27.10.2023
Sind Klimaaktivisten Verfassungsfeinde?
Ein Bericht von Heinz Wraneschitz
Oder: Wie hängt ein Prozess mit einer FDP-nahen Online-Veranstaltung zusammen?
Ist jemand, der den Kapitalismus abschaffen will, ein verfassungsfeindlicher Extremist? „Ja. Das ist die Einschätzung des Verfassungsschutzes, das wird als Prüffall Linksextremismus eingestuft.“ So beantwortete Professor Stefan Goertz am 24. Oktober 2023 im Rahmen der Online-Veranstaltung „(Militante) Klimaaktivisten in Deutschland – legitimer Protest oder Extremismus?“ eine Frage aus der Zuschauerschaft. Auch wenn er relativierte: „Natürlich ist nicht die Aussage ‘Kapitalismus ist Scheiße‘ allein linksextremistisch, sondern da muss schon eine aktiv kämpferische Haltung dazukommen.“
Für Extremismus ist Goertz jedenfalls Fachmann. Denn er beschäftigt sich nicht nur in Mainz mit der Moral in der Katholischen Theologie, er ist auch Professor im Fachbereich Bundespolizei der Fachhochschule des Bundes in Lübeck. Und im Zusammenhang mit dieser Position hat er zahlreiche Veröffentlichungen zu Terrorismus aller Couleur verfasst.
Waren es früher besonders der Rechte und Islamistische Terror, um den sich Prof. Goertz kümmerte, so hat er sich offensichtlich inzwischen die „linker“ orientierten Aktivist:innen als Forschungsobjekte ausgesucht. Und so drehte sich der so genannte „Webtalk“, in dem eigentlich nur Goertz redete, speziell um „Klimaproteste, „Aktionen“; die Organisationen „Letzte Generation“, „Extinction Rebellion“ und „Ende Gelände“; Lützerath, Proteste und Gewalt; Anzeichen für eine Einflussnahme von Linksextremisten?; Analyse der deutschen Verfassungsschutzbehörden“.
Gerade auf die beiden letzten Punkte „Einflussnahme von Linksextremisten auf Aktivist:innen“ und Analysen des Verfassungsschutzes (VS) von Bund und Ländern hatte Goertz sich denn auch in der Veranstaltung konzentriert. Doch was genau wollte er mit dem Verweis auf Dokumentationen wie den ZDF-37-Grad-Film „Radikal, verhasst, verzweifelt“ über die Letzte Generation erreichen? Wollte er Aussagen wie die jenes Webtalk-Gasts im Chat provozieren: „Warum wird Letzte Generation (LG) immer noch als Klima-Aktivisten genannt? Das sind doch Kriminelle!“
Legitim oder kriminell – das ist die Frage
Offiziell jedenfalls nicht. Denn nach eigener Aussage wollte der Moral- und Terror-Professor nur zum Nachdenken anregen. „Es gibt ja auch Richter, die sagen, der Protest ist legitim.“ So habe es einerseits Freisprüche gegeben, andererseits aber auch Haftstrafen für „Klimakleber“ der LG wie beispielsweise in Heilbronn.
Meist aber verurteilten bisher deutsche Gerichte – allein in Berlin liefen und laufen bislang 2.500 Strafverfahren – die Aktivist:innen zu Geldstrafen. So beispielsweise im Februar 2023 in Nürnberg, wo mit Achim Scheidl auch ein DGS-Mitglied unter den verurteilten „Klimaterroristen“ war.
Scheidl und seine drei Mitverurteilten haben am Vormittag des besagten Webtalks in Nürnberg sogar von einer Kammer des dortigen Landgerichts im Berufungsverfahren erfahren, dass ihr Klebeprotest „verwerflich“ sei. Denn die Kammer bestätigte die Urteile des dortigen Amtsgerichts vom Jahresanfang – alle Vier bleiben also auf ihren vierzig Tagessätzen Geldstrafe sitzen.
Und das, obwohl laut Achim Scheidl „alle unsere nun eingebrachten Beweisanträge für "wahr" gehalten worden sind, sogar ohne dass dazu ein Zeuge nötig wurde“. In einem Beweisantrag hatten die Angeklagten dargelegt, „dass die Autofahrer eben keine unbeteiligten Dritten sind, sondern Mit-Verursacher des Klimawandels“. Also sei der Klebeprotest nicht nur nicht verwerflich, sondern eben auch keine Nötigung gewesen.
Zudem sei die Versammlung weder vom Versammlungsleiter der LG-Kleber, noch von der Polizei konkret für beendet erklärt worden. „Die Polizei hat also eine laufende Versammlung aufgelöst“ durch das Wegtragen der Protestierenden. „Von einer laufenden Versammlung kann aber niemand genötigt werden“, da ist Scheidl wie sein Verteidiger sicher; „wieder verurteilt wurden wir aber trotzdem“. Habe aber nicht eigentlich die Polizei den Fehler begangen, indem sie die Versammlung nicht für beendet erklärt habe?
Vernetzte Gruppen?
Achim Scheidl jedenfalls ist selbst gar nicht Mitglied bei der „LG“, sondern bei Extinction Rebellion (ER). Die Organisation sei „radikal, aber gewaltlos“, hat zwar der ARD-Faktencheck klargestellt. Für Prof. Goertz dagegen sind solche Vereinigungen aber eher „hierarchische Systeme“. So stehe „bei LG ein dreiköpfiges Kernteam und eine erweiterte Kerngruppe mit sechs Personen an der Spitze“ der nach LG-eigenen Angaben bis zu 750 Mitglieder. Der Wissenschaftler bezieht sich dabei vor allem auf eine im November 2022 erstausgestrahlte Dokumentation bei Spiegel TV. „Man muss genau hinschauen, wer Aktivist und wer Extremist ist“, sagte Goertz.
Zur letzteren Gruppe zählt er offensichtlich beispielsweise den LG-Unterstützer Tadzio Müller. Und selbst wenn der Bundesverfassungsschutzpräsident Thomas Heldenwang im November 2022 die LG als nicht verfassungsfeindlich beschrieben hat: Dem im Auftrag der FDP-nahen Thomas-Dehler-Stiftung referierenden Professor ist Tadzio Müller linksextrem, denn der sei Mitbegründer von „Ende Gelände“.
Deren Berliner Ortsgruppe wiederum habe das Berliner Landesamt für Verfassungsschutz als Linksextremisten gebrandmarkt. Und zwar vor allem wegen deren Verbindung zur „Imtervenionistischen Linken“ (IL), hat die TAZ herausgefunden. IL sieht sich selbst als „Zusammenschluss linksradikaler Gruppen“.
Wer zahlt, schafft an?
Vielleicht hatte sich Prof. Goertz an diesem Abend ja auch deshalb so sehr auf die vermeintliche Linksradikalität einzelner Klimaschutz-Gruppen und -Aktivist:innen versteift, weil Konstantin Kuhle, der ehemals innenpolitische Bundestags-Sprecher der FDP, LG-Forderungen wie die nach einem Gesellschaftsrat als „undemokratisch, hat mit dem Grundgesetz nichts zu tun“ gegeißelt hatte. Selbst eine 50.000-Euro-Unterstützung der LG durch den Climate Emergency Fund führte Goertz gegen die Klimaaktivist:innen an. Klar: von solchen Organisationen bekommt eine Partei wie die FDP keine Spenden, sondern eher von Vermögensberatungen oder Autovermietern.
Lena Herbers, Juristin und Soziologin an der Uni Freiburg jedenfalls sieht „in den aktuellen Aktionen der LG kein Zeichen einer Radikalisierung“. Denn deren Systemkritik richte sich nur gegen das Wirtschaftssystem Kapitalismus, nicht aber gegen das politische Demokratie-System. „Es geht nicht um Umsturz oder Revolution“, urteilt Herbers – was selbst Goertz zugab. Doch er zitierte auch Butz Peters, der LG und andere „ähnlich wie einst die RAF“ einschätzt.
Laut Prof. Goertz gehe es Gruppen wie „Ende Gelände“ um eine „Delegitimierung der Staatlichkeit“, und das Engagement einzelner Gruppen für den Klimaschutz sei nur vorgeschoben. So vermutete er, dass hinter der Brandstiftung an einer Trafostation im Tagebau Garzweiler Tadzio Müller stecken könnte – Beweise legte er nicht vor. Nur mit martialischen Bildern versuchte er seine brüchige Argumentation einer kommenden „Grünen RAF“ zu untermauern. Wenn er auch betonte, man müsse zwischen einzelnen Mitgliedern differenzieren.
Der Nürnberger Achim Scheidl jedenfalls wirkt nicht wie ein Linksextremist. Mit ihren Anwälten diskutieren Scheidl und Co. aber zurzeit intensiv, ob sie gegen das Landgerichtsurteil Revision zum Bayerischen Obersten Landesgericht beantragen werden. So wie es unser freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat erlaubt.