16.11.2018
Das Märchen von den klimaneutralen Kraftstoffen
In dieser Woche traf sich erstmals sich die Arbeitsgruppe 2 „Alternative Antriebe und Kraftstoffe für nachhaltige Mobilität“ der Nationalen Plattform „Zukunft der Mobilität“[1], die die technologischen Optionen für ein weitgehend treibhausgasneutrales und umweltfreundliches Verkehrssystem der Zukunft analysieren und abwägen, sowie die Bundesregierung entsprechend beraten soll.
Neben den reinen E-Fahrzeugen (BEVs) und Brennstoffzellen-Fahrzeugen (FCEVs) beschäftigt sich die Arbeitsgruppe auch mit regenerativen Kraftstoffen, die entweder aus dem Agrarsektor stammen („Biokraftstoffe“) oder aus Abfallprodukten der Industrie. Während das Potential der „Biokraftstoffe“ – die wegen des nötigen Kunstdüngers und der Pestizide auch nicht wirklich „Bio“ sind – auf Grund der fehlenden landwirtschaftlichen Flächen [2] beschränkt bleibt, setzt man auf die Industrieabfälle große Hoffnungen. Als Schlüssel zur Lösung gilt CCU (Carbon Capture and Utilization): Hierbei wird das sonst in die Atmosphäre geblasene CO2 aus den Verbrennungs-Prozessen großer Kraft- Stahl- und Zement-Werke abgeschieden und in weiteren chemischen Prozessen unter hohem Energieeinsatz zu flüssigen Kraftstoffen (Power to Fuel/PtF) umgewandelt. Auf diesem Wege könnte die deutsche Autoindustrie an ihrer großen Stärke, dem Verbrennungsmotor, festhalten und die anderen Großindustrien könnten sich zugleich klimaneutral rechnen.
Geradezu pünktlich zum Start der Arbeitsgruppe 2 hat der WWF ein Positionspapier zu CCU und Erneuerbaren Kraftstoffen vorgelegt [3], das bezüglich des Verkehrs sehr kritisch ausfällt.
Ausgehend von der Erkenntnis, dass für einen wirklich klimaneutralen CCU-Prozess
a) nur zu 100% Erneuerbarer Strom genutzt werden dürfte,
b) der Einsatz von CO2 aus fossilen Quellen ausgeschlossen werden müsse, und
c) zudem eine Lebenszyklus-Analyse der Endprodukte notwendig sei, die erhebliche Treibhausgasminderungen gegenüber dem fossilen Pfad ergeben müsste,
analysiert der WWF die CCU-Auswirkungen in den vier Bereichen Herstellung chemischer Grundstoffe, Langzeitspeicher im Stromsystem, Heizmaterial und Treibstoff für den Verkehrssektor. Während die Analyse für die ersten beiden Bereiche zu durchaus akzeptablen Ergebnissen kommt, weil das CO2 entweder langfristig gebunden wird (z.B. in Baustoffen) oder das CCU zentral zurückverstromt werden kann, wobei das entstehende CO2 aufgefangen und einem neuen CCU-Kreislauf zugeführt wird, ist das Ergebnis für die beiden letzteren Bereiche negativ: beim Einsatz des Heizmaterials vor allem in kleinen Heizungen – anders als bei großen Heizwerken/Industriebetrieben – wird das CO2 nicht aufgefangen und gelangt durch den Schornstein letztlich doch in die Atmosphäre. Völlig klimatisch kontraproduktiv werde CCU bei Land-, Luft- und Wasser-Fahrzeugen, da das CO2 dann aus Millionen Auspuffanlagen freigesetzt werde und die Klimakrise anheize. Dazu kommt der immense Stromverbrauch für die Herstellung von CCU-Stoffen: für das Fahren mit CCU-Benzin müsse fünfmal soviel Strom eingesetzt werden wie für das Fahren mit elektrischem Strom.
Trotz der Kürze macht das WWF-Positionspapier deutlich, dass die Hoffnung auf erneuerbare, klimaneutrale Kraftstoffe sich nur als weitere Sackgasse der deutschen Autoindustrie erweist, und dass die Erfolgsgeschichte einer weiterhin fossil-getriebenen, aber dank CCU klimaneutralen Industrie eine Märchengeschichte interessierter Kreise bleiben muss.
Die Kritik des WWF-Positionspapiers, das sich seinem Anspruch gemäß auf das Power-to-Fuel-Verfahren beschränkt, ist mit Blick auf den Verbrennungsmotor generell sogar noch auszuweiten: Großstädte werden im Zuge der fortschreitenden Klimakrise in den Sommerzeiten immer mehr zu Hitzeinseln, denen es nicht gelingt, ihren Wärmeüberschuss ins Umland abzuführen. Neben den fehlenden Grünflächen tragen die hunderttausende von Verbrennungsmotoren zum Aufheizen des Stadtklimas bei. Eine wissenschaftliche Studie unter dem Titel „Hidden Benefits of Electric Vehicles for Addressing Climate Change“ [4] hat 2015 gezeigt, dass Fossil-Fahrzeuge fünfmal soviel Wärme freisetzen wie Elektro-Autos, wodurch allein in einer Stadt wie Peking die Sommertemperatur um 1°C höher liegt und Millionen von Kilowattstunden Strom für Klimaanlagen eingesetzt werden müssen. Dieses Problem ließe sich auch durch den vollständigen Ersatz der Mineralöl-Kraftstoffe durch CCU-Kraftstoffe nicht lösen.
Ebenfalls mit oder ohne CCU fortbestehen würde die Tatsache, dass in einem konventionellen Auto zehnmal mehr mechanische bzw. Verschleiß-Teile verbaut sind als in einem Elektro-Auto. Alle diese Teile müssen gewartet und irgendwann repariert werden; die Ersatzteile müssen produziert und transportiert werden, das Auto muss für die entsprechenden Arbeiten in die Werkstatt, so dass auf den Fossil-Fahrzeugen eine zusätzliche CO2-Last liegt, die es bei Elektro-Fahrzeugen so nicht gibt.
Die Summe der Fakten macht deutlich, dass es klimaneutrale Kraftstoffe auf CCU/PtF-Basis
nicht gibt. Insofern sind die diesbezüglichen Bemühungen der Arbeitsgruppe 2 der Nationalen Plattform „Zukunft der Mobilität“ schon jetzt ein „totgeborenes Kind“. Die Zukunft des Landverkehrs (Straße und Schiene) liegt in reinen E-Fahrzeugen (BEVs) und Brennstoffzellen-Fahrzeugen (FCEVs). Hätte die deutsche Autoindustrie nicht so viel Angst, dass sich ihre weltweite Spitzenposition im Motorenbau, bei Motormanagement, Getriebe und Abgasbehandlung durch den Wechsel zum E-Antrieb ins Nichts auflöst, dann hätte man diesen notwendigen Wandel viel vorausschauender und aktiver gestalten können. Dann würde von diesem wichtigen deutschen Industriezweig wohl künftig mehr übrigbleiben, als es derzeit den Anschein hat.
Götz Warnke
- [1] https://www.plattform-zukunft-mobilitaet.de/termin/auftaktsitzung-der-arbeitsgruppe-2/
- [2] Bei der vollständigen Umstellung der rund 46 Millionen Fahrzeuge auf Agrarkraftstoffe dürften die derzeit rund 16,7 Millionen Hektar landwirtschaftlich genutzter Flächen in Deutschland kaum ausreichen; dabei wäre der Schiffs- und Luft-Verkehr noch nicht einmal einbezogen.
- [3] Wie klimaneutral ist CO2 als Rohstoff wirklich? WWF als Position Rohstoff zu Carbon Capture and Utilization (CCU), hrsg. vom WWF Deutschland, Berlin November 2018 , https://www.wwf.de/2018/november/kein-wundermittel/
- [4] Canbing Li, Yijia Cao et al.: Hidden Benefits of Electric Vehicles for Addressing Climate Change, in: Scientific Reports volume 5, Article number: 9213 (2015) , https://www.nature.com/articles/srep09213