20.09.2019
Kommt der große Wurf fürs Klima?
Noch nie wurde der Klimaschutz so sehr diskutiert wie in den vergangenen Wochen. Besonders in dieser Woche – am heutigen Freitag findet gleichzeitig der weltweiter Klimastreik und die Verkündung der Klimamaßnahmen der Bundesregierung statt - wirft seine Schatten voraus. Auch der Rekordsommer, das gewaltige Waldsterben und nicht zuletzt die Proteste anlässlich der Automesse IAA am vergangenen Wochenende in Frankfurt/Main haben die Diskussionen weiter befeuert.
Die Parteipositionen in Kürze
Der Druck im politischen „Kessel“ ist enorm: Die Fridays for Future-Bewegung fordert endlich konkrete Klimaschritte, auch ist (außer der großen Geldverteilung kurz vor den Landtagswahlen) der Kohleausstieg noch keinen Schritt vorangekommen. Kanzlerin Angela Merkel hat den Druck selbst noch erhöht: Am vergangenen Wochenende war Sie auf dem Titel des Handelsblatts zu sehen, gemeinsam mit der Überschrift „Die Klimawende – Deutschlands größte Baustelle“. In dieser Woche sprach Sie dann vom Klimaschutz als „einer Menschheitsaufgabe“. Auch Olaf Scholz betonte im Fernsehinterview am Montag, dass er zuversichtlich sei, dass am Freitag eine Lösung auf dem Tisch liegt. Die Erwartungen sind von der Regierung selbst hochgelegt worden. Doch zu den einzelnen Parteien:
Am vergangenen Montag hat die CDU ihre Klimaschutzmaßnahmen beschlossen, die auch anschließend bereits ausführlich diskutiert und kritisiert wurden. Dazu eine Meldung hier unten im Medienspiegel.
Die SPD steht weiter zum Ziel des 65%-Ausbaus der Erneuerbaren Energien und hat aber vor allem in der AG Akzeptanz, die derzeit die Klimamaßnahmen abstimmt, mit der Union zu kämpfen.
Der Parteivorsitzende Markus Söder (CSU) verkündete in dieser Woche, selbstbewusst wie immer, seine Partei sei der Ursprung des Umweltschutzes. Er will die Photovoltaik voranbringen, das Land Bayern bewegt sich aber bei der 10h-Abstandregelung für Windkraft nicht. Dagegen äußert sich der Chef der CSU-Landtagsfraktion Thomas Kreuzer: "Was überhaupt nicht geht, ist rein auf eine Verteuerung von Energie zu setzen".
Die Grünen sind als Oppositionspartei in der Rolle als Kritiker unterwegs und halten die bisher veröffentlichten Maßnahmen für nicht ausreichend. Sie haben selbst im Sommer bereits ein Sofortprogramm vorgeschlagen.
Die AfD in Person von Alexander Gauland betonte beim Sommerinterview der ARD in dieser Woche, dass man sich ein Beispiel an Norwegen nehmen sollte, dass eine gute CO2-Bilanz wegen der weiterhin laufenden Kernkraftwerke hat. „Die Klimahysterie der anderen Parteien wird die AfD nicht mitmachen", sagte Gauland im Juni gegenüber der FAZ.
Nachdem Christian Lindner (FDP) schon vor Monaten mit der Aussage glänzte, man solle den Klimaschutz den Profis überlassen, betonte er auch in dieser Woche, dass Klimaschutz mit Augenmaß erfolgen muss. „Das Auto erfährt nur noch Geringschätzung bis in die Spitzen der Politik“, so Lindner auf Twitter. Lisa Neubauer von Fridays for Future antwortete darauf: „Was gerade Geringschätzung erfährt, sind in erster Linie die ökologischen Lebensgrundlagen der Menschheit. Dann kommt lange erst mal gar nichts“.
Kritik und Forderungen.
Im Folgenden haben wir einige Forderungen der Verbände, aber auch Reaktionen auf die bereits vorliegenden Vorschläge zusammengetragen, die Auswahl ist willkürlich und selbstverständlich nicht vollständig.
Fridays for Future
Die Bewegung hat am Montag in einer Pressekonferenz nochmals ihr Ziele und die Erwartungen an das Klimakabinett formuliert. Die Kurzfassung der Forderungen findet sich hier. Ob die Bundesregierung auf die Forderungen eingeht, wird sich am heutigen Freitag zeigen, Fridays for Future haben vorsorglich schon einmal formuliert: „Es darf nicht die alleinige Aufgabe der Jugend sein, Verantwortung für die Priorisierung des Klimaschutzes zu übernehmen. Da die Politik diese kaum wahrnimmt, sehen wir uns gezwungen, weiter zu streiken, bis gehandelt wird!“
Scientists for Future
Die Wissenschaftler fordern vor allem eine hohe Transparenz der Wirksamkeit der Maßnahmen, um zum einen das Erreichung der Klimaziele von Paris nachweisen zu können und zum anderen die Akzeptanz bei den Bürgern zu stärken: „Eine zugleich verständliche und wissenschaftlich nachvollziehbare Beschreibung der erwarteten Wirkungen dieser Maßnahmen ist eine notwendige Voraussetzung, um bei den Bürgerinnen und Bürgern Verständnis für bevorstehende Veränderungen zu erzielen“. Dabei geht es auch um die Grundlagen: Die Bundesregierung möge zu Beginn einmal angeben, von welchem weltweiten CO2-Budget sie ausgeht, um als Weltgemeinschaft die Erderwärmung auf 1,5 Grad (mit 50 % Erreichungswahrscheinlichkeit) bzw. 1,75 Grad (mit 66 % Erreichungswahrscheinlichkeit) zu begrenzen. Der ausführliche Forderungskatalog findet sich hier.
BEE
Der Bundesverband Erneuerbare Energien, allen voran Präsidentin Simone Peter äußert seine Verwunderung via Twitter : „Es ist völlig unverständlich, dass Erneuerbare Energien bei der Diskussion im Klimakabinett nur eine untergeordnete Rolle spielen sollen“. Der BEE hat Kernforderungen an das Klimakabinett formuliert, die hier abgerufen werden können. Neben der Forderung der CO2-Bepreisung geht es dabei um den Ausbau der erneuerbaren Energien, die Wärmewende und die Abschaffung des 52 GW-Deckels bei der Photovoltaik. Im Klimakonzept der CDU fehlt dem BEE zwei der drei Punkte - der beschleunigte Ausbau der erneuerbaren Energien und eine wirksame CO2-Bepreisung.
Eurosolar
In einer aktuellen Pressemitteilung betont der Verband: „Ohne Ausbau der Erneuerbaren Energien ist jedoch eine Politik zum Schutz vor den Folgen einer ungebremsten Klimaveränderung und als Vorbild für andere Industrienationen, Schwellen- und Entwicklungsländer nicht möglich. Daher muss der Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt statt weiter abgewürgt werden.“ Im Solarbereich werden die bekannten Forderungen nach Streichung des 52GW-Deckels, die Streichung von Steuern und Abgaben für Eigenversorgung, die Anhebung des Ausbauziels auf 10-12 GW pro Jahr bei PV sowie die Festschreibung des Einspeisevorrangs für erneuerbare Energien formuliert. Der vollständige Text findet sich hier. Eurosolar betont: “Deutschland braucht kein Paket von Einzelmaßnahmen zum Klimaschutz, sondern eine neue Energiemarktordnung, die die dezentrale Nutzung von Erneuerbaren Energien ins Zentrum der gesetzlichen und administrativen Rahmenbedingungen stellt.“
BSW
Der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) hat in einem Appell nochmals den notwendigen Zubau bei den erneuerbaren Energien und die Abschaffung des 52-GW-Deckels gefordert. Der BSW betont darin: „Die Rahmenbedingungen haben sich seit Einführung des Deckels im Jahr 2012 infolge einer erfolgreichen weltweiten Markteinführung der Photovoltaik, einer sehr starken Kostensenkung und der sich zuspitzenden Klimakrise fundamental verändert. Das Ziel des damals als „Kostenbremse“ eingeführten Instruments der Mengensteuerung ist bereits nachhaltig erreicht.
Greenpeace
Die Umweltorganisation hat bereits am Montag auf die CDU-Verabschiedung reagiert und sagte: „Bundeskanzlerin Merkel und die Spitze der CDU bleiben ihrem kopflosen Klimaschutz-Motto treu: viel versprechen – wenig halten. Statt des vollmundig angekündigten großen Wurfs liegt nun ein Bündel wenig wirksamer Einzelmaßnahmen vor, mit dem die CDU weder ihre eigenen CO2-Ziele erreichen wird, noch die Beschlüsse des Pariser Klimaabkommens konsequent umsetzt.“ Greenpeace ruft massiv zu den Klimastreiks an diesem Freitag auf (www.greenpeace.de)
BUND
Der stellvertretende Bundesvorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland formuliert seine Kritik so: „Die CDU bleibt den Aufbruch für den Klimaschutz schuldig. Das jetzt vorgelegte Papier wird den Herausforderungen nicht gerecht. Angesichts der Klimakrise braucht es ein Klimapaket, das mindestens die 2030-Klimaziele verlässlich einhält. Die Union ist davon meilenweit entfernt.“ Der BUND hat im Juli einen 30-Punkte-Plan zum Klimaschutz erstellt, der nun eingefordert wird.
DEN
Das Deutsche Energieberater-Netzwerk hat einen offenen Brief an die Bundesregierung adressiert und darin die Klimaschutz-Potentiale im Gebäudebereich betont; im Gebäudebereich ließen sich nach Auffassung des DEN enorme Mittel aus privaten Quellen durch kluge Gesetzgebung und motivierende Regelungen recht einfach freisetzen. Das Klimaschutzpotenzial hier sei enorm. Es gelte jetzt, dies auch zu nutzen, so DEN.
DGS
Die DGS hat sich der aktuell inflationären Veröffentlichung von Forderungspapieren nicht angeschlossen, unsere Forderungen liegen schon – zum Teil seit Jahren – auf dem Tisch und wurden insbesondere in den DGS-News immer wieder thematisiert. Neben der Streichung des PV-Deckels und der Abschaffung von Umlagen und Abgaben bei der Nutzung von PV-Strom steht dabei die Wärmewende, eine ambitionierte Verkehrswende und eine CO2-Bepreisung im Focus. Dass in diesem Rahmen auch die Abschaffung von klimafeindlichen Subventionen (von Flugverkehr über Steuervorteile von Autos bis zur derzeitigen Förderung von Ölheizungen) erfolgen muss, steht für uns außer Frage.
Prominente Reaktionen
Für den Verkehrsbereich und die bereits vorgestellten Vorschläge von Verkehrsminister Scheuer (CSU) hat ein breites Bündnis von Verkehrsverbänden Stellung bezogen: Das Bündnis aus Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC), der Allianz pro Schiene (ApS), dem Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), dem Deutschen Naturschutzring (DNR), der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Germanwatch, dem Naturschutzbund Deutschland (NABU), dem Verkehrsclub Deutschland (VCD) und dem WWF Deutschland hat sich mit einem offenen Brief an Kanzlerin Merkel gewendet. Die Vorschläge werden vom Bündnis kommentiert mit „die beschriebenen Maßnahmen sind klimapolitisch unzureichend, beruhen auf fragwürdigen Annahmen und belasten zudem den Staatshaushalt über Gebühr“. Der offene Brief findet sich hier. „Deutschland braucht jetzt schnell ein leistungsfähiges, ambitioniertes und umfassendes Klimaschutzgesetz“, so Wolfgang Lurcht vom Potsdam-Institut (PIK). Kritisch sieht den derzeitigen Diskussionsstand auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“). Viele der Einzelmaßnahmen seien „eher unglücklich“, so Christoph M. Schmidt, Vorsitzender des Gremiums gegenüber dem Handelsblatt. Der Sachverständigenrat hatte im Juli ein Gutachten zur CO2-Bepreisung erstellt, von dessen Vorschlägen in der derzeitigen politischen Diskussion nicht viel übrig ist.
Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) betont, dass Klimaschutz ohne Verbraucherschutz nicht möglich ist. Er fordert verbrauchergerechte CO2-Bepreisung und Anreize für eine Energie- und Verkehrswende. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Claudia Kemfert, die unter anderem am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung lehrt, betont, dass die Einführung von Subventionen für klimaschonende Wirtschaft unnötig teuer und ineffektiv ist, wenn nicht gleichzeitig klimaschädliche Subventionen abgebaut werden. Die taz vermutet in dieser Woche: „Die Bundesregierung steht kurz davor, das nächste praktisch wirkungslose Aktionsprogramm zu beschließen. Denn was das „Klimakabinett“ am 20. September entscheiden will, hat zwar den Anspruch, ein „großer Wurf“ und „kein Klein-Klein“ zu sein. Aber was in den vorbereitenden Papieren steht und welche Deals die Unterhändler gerade schmieden, sieht eher so aus, als würden sie es wieder vermurksen“, so die taz.
Vorbereitung zum Klimastreik
Derweil laufen die Vorbereitungen zum Klimastreik am heutigen Freitag auf Hochtouren. Firmen wie Naturstrom haben Mitarbeiter freigestellt, die GLS Bank hat die Mitarbeiter freigestellt und wird die Bankfilialen am heutigen Freitag schließen. Auch Gewerkschaften und Kirchenverbände haben sich angeschlossen. Die DGS wird in Berlin mit am Start sein. Mutig: Auch Thomas Geisel, Oberbürgermeister von Düsseldorf hat am Freitag vergangener Woche seine gesamte Stadtverwaltung (über 10.000 Mitarbeiter) für diesen Tag freigestellt. Zuvor hatte dies auch der Bonner OB ermöglicht. Die Aktivisten von Fridays for Future freuten sich und hofften, dass diesem Beispiel noch weitere Städte folgen. Das ist (Stand Donnerstag) geschehen: Von Köln und Berlin über Karlsruhe bis Pforzheim wurden die Streiks inzwischen von den Stadtoberhäuptern unterstützt und Mitarbeitern die Teilnahme ermöglicht. Weitere Unterstützung gibt es auch z.B. von Flixbus: Der Fernbusanbieter unterstützt die Klimastreiks am 20.9. und 27.9. und spendiert den Streikenden, die mit Flixbus zur Demo fahren und ein Selfie von ihrer Teilnahme einreichen, eine Freifahrt. Alle Streikorte sind verzeichnet auf www.klima-streik.org.
Jetzt kann man nur gespannt hoffen, dass sich die Vertreter im Klimakabinett bis heute zusammengerauft haben werden und die notwendigen Schritte hin zur Einhaltung der Paris-Ziele gehen. Die heutigen Klimademonstrationen werden die Notwendigkeit nochmals unterstreichen.