27.11.2020
Wo genau ist die "Wasserstoff-Chancen-Region"?
Ein Rundumschlag von Heinz Wraneschitz
Den großen, positiven Wasserstoff- (H2) Knall gab es gleich zu Beginn des ersten "Hydrogen Dialogue": Nürnberg-Messe-Chef Roland Fleck bestätigte, warum er als "bekennender H2-Fan" angekündigt worden war. Bis 2028 soll die Energieversorgung des Messegeländes CO2-neutral sein, und zwar mit Hilfe eines "hybriden H2-Kraftwerks". Eigentlich war der H2-Treff von langer Hand als Präsenzveranstaltung geplant worden. Doch coronabedingt kam das angekündigte "Who is Who der H2-Branche" nun online zusammen. Aber auch das funktionierte ziemlich gut und auch fast ohne digitale Aussetzer.
Doch wird die Metropolregion Nürnberg wirklich die "H2-Chancen-Region - auch in einer Krisenzeit", wie es Oberbürgermeister Marcus König voraussagt? Klar, viele Firmen und Institute sind dabei, Forschungsgelder einzuwerben, die von der EU, der Bundesrepublik und von Bayern ausgeschüttet werden. In und um Wunsiedel entsteht sogar bereits eine der größten Produktionen für grünen Wasserstoff in ganz Deutschland. Mit Hydrogenious sitzt in Erlangen ein H2-Speicher-Unternehmen, dessen Technologie weltweit Interesse findet.
Der möglicherweise größte Stein im fränkischen H2-Brett aber ist Veronika Grimm. Die Nürnberger WiSo-Professorin leitet nicht nur das Zentrum H2 Bayern (H2.B): Seit diesem Frühjahr ist sie auch Mitglied im Rat der bundesdeutschen Wirtschaftsweisen. Weshalb ihre Feststellung, "die Metropolregion ist bei H2 unglaublich stark aufgestellt" deutschlandweit Beachtung findet. Und ihre schon lange vorgetragene Forderung, man brauche "über die H2-Gemeinschaft hinaus eine Transformation der gesamten Energiewirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit" dürfte nun ganz anderes Gewicht bekommen.
Zudem - nicht zu vergessen - ist der Co-Chef von H2.B, Peter Wasserscheid, einer der Protagonisten für chemisch gebundenen Wasserstoff, die so genannte LOHC-Technologie. Und so wundert es nicht, dass Erlangens Uni-Präsident verkünden kann: "Wir bekommen viele neue Professuren, unter anderem mit dem Forschungsthema H2, an unserer Hochschule." Die sollten helfen, Smart Grids (intelligente Netze) zu entwickeln, die Versorgung auf dezentrale Energiesysteme umzustellen, "und dabei wird H2 eine wesentliche Rolle spielen", gab sich Hornegger überzeugt.
Doch in den Podiumsdiskussionen des Online-Treffs wurde deutlich: Gerade regulatorische Hürden machen die Nutzung von H2- oder Batterie-Speicher für den Ausgleich schwankender Wind- oder Solarstromerzeugung schwierig. Mut machte der Branche Bayerns oberster Energiepolitiker: "Wenn noch jemand überzeugt werden muss - der Freistaat wird sich beteiligen." Minister Hubert Aiwanger wurde seiner Rolle als Schirmherr des Hydrogen Dialogue schon einmal mündlich gerecht.
Doch Forscher, Energiewirtschaft und nicht zuletzt die Industrie warten auf politische Taten. Denn, so Holger Lösch, der Stellvertretende Hauptgeschäftsführer im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) e.V. drastisch: "Es gibt keine andere Chance: H2 ist die einzige Möglichkeit für die Industrie, fortzubestehen."
Kleinere Unternehmen oder Kommunen dagegen sehen offensichtlich kaum eine Chance, H2-Projekte durchzuziehen. So schrieben vor wenigen Tagen die "Allgäuer Wasserstoffregionen" einen ernüchternden Offenen Brief an den verantwortlichen Bundes-Energieminister Peter Altmaier.
"Leider zeichnet sich ab, dass diese positive "Zukunft" so nicht kommen kann. Der Grund dafür ist nicht etwa mangelnder Wille vor Ort, auch nicht so sehr mangelnde technische oder finanzielle Möglichkeiten. Nein, der Grund dafür liegt in gesetzlichen Regelwerken, die diese "Zukunft" derzeit aktiv verhindern: Tatsächlich machen diese sowohl die Erzeugung als auch den Einsatz von grünem Wasserstoff schlicht unwirtschaftlich." Eine Reaktion des Ministers? Bislang Fehlanzeige.
Außerdem: Woher H2 nehmen, wenn Altmaier dem Ausbau der Erneuerbaren Energien Grenzen setzt, oder das von Aiwanger verantwortete Bayerische Energieministerium weiterhin an der 10H-Abstandsregel für Windräder festhält? "In der nationalen und bayerischen Wasserstoffstrategie wird davon ausgegangen, dass ein großer Teil der Erneuerbaren Energie mangels eigener Kapazitäten aus dem Ausland kommen wird. Dies soll bevorzugt in Form von Wasserstoff oder daraus abgeleiteten chemischen Speichern geschehen", heißt es von einem Bayerischen H2.B-Strategen.
Doch wer bisher meinte, H2-Import könne nur durch die Neuauflage der kläglich gescheiterten "Desertec"-Kooperation mit der Sahara-Region; durch die Fortsetzung des Energiekolonialismus durch H2-Lieferverträge mit Marokko oder anderen, teils von undemokratischen Machthabern dominierten Ländern passieren: Das Projekt "Grüner Wasserstoff auf der blauen Donau" (GW-BD), beim Hydrogen Dialogue vorgestellt, zeigt: Es könnte auch anders, nämlich transeuropäisch, funktionieren.
Mittendrin in GW-BD steht Österreich und der dortige Energiekonzern Verbund. Die Idee: Im industriearmen Rumänien wird H2 mit Hilfe des Stroms aus riesigen Windparks ohne Netzanbindung elektrolytisch produziert. Den Energieträger - chemisch in LOHC gebunden und damit ungefährlich - transportieren normale Tankschiffen nach Österreich, aber auch nach Deutschland: Weder Strom- noch Gasleitungen müssten neu gebaut werden.
Entweder wird der H2 in Brennstoffzellen wieder zu Strom und Wärme umgewandelt, beispielsweise um Quartiere mit Energie zu versorgen. Oder aber H2 dekarbonisiert Industrieprozesse, beispielsweise zur Stahlproduktion. Oder H2 in Zügen, Lkws oder Bussen macht den Verkehr CO2-freier.
"Zunächst zehn Tonnen H2 pro Tag, später 100 t und mehr" soll in Rumänien gewonnen werden, erklärt Daniel Teichmann, der Geschäftsführer der bereits genannten LOHC-Technik-Firma Hydrogenious aus Erlangen. Der Schiffsverkehr auf der Donau würde damit übrigens laut Klemens Schwarz vom Verbund nicht zunehmen: "Das fährt langsam hoch" - während gleichzeitig der Gas- oder Öltransport auf dem Fluss zurückgeht.
Der Zeitplan für das auch "Blue Danube" genannte Projekt: Los geht's 2022, serienreif ("Roll Out") soll das System 2030 sein. Und Interessenten soll es auch bereits aus Belgien und den Niederlanden geben - der Rhein-Main-Donau-Kanal macht den Transport möglich.
Apropos Transport: Fast zeitgleich mit dem "Dialog" in Nürnberg verkündeten die Deutsche Bahn und der Münchner Siemens-Konzern ihr "Verbundförderprojekt H2goesRail". Damit wollen sie "gemeinsam ins H2-Zeitalter" fahren. Offensichtlich haben die Initiatoren nicht mitbekommen, dass (Nord-)Bayern die H2-Führerschaft für sich beansprucht. Oder warum sonst soll "der neue Regionalzug Mireo plus H und die spezielle Tankstelle, ein Gesamtsystem für klimafreundliche Mobilität" ausgerechnet im Nachbar-Ländle BaWü getestet werden?