03.05.2024
Kurspeilungen der Energiewende Teil 5: Recycling ausweiten
Eine Skizze von Götz Warnke
Ein Skipper auf dem Meer muss sich bei heraufziehendem Unwetter überlegen, welchen Kurs er anlegen bzw. wohin er sein Boot steuern will. Der Skipper muss sich also verschiedene Kurse überlegen, auf denen er unter den gegebenen Umständen einen sicheren Platz zum Festmachen erreicht. Wie und mit welchen Manövern er diesen Platz dann auf den letzten paar Hektometern erreicht, ergibt sich dann aus der aktuellen Situation. Wichtig ist, den richtigen Kurs zu wählen und sichere Gewässer zu erreichen.
Das gilt auch für die Energiewende. Denn das heraufziehende Unwetter ist die Klimakrise mit immer häufiger und zum Teil auch stärker auftretenden Extremwetter-Ereignissen. Ihr gilt es möglichst weitgehend zu entkommen, die richtigen Kurse anzulegen. Dabei geht es um die richtige Richtung, um grundsätzliche Orientierungen, nicht um Einzelmaßnahmen, auch wenn die zu laufenden Kurse immer mit Einzelmaßnahmen als Beispiele unterlegt werden. Dabei erheben weder die hier abgesteckten Kurse/Grundorientierungen noch die einzelnen Manöver/Maßnahmen zu ihrer Umsetzung Anspruch auf Vollständigkeit.
Recycling ausweiten
Wer glaubt, Recycling habe nichts mit dem Thema Energie und Klima zu tun, der hat die Energiewende nicht verstanden: die Art des Recyclings bestimmt erheblich die Menge der einzusetzenden Energie mit. Dabei wird die Art des Recyclings wiederum durch die Produktion der Ware in Form der Stoffauswahl, ihrer Verarbeitung, ihrer Formgebung bzw. ihres Designs und der Art des Produkts bestimmt. Denn es macht selbstverständlich einen Unterschied, ob es sich bei dem Produkt z.B. um eine Verpackung, ein Wegwerf- bzw. Beiprodukt, oder um ein hochwertiges Endprodukt handelt.
Bei hochwertigen, aus vielen Einzelteilen zusammengesetzten Endprodukten wie Computer, Smartphones, Staubsauger, Waschmaschinen etc. ist die Reparatur vor Ort immer noch die hinsichtlich Energie und Klima günstigste Variante. Dabei ist es gleich, ob das Produkt innerhalb oder außerhalb der Zeit von gesetzlicher Gewährleistung plus ggf. Herstellergarantie einen Schaden erleidet: Das Versenden von Reparatur- und Ersatzteilen ist fast immer weniger energieintensiv als das Einsenden des Produkts zum Firmenservice. Um den Reparaturgedanken zu fördern, und um die Reparaturmöglichkeiten zu steigern, hat die EU in diesem Frühjahr ein Recht auf Reparatur eingeführt, welches in den nächsten zwei Jahren von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die rechtlichen Reglungen für die Produkthersteller sind und reichen von der Verpflichtung zur kostenlosen Bereitstellung von Reparaturanleitungen und von kostengünstigen Reparaturwerkzeugen bis zum Verbot von Reparatur-Verhinderungsmaßnahmen.
Denn der Teufel steckt wie immer im Detail: Aus zu vielen Einzelteilen fest zusammen gefügte oder zu große Baugruppen machen das Reparieren kompliziert und teuer, das Einsenden und lange Reparaturwartezeiten können eine Reparatur von personalisierten, täglich benutzten und dringend gebrauchten Produkten wie PCs verhindern. Immerhin geht die EU-Kommission davon aus, dass durch die vorzeitige Entsorgung noch brauchbarer oder reparaturfähiger Konsumgüter 30 Millionen Tonnen Ressourcenverbrauch und 35 Mio. Tonnen Abfall verursacht sowie 261 Mio. Tonnen CO2-Äquivalent emittiert werden.
Nach oder anstelle der Reparatur bleibt als weiterer Schritt der Second Use. Die Spanne reicht von der Fortnutzung von E-Auto-Batterien in Stromspeicher-Farmen zur Stabilisierung des Stromnetzes bis zur Weiternutzung beschädigter Smartphones als Wecker oder Fotoapparat, ein Laptop mit flimmerndem Bildschirm als Homeserver. Selbst ausgediente Rotorblätter von Windkraftanlagen können ein „zweites Leben“ haben – als Brücken, Fahrradständer-Überdachung, oder als tragende Struktur für eine PV-Anlage.
Wichtig für Reparatur und Second Use ist, dass sich zerstörungsfrei in ihre Einzelteile zerlegen lassen (Segmentierung). Doch je höherwertig und komplexer das Ausgangsprodukt, desto schwieriger ist im Allgemeinen das Recycling.
Bei weniger komplex zusammengesetzten Produkten kann sich Second Use auch nur auf einen Teil des Produktes beziehen: Wenn etwa ein Pullover an den Ellbogen so durchgescheuert ist, dass er dort auch mit Lederflicken nicht mehr zu reparieren ist, könnte der Pullover-Hauptteil immer noch zu einer Weste, einem Kissen- oder Stuhlbezug umgearbeitet werden. Noch intelligenter wäre es, von der Produktionsseite gleich einknöpfbare Ärmel vorzusehen, wie es bei manchen Outdoor-Westen üblich ist. Oder warum nicht wie früher Bett-Matratzen dreiteilig produzieren, so dass man selbst die stärker belasteten Matratzenteile gegen die weniger belasteten austauschen kann.
Wir müssen einfach lernen, Produkte neu zu denken; das gilt sowohl für die Produzenten, als auch für die Nutzer. Beispielsweise sind Abschminktücher und -Pads zumeist Einwegprodukte; aber es gibt sie inzwischen auch als Mehrwegprodukte, die eine der ältesten Recyclingmethoden nutzen: das Waschen von Textilien. Ideal ist es, wenn z.B. ein Upcycling möglich ist. Wenn aus Holzpaletten Möbel werden, bleiben bei diesem strukturellen Recycling die in das Material und seine Verarbeitung investierte Energie erhalten.
Wenn z.B. aus zerrissenen Fischernetzen Fußmatten oder Plastikstühle werden, dann handelt es sich um ein stoffliches Recycling, wie wir es auch bei Systemen wie Cradle to Cradle finden. Hier ist der Energieaufwand für die notwendigen chemischen Prozesse zumeist höher, aber die zu recycelnden Ausgangsstoffe sind zumindest sortenrein. Immerhin verursacht die weltweite Plastikindustrie mehr CO2 als der gesamte internationale Flugverkehr.
Oft gelingt nicht einmal das stoffliche Recycling. Bisweilen bestehen die Stoffe aus einem Materialmix, der sich nicht mehr in seine verschiedenen Ausgangsstoffe zerlegen lässt. Plastikflaschen mit ihren aus einem anderen Plastikmaterial hergestellten Deckeln sind ein großes Problem – immerhin machen Getränkeflaschen ein Viertel des Meeresmülls aus, und ein Großteil davon lässt sich aus den diesem Grund schwer recyceln. Ein bepfandetes Mehrwegsystem wäre zumindest für die Zukunft eine Lösung.
Besonders problematisch ist es, wenn das stoffliche Recycling große Mengen an Energie und hohe Temperaturen erfordert. Beim Stahlrecycling ist das z.B. der Fall, wobei das Recycling der aus technischen Gründen unterschiedlichen Stahlsorten einem Downcycling gleichkommt.
Mag Stahlrecycling problematisch sein, so sind Einweg-Glasverpackungen und das entsprechende Recycling ein Klimaverbrechen. Da werden Oliven- oder Gurken-Gläser, die an einem Abend geleert wurden, bei über 1.000°C eingeschmolzen, nur um in der nächsten Runde wieder ein bisschen Oliven, Gurken etc. damit transportieren zu können. Ein Mehrwegsystem für alle Glasbehältnisse würde diesem – allenfalls industriefreundlichen – Unfug ein Ende bereiten. So aber werden unter dem Deckmantel des klima- und umweltfreundlichen Recyclings riesige Mengen an CO2 emittiert und das Klima geschädigt.
Wie bereits gesagt: Im Hinblick auf das richtige Recycling müssen wir die Produkte neu denken.
Teil 1: Temperaturen senken, Verbrennung beenden
Teil 2: Ein EE-System installieren
Teil 3: CO2-lastige Stoffe vermeiden
Teil 4: Geschwindigkeiten anpassen
Teil 9: Fußabdruck verschlanken