26.11.2021
Das verbliebene CO2-Budget gerecht verteilen
Ein Bericht von Götz Warnke
Der in Hamburg residierende World Future Council (WFC) ist eine gemeinnützige Stiftung, die eher im Stillen operiert. 2007 von Jakob von Uexküll, dem Gründer des Alternativen Nobelpreises, aus der Taufe gehoben, beschäftigt er sich mit rechtlich-organisatorischen Aspekten der Umsetzung der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals/SDGs), nach dem Motto, dass man schließlich „das Rad nicht neu erfinden“ müsse, da es für die meisten Probleme bereits gute und nachhaltige Politiklösungen gäbe – z.B. in den Normen und Rechtssetzungen anderer Staaten. Insofern arbeitet der WFC meist mit internationalen Organisationen, ExpertenInnen und politischen AkteurInnen zusammen. Auch wenn es einige prominente Namen wie Prof. Dr. Ernst Ulrich von Weizsäcker oder Prof. Dr. Maja Göpel unter den (Ehren-)Ratsmitgliedern gibt, so ist doch der WFC für die öffentliche Diskussion in Deutschland über die Themen Erneuerbare Energien und Klimaschutz weitgehend bedeutungslos. Daher ist es umso interessanter, wenn aus der stillen Stiftung ein in deutscher Sprache abgefasstes Papier an die Öffentlichkeit gelangt – wie jetzt die 47-seitige Studie „Wie kann das verbliebene CO2-Budget gerecht auf die Weltbevölkerung aufgeteilt werden?“ vom Wirtschaftswissenschaftler Dr. Matthias Kroll.
Nach einer Kurzbeschreibung des Autors und seiner Organisation folgt eine kurze Einleitung, in der die heutige Problematik des Wettlaufs „zwischen dem Aufbau der Erneuerbaren Energien auf der einen und dem schrumpfenden CO2-Restbudget auf der anderen Seite“ gut herausgearbeitet, sowie die verwendete Begrifflichkeit „Globaler Norden ↔ Globaler Süden“ geklärt wird.
Die Aussagen der Einleitung zum verbleibenden CO2-Budget angesichts des Pariser 1,5-Grad-Ziels sind mit einer Vielzahl von Quellen belegt, wie überhaupt das Papier mit seinen 40 Textseiten auf 73 Anmerkungen kommt. Ein Satz in der Einleitung zur CO2-Problematik ist allerdings selbst problematisch: „Während Methan jedoch nach wenigen Dekaden seine Klimawirksamkeit verliert, verbleibt Kohlen(stoff)dioxid sehr lange ... in der Erdatmosphäre.“ In der Gewichtung wird offensichtlich übersehen, dass Methan auf 20 Jahre gesehen 84 mal klimaschädlicher ist als CO2 – und auf die nächsten 20 Jahre kommt es wegen der drohenden Kipppunkte des Klimas nun einmal an.
In Kapitel 2 geht Kroll auf den Wettlauf zwischen dem Aufbau der Erneuerbaren Energien und dem – weltweit – wachsenden Stromverbrauch ein, wobei er letzteren richtiger Weise auch gleich relativiert, da im Rahmen der Sektorenkoppelung die bisher hauptsächlich fossilgetriebene Sektoren (Verkehr, Wärme) elektrifiziert werden. Als Referenzen für den künftigen deutschen Stromverbrauch werden Quaschning und das DIW angeführt (1.300 TWh/a bzw. 1.200 TWh/a), beim weltweiten Stromverbrauch auf die Studie von Professor Christian Breyer an der Technischen Universität Lappeenranta (Finnland) verwiesen. Sowohl für Deutschland als auch international ist die Problemlösung ein massiver Ausbau von Wind und PV.
Kapitel 3 behandelt die notwendigen Investitionen in Erneuerbare Energien (EE). Kroll verweist darauf, dass der jährlich notwendige Betrag von 3.585 Milliarden US-Dollar nur ca. 4% der globalen Wirtschaftsleistung (BIP) und zeigt Möglichkeiten zur Finanzierung auf.
Kapitel 4 unter der Überschrift „Der endliche Planet: Der Rohstoffbedarf für die globale Energiewende in der langen Frist“ behandelt allgemeine Aspekte des Ressourcenthemas. Krolls Aussage „Langfristig gibt es eine Flächenkonkurrenz zwischen der Erzeugung von Erneuerbaren Energien und der Nutzung zur Nahrungsmittelproduktion“ ist natürlich angesichts der Windräder in Dithmarscher Kohlfeldern oder der Nutzung landwirtschaftlicher Restprodukte in Biogasanlagen nicht haltbar – zumal er selbst die Agri-PV anführt. Natürlich gibt es in verschiedenen Bereichen Flächenkonkurrenzen, und die Rohstoffe auf unserem Planeten sind begrenzt – ebenso wie die Zeit zur Begrenzung der steigenden Temperaturen. Dennoch bleibt unklar, weshalb man diesen wenigen, längst bekannten Thesen hier ein eigenes Kapitel widmen musste.
Kapitel 5 „Steigende Energieverbräuche im Globalen Norden“ ist das umfangreichste in dieser Studie (S. 18-29). Es verweist auf die hohen Energieverbräuche der Produktion schnell wechselnder Smartphonegenerationen, der hochauflösenden Videostreamings (besser: geringere Auflösung), der 5G-Technik sowie der autonom fahrenden Autos (jedes generiert rund 4.000 GB Daten pro Tag). Besonders problematisch wegen der hohen CO2-Emissionen ist die globale Betonherstellung (Lösungen: Holz, Bambus, CCS – der weltweit verbreitete Lehmbau taucht hier gar nicht erst auf), die Stahlherstellung (Lösung: Grüner Wasserstoff) sowie der Flugverkehr: „Ein komplett klimaneutraler Luftverkehr wäre erst mit abgasfreien Elektromotoren möglich, deren Strom durch Brennstoffzellen erzeugt wird.“ Bis dahin bliebe nur die Möglichkeit, weniger zu fliegen. Schließlich bedürfe es einer Wende beim Autoverkehr hin zu kleineren, leichteren E-Autos; Brennstoffzellen und E-Fuels sind für Autos keine Lösung.
Kapitel 6 schließlich behandelt die gerechte Verteilung des CO2-Budgets zwischen Globalem Norden und Globalem Süden. Kern ist – nicht gerade neu und originell – die finanzielle Unterstützung des Nordens beim Ausbau der EE-Nutzung im Süden, sowie die Eliminierung überflüssiger Luxus-Energieverbräuche im Norden, auch mit Hilfe eines „Gerechtigkeitstests“ basierend auf dem Philosophen John Rawls.
Es folgt noch eine Zusammenfassung zu den 17 Sustainable Development Goals, den Größen der Energieerzeugung bzw. des -Verbrauchs, zur Erdgasproblematik sowie zum Thema Energiebilanzen.
Fazit
Wie schon die vielen Quellenverweise zeigen, ist die Studie zweifellos eine Fleißarbeit. Und auch die meisten Aussagen sind nicht zu kritisieren. Dennoch bleiben neben der selbst kommunizierten Lücke bezüglich Landwirtschaft weitere: Der schwer zu dekarbonisierende Seeverkehr (siehe hierzu aktuelle SONNENENERGIE 4|21) taucht gar nicht auf; die Dekarbonisierung des Bauwesens wird zu kurz abgehandelt, etc., etc. Dafür finden sich in der Studie eine Vielzahl von schönen, großen Fotos mit geringem Erklärungswert. Schließlich, und auch das ergibt sich aus den vielen aktuellen Quellen, hat man das meiste schon so oder ähnlich gelesen, frei nach dem Motto: Es ist zwar schon alles gesagt, aber noch längst nicht von allen. Insofern wird die Studie des World Future Council kaum zur energie- und klimapolitischen Diskussion beitragen.