26.04.2019
Mieterstrom nur noch im Verborgenen?
Mieterstrom: Entscheidungen von „Beschlusskammern“ der Bundesnetzagentur (BNetzA) setzen knallharte Grenzen. Mieterstrom gilt seit einigen Jahren als Zauberwort bei Projektentwicklern oder Architekten. Das Unternehmen Solarimo spürt sogar den „Rückenwind“ einer neuen EU-Richtlinie: „Konzepte wie das Mieterstrommodell sind europaweit auf dem Vormarsch.“
Es sind ja auch wunderbare Ideen dafür im Umlauf. Ganze Neubausiedlungen sollen über ein eigenes kleines Netz mit Sonnen- und Blockheizkraftwerksstrom elektrisiert und gleich noch die Wärme dazu geliefert werden. Und klingt es nicht toll, wenn die Mieter eines 100-Parteien-Hochhauses mit Strom versorgt werden können, produziert im Keller, an der Fassade oder auf dem Dach des Betonklotzes? Das ist Dezentralität – ein weiteres Zauberwort der Energiewende. Dazu ist diese Energie allemal billiger, als wenn sie via Versorgungsnetz angeliefert wird. Denn die Durchleitungsgebühren der Netzbetreiber entfallen beim Mieterstrom.
Zumindest dann, wenn nicht wie inzwischen spürbar die harte Hand – oder besser: die rigorosen Entscheidungen – der BNetzA Striche durch die schön geplanten Visionen machen. Ein Beispiel, wie die Beschlusskammer 6 der Bonner Bundesbehörde Mieterstrom ausbremsen will, hat dieser Tage die Nürnberger Großkanzlei Rödl & Partner öffentlich gemacht.
Eine Bürgerenergiegesellschaft (BEG) aus der Nähe von Stuttgart will eine Siedlung mit 143 Wohneinheiten plus ein paar Betrieben mit zwei BHKW und ebenfalls dort erzeugtem Solarstrom versorgen. Verteilnetzbetreiber Netze BW hatte schon frühzeitig Stromleitungen verlegt. Ein zweites Netz wäre natürlich unwirtschaftlich. Doch die BEG konnte sich mit Netze BW bislang nicht einigen: Man streitet offenbar über den Kaufpreis. Am 7. Februar 2019 aber hat die Beschlusskammer 6 der BNetzA entschieden: Der Antrag in diesem „Besonderen Missbrauchsverfahren“ der BEG gegen Netze BW „wird abgelehnt“. Dabei ging es offiziell gar nicht um den Kaufpreisstreit, sondern um die Frage, „ob es sich bei einer von der Antragstellerin (BEG) geplanten Versorgungsinfrastruktur hinter einem Netzanschlusspunkt am Netz der Antragsgegnerin (Netze BW) um eine Kundenanlage im Sinne des §3 Nr. 24a EnWG handelt“, steht im Beschluss der BNetzA.
Ja, das alte, laufend aktualisierte, aber niemals wirklich runderneuerte Energiewirtschaftsgesetz. Die Nummern 24a und b in dessen §3 – sie behandeln die so genannten Kundenanlagen - existieren seit 2011. Und sie sorgen immer wieder für Streitigkeiten.
Zwei solcher Fälle sind 2018 von den Oberlandesgerichten (OLG) Düsseldorf und Frankfurt/Main entschieden worden: Beide OLG versagten die Einstufung als Kundenanlagen, entschieden also gegen die Mieterstrom-Projekte. Doch ein höchstrichterliches Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zum Mieterstrom steht bislang aus. Im Falle der BEG aus Baden-Württemberg steht sogar erst noch der Gang vor das OLG Düsseldorf bevor.
Deshalb sind mehrere wichtige Punkte zum Mieterstrom bis dato nicht endgültig geklärt. Zum einen lassen die Entscheidungen der BNetzA vermuten, nur Modelle für maximal 20 Kunden wären erlaubt. Dem widersprechen aber eigenversorgte Hochhäuser mit wesentlich mehr Parteien.
Dennoch: Die BNetzA habe den Antrag der BEG „vor allem deshalb zurückgewiesen, weil die Energieanlage mit 143 Wohneinheiten zu groß sei, um das Tatbestandsmerkmal der fehlenden Bedeutung für den Wettbewerb noch erfüllen zu können“, sagt Joachim Held. Der Rödl & Partner-Rechtsanwalt, er wird die BEG auch vor dem OLG Düsseldorf vertreten, kritisiert deshalb den Beschluss scharf: „Die BNetzA torpediert letztlich ein innovatives Geschäftsmodell, positioniert sich gegen die dezentrale Energieversorgung mit Erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-Kopplung und gegen den Wettbewerb kommunaler und bürgerschaftlicher Akteure zu großen Querverbundkonzernen.“ Das hört sich wie das Gegenteil dessen an, was der Bundestag im Sinn hatte, als er 2011 die Mieterstrom-Absätze ins EnWG geschrieben hat. Mit Joachim Held hoffen deshalb viele auf baldige gegenteilige Entscheidungen des BGH.
Und dessen Höchst-Richter haben demnächst auch eine andere klare Antwort zu geben: Wie muss ein per Mieterstrom versorgtes vom restlichen Netzgebiet abgegrenzt sein? Im aktuellen Fall aus Baden-Württemberg spielt eine Erschließungsstraße eine wichtige Streit-Rolle: Trennt sie zwei Siedlungsgebiete - oder verbindet sie diese?
Netze BW steht nach eigener Aussage übrigens dem Thema „Mieterstrom“ offen gegenüber. Die Dienstleistungssparte des Unternehmens habe dazu selbst „professionelle Angebote“, die Mutter EnBW helfe sogar bei der „rechtskonformen Umsetzung solcher Modelle“, erklärt Netze-BW-Sprecher Ulrich Stark.
Heinz Wraneschitz
Mieterstrom:
Drei Fragen an Anwalt Joachim Held, Rödl & Partner
DGS-News: Es scheint aktuell einen Trend zur Mieterstromversorgung zu geben, aber auch ein Aufbäumen der Netzbetreiber dagegen, auch vor Gericht. Stimmt das?
Held: Ja. Im Moment gibt es eine Reihe von Verfahren, die beim BGH anhängig sind. Die reichen von 20 bis 500 Wohneinheiten (WE). Ein Grund: Die BNetzA hat bisher ein Mieterstrommodell mit 20 WE anerkannt, ein Mietstrommodell mit 500 WE aber abgelehnt. 20 WE ist eine wirtschaftliche Marginalie. Das Projekt, für das wir hier streiten, umfasst 134 WE.
DGS-News: Ein weiter Bereich, 20 bis 500 WE. Warum berufen Sie sich nicht einfach auf die größeren Projekte, bei denen das Mieterstrommodell schon funktioniert?
Held: Betreiber mit mehr als 100 WE, die bereits als Kundenanlage behandelt werden, wollen lieber nicht aussagen, um keine schlafenden Hunde zu wecken. Dabei liegt der Verdacht nahe, dass Netzbetreiber die Kundenanlageneigenschaft für eigene Projekte ihrer Stromvertriebe oder Vertriebsschwestergesellschaften nutzen, es aber nicht für Wettbewerber gelten lassen.
DGS-News: Warum engagiert sich Rödl so stark für dieses Mieterstrommodell?
Held: Es besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass Mieterstrom gut für den Klimaschutz, den Wettbewerb, die regionale Wertschöpfung und die Versorgungssicherheit sind. Sowohl neue Mieterstrom-Projekte, aber auch alle Bestands-Kundenanlagen brauchen Rechtssicherheit als Grundlage für zukünftige Investitionen und sozialverträgliche Stromkosten. Wenn wir verlieren, schrumpft das wirtschaftliche Potential für Mieterstrommodelle auf eine Marginalie von 20 WE zusammen und alle Kundenanlagen des sozialen Wohnungsbaus der 70iger Jahre und die ohnehin benachteiligten Plattenbauten haben ein Problem. Wir haben für die Beschwerde vor dem OLG Düsseldorf gegen den Entscheid der BNetzA einen Unterstützerfond gegründet. Denn aus dem Projekt heraus trägt sich ein derartiges Muster-Verfahren nicht. Eigentlich müssten die verschiedensten Verbände Interesse haben, uns zu unterstützen. Tatsächlich seheitert aber die Energiepolitik und -Gesetzgebung häufig daran, dass die energierechtlichen und –wirtschaftlichen Zusammenhänge so komplex geworden sind, dass diese kaum noch einer breiten unternehmerischen und schon gar nicht der bürgerlichen Öffentlichkeit zu kommunizieren sind.
Die Fragen stellte Heinz Wraneschitz