27.09.2024
Wasserkraft ist weiter wichtig
Ein Bericht von Götz Warnke
Viele, die heute von Erneuerbaren Energien sprechen, denken dabei an Sonnenenergie und Windkraft. Das ist zwar auch richtig, aber eben nur ein Teil der Wahrheit. Denn dabei völlig vergessen wird die Wasserkraft als für lange Zeit einzige technische Nutzung der Erneuerbaren Energien – von den Kornmühlen der Römerzeit über die Hammer- und Schmiedemühlen der mittelalterlichen Klöster und Städte bis zu den Antriebsmaschinen der Manufakturen und der Industrie. Das erste Wasserkraftwerk zur Stromerzeugung wurde 1878 in England errichtet, das erste Großkraftwerk der Welt in den USA an den Niagarafällen, und das erste deutsche E-Auto, der Flocken Elektrowagen, wurde 1888 mit Strom aus Wasserkraft geladen. Ende der 1880er Jahre gab es rund 80.000 Wasserkraftanlagen im Deutschen Reich – aber keine Klagen über schwindende Fischbestände.
Heute, bei nur noch ca. 7.500 Anlagen, gilt in manchen Kreisen die Wasserkraft nicht als eine willkommene Unterstützung im Kampf gegen die Klimakrise und für die Energiewende, sondern fast als die Wurzel allen Übels: In den Augen romantischer Naturschützer zerstört sie die Flüsse, für Anglerverbände vernichtet sie die Fischbestände, und die deutsche Bürokratie sabotiert *, Klimakrise hin oder her, weiterhin bestehende Wasserkraftanlagen.
In dieser Situation haben Hans Josef Fell, einer der „Eltern des EEG“ sowie aktiver Energiewender, und Heinrich Strößenreuther, Manager, Umweltaktivist und CDU-Parteigenosse, gemeinsam mit einem Team nicht nur die deutschen Wasserkraftpotentiale analysiert, sondern sind argumentativ auch auf die Gegner der Wasserkraft zugegangen.
Das Ergebnis ist eine 38seitige Studie mit dem Titel „Wasserstrom – der neue Gamechanger für Klimavorsorge, Heimatenergien und Gewässernatur“, die von der Energy Watch Group herausgegeben wurde.
Nach dem Kapitel I. „Summary“ - für die üblichen Kurzleser - folgt in Kapitel II. unter dem Stichwort „Heimatenergie“ eine Demonstration der besonderen Leistungen der Wasserkraft für das Energiesystem: praktisch 24/7 verfügbar, damit grundlastfähig; steuerbar, reaktionsschnell und somit netzstabilisierend; dezentral an vielen Punkten einspeisend und dort auch für spezielle Lösungen wie E-Auto-Ladestationen einsetzbar.
Kapitel III. zeichnet die Grundzüge einer neuen Wasserkraftstrategie, die die negativen, zentralistischen Auswirkungen des NS-Energiewirtschaftsgesetzes von 1935 beheben und die dezentrale Wasserkraft fördern soll. Die vier zentralen Säulen dabei sind:
1. Repowering der Anlagen mit neuen, effizienteren Turbinen.
2. Modernisierung von Anlagen im Sinne einer Generalsanierung, d.h. beispielsweise Verbesserung der Wasserführung, der Leistungselektronik, der Höhe der Aufstauungen, der Fischfreundlichkeit.
3. Reaktivierung von still gelegten Anlagen, z.B. an den rund 220.000 Querverbauungen in Deutschland, die trotz der Eliminierung der dortigen Wasserkraft bestehen bleiben müssen, weil sie dem Hochwasserschutz, der Schifffahrt, der Grundwassersicherung und der Trinkwassergewinnung dienen.
4. Neubau von größeren Anlagen zur Erschließung der Potentiale an Rhein, Elbe, Donau und Oder sowie von Kleinwasserkraft-Anlagen an den kleineren Flüssen Ostdeutschlands.
Insgesamt belaufen sich danach die Potentiale der vier „Säulen“ bis zu 7.100 MW installierte Leistung und sichere zusätzliche Erträge von 28 TWh/Jahr; dies sollte mittels einer Strategie „Wasserkraft2030“ gesichert und umgesetzt werden.
Kapitel IV. behandelt den klima- und umweltpolitischenBeitrag der Wasserkraft, und hebt die lange Lebensdauer der Anlagen, die hohen Energieernten im Verhältnis zur eingesetzten Energie über die Lebensdauer, die starken Netto-CO2-Vermeidungen sowie die Reinigung der entsprechenden Gewässer von (Plastik-)Müll hervor. Methanemissionen aus wasserkraftlich genutzten Flüssen seien der Landwirtschaft (Dünger), das Schrumpfen der Fischpopulation primär den Umweltgiften zurechnen, wurde festgestellt.
Kapitel V. erklärt, warum Querverbauungen von Flüssen notwendig sind: Gerade das Ahrtal, in dem in den vergangenen Jahren solche Flutbremsen abgebaut wurden, hat gezeigt, dass naturnahe Flüsse tödlich sein können. Querverbauungen halten auch jenseits von Katastrophen das Wasser länger in der Landschaft; dadurch erhöhen sie die Grundwasserspiegel, reduzieren Dürrephasen und temperieren über Verdunstungskühle die Landschaft.
Kapitel VI. kritisiert die gegen die Wasserkraft ins Feld geführten Thesen zur Fischmortalität. Zum einen seien die Forschungsmethoden zum Teil fragwürdig, wenn man z.B. unerfahrene Zuchtfische direkt vor den Turbinen aussetze, zum anderen sei die Fischmortalität an modernisierten Kraftwerken gering, und die größten Gefahren für Fische kämen aus der Natur: Kormorane, Fischotter, invasive Arten, rekordverliebte Angler und zu niedrige Wasserstände in Dürrezeiten.
Kapitel VII. zeigt die Gewässerschädigungen durch Dampfkraftwerke, die unausweichlich sind, wenn man auf fossile Energie statt auf Wasserkraft setzt: Aufheizung der Gewässer, Sauerstoffmangel, Eintrag von Giftstoffen (Quecksilber, Schmiermittel). Wasserkraft hingegen reichert die Gewässer mit Sauerstoff an und kann durch die Energieentnahme das Wasser auch noch kühlen.
Kapitel VIII. verweist darauf, dass die heute meist um 3°bis 4° C zu warmen Flüsse ein gutes Energiepotential darstellen, das sich über Kleinwasserkraftwerke für Nahwärmenetze ernten lässt. Entsprechende Wärmepumpen-Anlagen lassen sich auch im Direktantrieb ohne Elektrizität realisieren, wie das Beispiel Windthermie zeigt. Das wärmt nicht nur die Menschen in den angeschlossenen Wohnungen, sondern kühlt auch den Lebensraum Fluss gemäß der Bedürfnisse der Fische.
Kapitel IX. beschäftigt sich mit der kulturellen und regionalwirtschaftlichen Bedeutung der Wasserkraft: Die Modernisierung und Reaktivierung von Kleinwasserkraftanlagen schafft Arbeitsplätze im regionalen Handwerk; zudem bleiben in der Folge die Aufwendungen der Menschen für heimischen Strom und Nahwärme ebenfalls in der Region. „Im Zubau-Szenario Wasserkraft2030 können zusätzliche fünf bis sieben Milliarden Euro regionale Wertschöpfung entstehen …“ Zudem wirken traditionelle, kleine Wasserkraftanlagen als Dorfmittelpunkt, Denkmal und Attraktion identitätsstiftend. Und die Wasserkraft hat eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.
Kapitel X. zählt einige Forschungsfragen hinsichtlich des geplanten Ausbaus der Wasserkraft auf, zum Beispiel die optimale Nutzung der rund 15.000 geeigneten Querverbaue, die Potentiale beim Thema Nahwärme aus Wasserkraft plus Flusswärme etc.
Kapitel XI. als Abschluss listet eine Reihe von politischen Forderungen an EU, Bund, Länder und Kreise mit Blick auf das Zubau-Szenario Wasserkraft2030 auf, u.a. Aufnahme der Wasserkraft in den europäischen Green Deal, Ausarbeitung eines Leitfadens zur Auslegung der wasserrechtlichen EU-Vorgaben, Stopp des Abbaus von Wasserkraftanlagen durch eine entgegen dem EEG 2023 handelnde Bürokratie.
Fazit: Die Studie ist ein gut gemachtes, argumentativ überzeugendes und wissenschaftlich begründetes Papier – 70 wissenschaftliche Fußnoten und ein Quellenverzeichnis von viereinhalb Seiten belegen, dass es den Autoren um Aufklärung und nicht um platte Propaganda ging. Ob es mit den vielen guten Argumenten auch gelingen kann, notorische Naturschutzfanatiker, eingefischte Anglerverbandsfunktionäre und fanatische Kampfangler zu überzeugen, sei einmal dahingestellt.
Aufgefallen an der Studie sind:
a) die moderaten politischen Forderungen; da hätte man durchaus radikaler und härter formulieren können, etwa: Wiederinkraftsetzung aller alten Wasserkraft-Wassernutzungsrechte, sofern das noch technisch und topografisch möglich ist. Andererseits haben die Forderungen der Studie eine bessere Chance auf Umsetzung.
b) Die Gliederung der Studie ist eher politisch an den verschiedenen Adressaten (Naturschützer, Angler, Regionalpolitiker) orientiert als systematisch wie etwa je einzelnes Kapitel zu Wasserkraft und Klimaschutz, Wasserkraft und Umweltschutz etc. Das führt zu einigen Doppelungen, lässt sich aber verschmerzen.
Fehlt auch noch was?
Ja, das große Thema der Meeresenergien, die auch eine Form der Wasserkraft sind. Aber das steht auf einem anderen Blatt.
* Wer die Petition gegen die Vernichtung der Wasserkraft des Sägewerks Hahn unterstützen möchte, findet den entsprechenden Link hier!