22.03.2024
Es geht voran bei der Tiefengeothermie
Ein Bericht von Götz Warnke
Vor zwei Jahren hatten wir hier an dieser Stelle zum Thema „Tiefe Geothermie in Deutschland“ auf ein 37-seitiges Papier verwiesen, das vom Fraunhofer-Institut für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG), dem Helmholtz-Zentrum Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ), sowie weiteren Wissenschaftlern als Roadmap publiziert worden war. Der zentrale Aspekt: Geothermie aus Tiefen zwischen 400 und 5.000 Metern kann jährlich über 300 Terrawattstunden (TWh/a) und damit ein Viertel des deutschen Wärmebedarfs decken.
Angesichts des fast zeitgleich beginnenden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine und dem Ende der russischen Erdgaslieferungen nach Deutschland erhielt das Papier eine besondere Bedeutung für die Energiesicherheit und die Wärmewende. Zeit also, die Entwicklung der Tiefengeothermie in den letzten zwei Jahre mal unter die Lupe zu nehmen.
Schon kurz vor Veröffentlichung des genannten Papiers hatte man in Hamburg-Wilhelmsburg mit einer tiefen Erkundungsbohrung begonnen – wir berichteten. Das mit einer langen Vorlaufzeit von 14 Jahren bezüglich Theorie, Analyse und Konkretisierung bearbeitete Projekt war dann im August 2022 erfolgreich, allerdings in anderen Tiefen und mit geringeren Temperaturen als die Projektplaner gehofft hatten. Dennoch ist die Bohrung in der Lage, grundlastfähige Wärme für ein Nahwärme-Netz zu liefern.
Vielerorts scheint inzwischen ein „Bohrfieber“ ausgebrochen zu sein. Dabei ist längst nicht jede Bohrung erfolgreich, wie der dänische Geothermie-Entwickler Innargie feststellen musste, der für das Wärmenetz der Stadtwerke Flensburg Wärmequellen im Untergrund erschließen sollte – es ließ sich schlicht nicht genügend heißes Wasser finden. Doch einzelne Misserfolge werden in Kauf genommen. Denn auf der anderen Seite gibt es durchaus positive Überraschungen: In Potsdam haben die schrägen Bohrungen – die an der Erdoberfläche nur sieben Meter auseinander sind, in 2.000 Metern Tiefe aber bereits 800 Meter Abstand haben – statt der erwarteten Leistung von 1,8 bis 2 Megawatt über 4 Megawatt erbracht; eine deutliche Unterstützung beim Ergrünen der dortigen Fernwärme.
Mitten im rheinischen Braunkohlegebiet auf dem Gelände des Kraftwerks in Weisweiler plant das oben angeführte Fraunhofer IEG einen Forschungsstandort, und treibt mit Partnern Erkundungsbohrungen zur Ermittlung Thermalwasser-Vorkommen im Untergrund voran. Sollten sich die Vorkommen als förderfähig erweisen, ließe sich irgendwann die Fernwärmeleitung des hoffentlich alsbald stillgelegten Braunkohle-Kraftwerks für die aus der Erde geholte Wärme nutzen.
Ein Zentrum der deutschen Geothermie-Nutzung ist der Großraum München, der insbesondere von den Stadtwerken München (SWM) tiefengeothermisch „beackert“ wird – nicht immer zur Freude anderer kommunaler Betreiber von Nahwärmenetzen. Das zum Molassebecken gehörende bayerische Voralpenland verfügt in 1.000-2.000 Metern Tiefe über große Thermalwasser-Ressourcen. Die SWM haben nun zusammen mit dem Landkreis München und weiteren Partnern ein Forschungsprojekt namens "Giga M" gestartet, um dieses Potential noch stärker zu erschließen.
Aber auch an Standorten wie dem nordfriesischen Husum, wo vor 10 Jahren kaum jemand an die Nutzung der tiefen Erdwärme gedacht haben dürfte, werden die Stadtwerke demnächst eine Aufsuchungsbohrung abteufen – die bergbaurechtliche Genehmigung haben sie inzwischen.
Im ehemaligen Erdöl-Bundesland Niedersachsen hält die vom Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) betreute Plattform „Geothermieforum Niedersachsen“ Listen von bestehenden, nachnutzbaren Bohrlöchern aus der Erdgas- und Erdöl-Industrie bereit, bei denen eine tiefengeothermische Verwendung denkbar ist. In vielen Fällen dürfte hier allerdings der Hinderungsgrund bestehen, dass die Bohrlöcher der Fossil-Industrie nicht siedlungsnah, und deshalb für Wärmenetze ungeeignet sind.
Selbst in Mecklenburg-Vorpommern, dessen Geothermiepotential schon zu DDR-Zeiten teilweise genutzt wurde, und dessen noch nicht genutzte DDR-Bohrungen 2015 eine Putin-Gas-verliebte und energiepolitisch unterbelichtete dortige SPD-Führung klimaschädlich zubetonieren ließ, wird inzwischen wieder so fleißig gebohrt, dass das Land den Preis „Champion Tiefe Geothermie“ des Bundesverbands Geothermie e. V. erhalten hat.
Generell wird das Auffinden von thermalwasserhaltigen unterirdischen Schichten dadurch erleichtert, dass es mittlerweile öffentlich zugängliche, immer genauere, auf Bohrerfahrungen basierende Potential-Atlanten gibt wie das Geothermische Informationssystem GeotIS, das vom Leibniz-Institut für Angewandte Geophysik betreut wird – ebenso wie das laufende Projekt „WärmeGut“ speziell für die oberflächennahe Geothermie.
Ein weiterer, sehr wichtiger Aspekt ist die Weiterentwicklung der Geothermie-Technik: vor allem neue, schnellere und kostengünstigere Bohrverfahren können die anstehenden, massenhaften Bohrungen erleichtern. Da ist zum einen das „Plasma Pulsed Geo Drilling“ (PPGD), an dem von der ETH Zürich und dem Fraunhofer IEG geforscht wird. Hierbei wird das zu durchbohrende Gestein mittels Hochspannungsimpulsen/künstlichen Blitzen berührungslos zerstört; die teuren, mit Diamanten besetzten und schnell verschleißenden Bohrköpfe gehören damit der Vergangenheit an. Ähnliches soll auch das Microwellen-Verfahren der US-Firma Quaise Energy, ein Start-up des MIT, bewirken. Die US-Amerikaner möchten mit einem Gyrotron von 1 MW Leistung und einem rekordmäßigen Vortrieb von 70 Metern pro Stunde eine Tiefe von 20 Kilometern erreichen, um die extrem heißen Temperaturen dort energetisch zu nutzen.
Doch auch hinsichtlich der Wärmeernte-Verfahren gibt es neue Ansätze: Die kanadische Firma Eavor Technologies Inc. mit Sitz in Calgary hat mit dem „Eavor-Loop“ einen unterirdisch waagerecht erbohrten Wärmetauscher entwickelt, der in einem geschlossenen Kreislauf-System mittels eines Arbeitsmediums dem Untergrund die Wärme entzieht. Das System ist standortunabhängig – Thermalwasser-Vorkommen im Untergrund sind keine Voraussetzung mehr; auf Grund der hohen Temperaturen in 4.500 Metern kann auch Strom erzeugt werden. Das deutsche Tochterunternehmen von Eavor baut derzeit eine entsprechende Anlage im oberbayrischen Geretsried.
Fazit
Die Vielzahl der neuen Bohrprojekte, aber auch die kurz vor ihrem Einsatz stehenden neuen Technologien machen deutlich, dass das Potential der Geothermie noch lange nicht ausgeschöpft ist. Für die Wärmewende kann die Geothermie zusammen mit der Solarthermie und den mit Strom aus Wasser, Wind und PV betriebenen Wärmepumpen dem fossilen Erdgas endgültig den Hahn zudrehen.