21.08.2020
Am unverständlich-seidenen Zukunfts-Faden der Politik: Die Kraft-Wärme-Kopplung
Eine virtuelle Reportage von Heinz Wraneschitz
I`m Just „Stumblin` In“. Ich denke spontan an diesen 1978er Song von Chris Norman und Suzy Quatro, als ich die digitale Tür zum „Fachgespräch 36 - KWKG-Novelle 2020“ durchschreite. Oder besser: verwundert hineinstolpere. Denn auch wenn das 36. Fachgespräch offiziell den Titel „KWKG 2020“, also die Fortentwicklung des Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz zum Inhalt hat: Die Rede ist in weiten Teilen vom so genannten Kohleausstiegsgesetz KAG. Dieses wiederum enthält jene zwölf Seiten KWKG-Änderungen, die den Betrieb von KWK-Anlagen nicht gerade erleichtern. Das zumindest verstehe ich sehr schnell.
Der 36. Fachgesprächs-Termin ist - anders als bei der Clearingstelle EEG-KWKG sonst üblich - nicht analog in Berliner Räumen ausgerichtet. Und prompt springt die Teilnehmerzahl in eine neue Dimension. Die Menge der Gäste überrascht nicht nur mich beim Reinstolpern, sondern auch Clearingstellen-Geschäftsführer Martin Winkler: „Wir haben den Nerv getroffen und 270 Anmeldungen.“
Das große Interesse liegt wohl vor allem an der Aktualität: Das Kohleausstiegsgesetz KAG soll wenige Tage später vom Bundespräsidenten unterzeichnet und im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden. Und da wollen viele Betroffene die Gelegenheit nutzen, aus erster Hand zu erfahren: Was hat die Politik tatsächlich vor? Aber genau das funktioniert nicht: CDU-Abgeordneter (MdB) Carsten Müller (Anmerkung: Webseite mit Sicherheitsrisiko!) sollte als GroKo-Mann und Mitglied im Bundestags-Energieausschusses den „Gesetzgebungsprozess des Kohleausstiegsgesetzes aus KWKG-Sicht“ erläutern. Doch der MdB hatte kurzfristig passen müssen, wie Martin Winkler entschuldigend erklärt.
Deshalb können die Online-Anwesenden auch nicht bei Politiker Müller nachfragen. Zum Beispiel, warum im neuen KAG die „in das Netz eingespeisten KWK-Strommengen mit EEG Umlageprivileg“ noch einmal komplizierter geregelt sind, als beim Vorgänger KWKG 2016. Er habe viele „Kröten“ im KAG gefunden, gibt Christoph Weißenborn zu. Er ist im Energie- und Wasserverband BDEW für „Rechtsfragen KWKG“ zuständig. Und weil der BDEW sich selbst „nicht nur als Netz-, sondern auch als Anlagen-Betreiber-Vertretung“ sieht, ist Weißenborn sogar als Beisitzer in die dafür zuständige Kammer der Clearingstelle berufen.
Netz- und Anlagenbetreiber BDEW
Auch wenn sein Vortrag „Bewertung der Änderungen im KWKG durch das Kohleausstiegsgesetz aus Sicht der Netzbetreiber“ heißt: Der BDEW-Mitarbeiter benennt Probleme, die sowohl Einspeiser als auch Aufnehmer von KWK-Strom mit dem Gesetz haben. „Woher erfährt der Netzbetreiber, dass der einzelne KWK-Anlagenbetreiber für die Strommenge an der Ausspeisestelle das EEG-Eigenversorgungsprivileg in Anspruch nimmt?“ stellt Weißenborn zum Beispiel eine für die Vergütung wichtige Frage. Er lässt die Zuhörenden aber damit alleine: Weil er selber auch keine Antwort darauf hat. Völlig klar dagegen ist für ihn: KWK-Betreiber bekommen „ein Problem hinsichtlich der Rendite, weil künftig während der Zeit negativer Strom-Börsenpreise die für das einzelne BHKW erlaubten Vollbenutzungsstunden (VBH) weiterlaufen. Bisher wurden diese nicht gezählt.“
Als „Husarenritt“ stuft Heinz Ullrich Brosziewski vom Bundesverband Kraft-Wärme-Kopplung B.KWK den Vortrag seines Vorredners ein. Mit der Kritik am KAG hält auch der B.KWK-Vizepräsident nicht hinterm Berg. Ihm ist besonders „die Vermischung der Wortwahl im neuen Gesetz aufgefallen: Bisher war im KWKG immer von Zuschlag die Rede, nun wird ein >Bonus< eingeführt. Doch auch das Wort Zuschlag steht weiterhin im KAG. Das ist keine Erbsenzählerei, sondern hat Konsequenzen.“ Denn „schon ein oder zwei Worte im Gesetzestext können die Inhalte ändern“, ärgert sich Brosziewski über inkonsequente Formulierungen im KAG-Gesetzestext.
Zufrieden ist der B.KWK-Vize „mit der einigermaßen akzeptablen Übergangsregelung“. Dagegen seien all jene Anlagenbetreiber „gekniffen, die in Grundlast investiert haben“. Außer, die lassen ihr BHKW lieber die jährlich erlaubten „3.500 VBH bis zum Sommer durchlaufen und schalten dann auf Eigenbedarf um“. Denn das ist nach Heinz Ullrich Brosziewskis Auslegung der neuen Regeln möglich. „Das kann Fehlanreize setzen. Oder setzt der Gesetzgeber auf die Vernunft der Betreiber?“ fragt er in den Raum. Doch MdB Müller kann ja mangels Anwesenheit keine Antwort geben.
Viele Fragen – keine Antworten
Genauso bleibt Brosziewskis weiteres Fragenpaket offen, darunter: „Was heißt das Muss von „eigenständig“ innovativer Wärme? Was ist, wenn der Anlagenbetreiber nicht den Strom aus dem Netz entnimmt: Ist ein Inselbetrieb mit einem Dieselgenerator möglich? Ist Brutto- oder Nettowärmeerzeugung gemeint? Was, wenn Wärmespeicher dazwischengeschaltet sind?“
„Warum sind Innovative I-KWK-Systeme auf größer 1 MW beschränkt? Warum erhalten bestehende Anlagen keinen Erweiterungsanreiz? Stattdessen muss ich die alte abschalten und eine neue Anlage bauen.“ Das wiederum sind ein paar ausgewählte Kritikpunkte von BDEW-Vertreter Christoph Weißenborn.
Der B.KWK-Vizepräsident seinerseits nennt die VBH-Zählung bei negativen Börsenpreisen schlichtweg „Unsinn: Das sorgt für Unsicherheit im Markt.“ Weshalb Clearingstellen-Mann Winkler offensichtlich erfreut feststellt: „Gut, dass B.KWK und BDEW so viele Punkte ähnlich sehen.“
Mit Blick auf „die neuen Boni, durch die weitere Anreize geschaffen werden sollen, darunter der >Bonus für elektrische Wärmeerzeuger< oder der >Südbonus<“ erwartet RELAW GmbH-Geschäftsführer Martin Winkler offenbar viel Arbeit, die auf die von diesem Unternehmen betriebene „Clearingstelle EEG/BKWK“ zukommen wird: „Wer Anwendungs- und Auslegungsfragen hat, soll sich an die Clearingstelle wenden, um außergerichtlich Streit zu schlichten. Wir helfen gerne weiter.“
Mit noch viel mehr Fragen zum KWKG 2020 im Kopf als vorher stolpere ich durch die virtuelle Ausgangstür des Fachgesprächs Nr. 36. Und dabei habe ich die restlichen Vorgaben des KAG überhaupt noch nicht angeschaut, in dem die KWK-Regelungen versteckt sind. Ich gehe davon aus, den anderen BesucherInnen geht es nicht viel anders.
Kohleausstiegsgesetz
Das „Gesetz zur Reduzierung und Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetz“ wurde im Bundesgesetzblatt Nr. 37 am 13. August 2020 veröffentlicht. Der Bundestag hat die als „Kohleausstiegsgesetz“ (KAG) bekannte Regelung am 08. August 2020 beschlossen. Die Änderungen zum neuen KWK-Gesetz stehen auf den Seiten 1853 bis 1864 unter Artikel 7. Wohlgemerkt: Hier stehen nur die Änderungen gegenüber dem KWKG 2016 (neu). Wer die versteht…
WRA