelt schneller als geplant aussteigen, da bin ich sicher.
DGS: Aber wie passt dazu der Kompromiss zum Nordrhein-Westfälischen Kohlebaggerrevier Lützerath?
Träger: Die Entscheidung basiert auf rechtsgültigen Verträgen, die schon lange abgeschlossen sind. RWE pocht darauf, dass es die dort liegende Kohle ausschöpfen muss. Doch als Gegenleistung soll schneller Schluss sein. Ja, kurzfristig bewirkt das eine Verschlechterung der CO2-Bilanz, aber 2030 ist Schluss mit Kohle in NRW und nicht erst 2038.
DGS: Doch mit dem Braunkohleabbau wird Umwelt zerstört, oder?
Träger: Ja, er ist biodiversitätsgefährdend. Kohleabbau ist auch Naturzerstörung und Vernichtung bedrohter Arten. Und natürlich ist Klimapolitik ein Teil der Umweltpolitik. Genauso wie Feinstaubbelastung die Gesundheit gefährdet. Deshalb bin ich Fan des Kohleausstiegs.
DGS: Aber momentan setzen wir mehr auf Kohle und Flüssiggas als vor dem Ukraineüberfall. Parallel gab aber jüngst zwei UN-Konferenzen zu Klima- und Artenschutz. Welche Verbesserungen für das Weltklima haben die konkret gebracht?
Träger: Wir dürfen bei aller Betroffenheit durch den schrecklichen Krieg nicht vergessen: Es ist ein Krieg in Europa, nicht im Rest der Welt. Wenn ich nach Brasilien oder Fernost blicke, dann sind dort durch die Konferenz große Fortschritte zu verzeichnen, sowohl bei Artenvielfalt als auch beim Klimaschutz. Aber ja, wir haben in Europa einen Rückschlag hinnehmen müssen. Aber meine Triebfeder ist, immer wieder aufzustehen und die wichtigen Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Denn wir sind die letzte Generation, die den Klimawandel bewältigen kann.
DGS: Und wie will die Ampel den Rückschlag korrigieren?
Träger: Wir haben zum Beispiel im Koalitionsvertrag vier Milliarden Euro für den natürlichen Klimaschutz, also für den Naturschutz vereinbart. Die Weichen für die Umsetzung sind jüngst in den Haushaltsberatungen gestellt worden. Eine Milliarde Euro jedes Jahr, so viel gab es noch nie. Ein Beispiel dabei ist die Wiedervernässung von Mooren. Hier ist ein klarer Kurswechsel vereinbart worden: Wir beenden in Deutschland den Abbau von Torf. Das ist eine gute Nachricht für Umwelt und Natur.
DGS: Der FDP-Generalsekretär sieht für den Fortbestand der Ampel - ich zitiere - "keine Rote Linie, wenn die Atomkraftwerke nicht noch weiter verlängert werden". Ist das ein Zeichen, dass die FDP endlich begreift, worum es wirklich geht bei Energie und Klima?
Träger: Nein, das hat er damit bestimmt nicht gemeint. Für mich ist die Atomdiskussion spätestens mit dem Machtwort von Kanzler Scholz beendet. Die Atomfans täuschen sich: Der Bundestag wird die Gesetze zum Ausstieg nicht noch einmal ändern. Zu dieser erneuten Debatte haben reine Phantomschmerzen der Lobby geführt.
DGS: Dazu passt die Endlagerdiskussion. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat ja jüngst verkündet, die Standortentscheidung könne Jahrzehnte später fallen. Waren die Zeiträume im Standortauswahlgesetz von Anfang an wirklich offen?
Träger: Uns war zwar bewusst, dass die Zeitrechnung im Gesetz sehr knapp ist. Aber ich ging von einer Verzögerung von drei bis vier Jahren aus. Die These der BGE mit den offenen Zeiträumen ist nicht haltbar.
DGS: Doch was unternimmt die Politik jetzt?
Träger: Die Aufsichtsbehörde BASE wird zur BGE-These einen Bericht veröffentlichen. Der wird nun genau analysiert und dann diskutieren wir, wie wir die Entscheidungsfindung beschleunigen können. Die Standortauswahl wird nicht so lange dauern, wie die BGE das errechnet hat, da bin ich sicher.
DGS: Doch zurück zum Klima. Das einfachste Mittel, den CO2-Ausstoß und den Energieverbrauch zu senken, wäre ein Tempolimit auf Autobahnen. Auf den restlichen Straßen gilt ja ohnehin Tempo 100. Warum geht die Ampel das nicht gerade jetzt an, zumal ja die Importabhängigkeit bei Energie verringert werden soll?
Träger: Da schiebe ich den Schwarzen Peter zur FDP, die das Thema bei den Koalitionsverhandlungen kategorisch ausgeschlossen hat. Das Tempolimit ist deshalb für die nächsten vier Jahre gestorben. Das ist die schlichte Wahrheit.
DGS: Dann muss es doch wohl an anderer Stelle schneller gehen. Aus meiner Sicht bremsen die Ausschreibungen für Erneuerbare Energien deren Ausbau. Warum sind die noch da?
Träger: Ausschreibungen sind für uns der Weg, der mittelfristig hilft, den Ausbau zu steuern. Jetzt gibt's außerdem Sonderausschreibungen, die das ganze Verfahren weiter beschleunigen werden. Doch selbst diese Beschleunigung heißt immer noch: wir können erst 2030 oder gar 2035 auf Kohle und andere fossile Energieträger verzichten. Aber das ist energiewirtschaftlich ein kurzer Zeitraum.
DGS: Da muss ich schon nachhaken. Die Errichtung eines LNG-Terminals schafft man in einem halben Jahr. Für ein Windrad braucht man heute immer noch sechs Jahre Planungszeit. Warum?
Träger: Das ändern wir gerade. Wir arbeiten an Planungs- und Genehmigungsbeschleunigungen, das Ziel ist eine Halbierung der Zeit. Das ist anspruchsvoll, denn wir wollen ja Umwelt- und Beteiligungsstandards hochhalten. Aber wir müssen einfach schneller werden, bei Erneuerbaren und klimaneutraler Infrastruktur gleichermaßen.
DGS: Dazu fallen mir das Umweltrechtsbehelfsgesetz und die Aarhus-Verträge ein. Gibt es da nicht Klagen vor den Europäischen Gerichten gegen die Bundesrepublik?
Träger: Zugegeben, Europarecht und Planungsbeschleunigung sind nicht so einfach zusammenzubringen. Wenn du radikal Verfahren beschleunigen willst, ist das Europarecht hinderlich. Es ist eben nicht einfach, in einem Rechtsstaat allen Interessen gerecht zu werden.
DGS: Herr Träger, zum Schluss: Was ist ihre persönliche umweltpolitische Bilanz aus gut einem Jahr Ampelkoalition?
Träger: Für mich ist es zum einen der richtungsweisende Beschluss für 30 % Schutzgebiete für den Globalen Artenschutz. Zum anderen haben wir die Energieversorgung und ihre Bezahlbarkeit trotz des Krieges gesichert und sind mittelfristig auf einem guten Weg raus aus den fossilen Energien. Im Gesamtfazit bin ich also mit meinem Wirken als Umweltpolitiker unter schwierigen Bedingungen zufrieden.