27.08.2021
Mit Sonne „segeln“
Ein Bericht von Götz Warnke
Die Kieler Förde ist ein sehr windhöffiges Seegebiet. Nicht umsonst liegt an ihr der Olympiahafen Kiel-Schilksee, Basis der Segelwettbewerbe der Spiele von 1972 und einer der größten Yachthäfen Deutschlands. Und nicht umsonst findet dort seit Kaisers Zeiten mit der alljährlichen Kieler Woche im Sommer eine der großen europäischen Regatten-Veranstaltungen statt. Doch trotz der günstigen Gewässer – ganz gefeit vor Flauten ist man auch dort nicht. Da fährt man bei schönstem sommerlichem Segelwetter aus dem Hafen hinaus, und eine Stunde später – mitten auf dem Wasser – ist plötzlich der Wind weg. Für größere Segelyachten mit Kühlschrank und Toiletten an Bord ist das meist kein Problem; sie werfen den fest eingebauten Motor an, fahren in den Hafen zurück oder suchen sich einen Ankerplatz. Für größere Jollen, Folkeboote und „Daysailer“ wird das schon eher zum Problem, vor allem, wenn sie aus Umweltschutzgründen auf Fossilantriebe verzichten. Denn leichte E-Außenbordmotoren plus kleine Akkus reichen nicht für alle Fahrstrecken, und für richtiges Rudern sind auch viele kleine Segelboote schon zu breit. Da bleibt nur das mühsame Paddeln – bei Seglern ungefähr so beliebt wie das Lenzen von eindringendem Wasser per Teetasse.
Natürlich könnte man auf der Bootsoberseite auch die bekannten, biegsamen und trittsicheren PV-Module anbringen, aber dazu fehlt auf den Decks meist der Platz. Doch wem die Länge und die Breite fehlt, der muss halt in die Höhe wachsen. Die praktische Umsetzung dieses Gedankens haben Lasse Hochfeldt und Malte Näthke, zwei Kieler Mechatronikingenieure mit Masterabschluss in ihrem Startup Flin-Solar geschafft: Ihr Flinsail genanntes Solarmodulsystem lässt sich wie ein Segel am Mast hochziehen. Die Technik, von Lasse Hochfeldt entwickelt und durch ein Gebrauchsmuster geschützt, ist dabei ebenso genial wie einfach: Man nimmt die 100-Watt-Module aus ihrer Transporttasche, klinkt den Kopf der Halte- und Ausrichtungsleinen statt des Großsegels an dem Großfall (Seil zum Hochziehen) ein, verbindet den Stromleiter der PV mit der Bordelektrik (Akku) und zieht die PV-Panels am Mast hoch – eine Prozedur, die keine vier Minuten dauert. Über die Ausrichtungsleinen (Seilzug) und eine Klemme lassen sich die Module ganz einfach händisch und von Deck aus dem Sonnenstand einachsig anpassen.
Das System gibt es in Größen von 2 bis 6 Modulen (200 bis 600 Watt), wobei die jeweils oberen und unteren Module einen festen Rahmen haben, während die mittleren rahmenlos sind. Ein 2er-System aus den zwei Rahmenmodulen ist praktisch sturmsicher, und kann auch im Hafen tagelang am Mast bleiben, um bei Abwesenheit des Eigentümers etwa Kühlschränke und Bordelektronik zu versorgen. Selbstverständlich können die Module zur Energieversorgung auch von Seglern genutzt werden, die in romantischen Buchten u.ä. vor Anker liegen. Einen Nachteil hat das Flinsail-System allerdings: Man muss sich vor dem Kauf überlegen, wie viele PV-Module man für sein Boot braucht. Denn es ist derzeit noch nicht möglich, zuerst eine 2er-Einheit zu kaufen, um diese später dann mit einer weiteren 2er- oder 3er-Einheit zu verbinden.
Was bringt die Technik? Mit einer 5er-Einheit können Hochfeldt und Näthke ihren kleinen Segelkreuzer Jeanneau Sun 2000 an einem Sonnentag mit einer Geschwindigkeit von 2,5 Knoten (1 kn = ca. 4,6 km/h) solarautark fahren. Soll es schneller gehen (4 kn/h = 7,5 km/h, immerhin zwei Drittel der Rumpfgeschwindigkeit des Bootes), kommen sie mit Sonne und ihrem 5 kWh großen Bordakku 50 Seemeilen weit, was 90 Kilometern entspricht. Das ist z.B. mehr als die Strecke von Warnemünde nach Heiligenhafen, eine Entfernung, die von kleinen Booten nur in Ausnahmefällen in einem Stück bewältigt wird. Bleibt noch die Frage nach dem Preis: für das 2er-System werden 1.500 € aufgerufen, ein 6er-System kostet 4.500 €.
Hochfeldt und Näthke haben mit ihrer erst im vergangenen Sommer gegründeten und jetzt von ihnen in Vollzeit betriebenen FLIN Solar GmbH noch viel vor: Weitere flexible PV-Installationen für Segelboote sind geplant, über bifaciale Module wird nachgedacht. Die Solarisierung und Elektrifizierung der Freizeitschifffahrt liegt im Trend. Doch zwei Dinge haben die zwei Ingenieure bereits jetzt bewiesen: 1. Energieautarkie ist möglich. 2. Wer sagt, dafür fehlen die Flächen, hat nicht genügend nachgedacht!