25.02.2022
Wärmewende: Mehr Wärme aus der Tiefe
Ein Bericht von Götz Warnke
Wer sich lange genug mit den Erneuerbaren Energien und der Energiewende beschäftigt, kann sich nur die Augen reiben: die Wärmewende, bisher so eine Art Stiefkind der Energiewende, kommt augenblicklich gewaltig in den Focus – und das nicht etwa wegen der militär- und gasstrategischen Winkelzüge eines zu klein geratenen russischen Autokraten. Während sich noch in den vergangenen Jahren die Energiewende hauptsächlich um die Strom- und Verkehrswende drehte, wird jetzt offensichtlich stärker die Tatsache berücksichtigt, dass der größte Posten unseres Energieverbrauchs mit ca. 56% die Wärmeerzeugung für Heizung, Warmwasser und Prozesswärme ist. Nicht nur haben jetzt die Akteure und Verbände der Solarthermiebranche, zu denen auch die DGS gehört, ein Positionspapier „Agenda Solarthermie 2022“ vorgelegt, sondern auch der Bundesverband Erneuerbare Energien (BEE) hat Maßnahmenvorschläge zur Beschleunigung der Wärmewende und des Klimaschutzes im Gebäudesektor publiziert.
Und sogar große Wissenschaftsinstitutionen nehmen sich in Form einer Roadmap des Themas an: unter Leitung des Fraunhofer-Instituts für Energieinfrastrukturen und Geothermie (IEG) und des Helmholtz-Zentrums Potsdam Deutsches GeoForschungsZentrum (GFZ) haben Forscher unterschiedlicher Institute sich mit dem Thema „Tiefe Geothermie in Deutschland“ befasst. Das 37seitige Papier ist aus verschiedenen Gründen interessant – nicht nur, weil die Tiefengeothermie (tiefe Erdwärme) in vielen Diskussionen um Wege der Wärmewende bisher kaum eine Rolle spielt. Interessant ist vor allem das Potential: die Tiefengeothermie kann aus unterirdischen Bereichen zwischen 400 und 5.000 Metern jährlich über 300 Terrawattstunden (TWh/a) und damit die Deckung eines Viertels des deutschen Wärmebedarfs beitragen. Rechnet man noch das Potential von rund 200 TWh/a der oberflächennahen Geothermie (bis 400 m Tiefe) dazu, dann wird die Bedeutung dieser Technik deutlich.
Vorteile sind zudem, dass sich geothermische Anlagen wie Heizwerke problemlos mitten in den Städten, den geographisch größten Wärmeabnehmern, platzieren lassen. Zudem ist Geothermie grundlastfähig. Und die geförderten Wärmemengen haben ein Volumen und eine Wassertemperatur, die sich direkt in kalten Wärmenetzen oder – mit Hilfe von Wärmepumpen mit einem COP von 20-50 (!) – in heißen Wärmenetzen einsetzen lässt, wobei sich die Roadmap auf hydrothermale Systeme (d.h. Förderung aus wasserführenden Schichten) beschränkt und nicht petrothermale Systeme einbezieht (heiße Gesteinsschichten/Hot Rock, in die künstlich Wasser hinein gepresst werden muss).
Nachteile sind, dass die Bohrungen teuer und im Erfolg unsicher sind, und dass heißes Wasser nicht überall in einer förderfähigen Tiefe vorkommt. Heißes Tiefenwasser findet sich regional im Norddeutschen Becken (NDB), in der Rhein-Ruhr-Region (RRR), im Oberrheingraben (ORG), im Süddeutschen Molassebecken (SMG), und im Mitteldeutschen Grundgebirge (MGG), wobei auf eine Tiefe von 3.000 Meter bezogen der ORG die höchsten, und das MGG die niedrigsten Temperaturen liefert.
Die Schlüsse aus der Roadmap, die als fünf Empfehlungen gleich zu Anfang des Papiers stehen, lauten:
- 1. Von Seiten der Politik: klare Ausbauziele formulieren, Gesetze wie z.B. das Bundesberggesetz (BBergG) ggf. anpassen, Genehmigungsverfahren beschleunigen, Vorzugsflächen ausweisen.
- 2. Das Fündigkeitsrisiko minimieren: a) finanziell durch staatliche Förderung, und b) technisch durch geophysikalische Untersuchungen/geologischen Landesaufnahmen
- 3. Schlüsseltechnologien wie Bohrlochpumpen, Hochtemperaturwärmepumpen, Großwärmespeicher müssen entwickelt und zur Serienreife geführt werden; das ist durch entsprechende Investitionen abzusichern.
- 4. Bildungspolitische Maßnahmen sollen die personellen Engpässe beheben, und so neue Arbeitsplätze und Wertschöpfung in dieser Techniksparte ermöglichen.
- 5. Eine breite Öffentlichkeitsarbeit zur Förderung des Verständnisses und der Akzeptanz dieser für viele Menschen neuen Technik.
Ein interessanter Punkt hat es nicht in diese Empfehlungsliste geschafft, auch wenn die Wissenschaftler ihn im Text ausführen: die optimal einzusetzenden Techniken für die benötigten, verschiedenen Temperaturniveaus. Für hohe, industrielle Prozesstemperaturen von > 200 °C wird man künftig auf der Verbrennung von grünem Wasserstoff und/oder Biomasse/-gase setzen. Für den Niedertemperaturbereich (z.B. Gebäudesektor) von < 200 °C stehen Solarthermie und Geothermie – beide ggf. in Verbindung mit Wärmepumpen – zur Verfügung; der von der Politik gehypte Grüne Wasserstoff z.B. aus dem Erdgasnetz wird hier zumindest kurz- und mittelfristig keine Rolle spielen.
Fazit
Diese Roadmap zeigt nicht nur den Weg zu einer erweiterten, CO2-freien Wärmeversorgung und die dazu notwendigen Schritte. Sie zeigt auch, welches erneuerbare Wärmepotential noch ungehoben unter unseren Füßen schlummert. Nimmt man noch einmal die hier nicht behandelten, aber auch noch zu erschließenden petrothermalen Systeme (Hot Rock) hinzu, so sind das rund 40% des deutschen Wärmebedarfs. Mit der kaskadenhaften Wärmenutzung (industrielle Abwärme → Gebäude-Heizung), kühleren Wärmenetzen (geringere Energieverluste), Wärmepumpen etc. und insbesondere mit der sowohl dezentral als auch zentral einzusetzenden Solarthermie lässt sich eine fossilfreie Wärmeversorgung aufbauen. Künftig sind dazu weder LNG-Lieferungen aus allen Teilen der Welt noch Pipelines a la „Nord Stream 2“ nötig, die nur dazu dienen, energiepolitische Abhängigkeiten aufrecht zu erhalten, die dann u.a. mit merkwürdigen Stiftungen mühsam vertuscht werden müssen. Sowohl unser Land als auch seine Bürger benötigen dringend mehr Energieautarkie, wie gerade die jüngsten Entwicklungen noch mal deutlich zeigen.