21.07.2023
Für eine Milliarde oder wenige Millionen: Welche Bahn-Projekte bringen mehr?
Ein Bericht über unterschiedliche Sichtweisen von Heinz Wraneschitz
Wer es sich einfach machen will, rechnet so: 860 Mio. Euro für 8,6 Kilometer gleich 100.000 Euro pro Meter viergleisigen Bahnausbau durch Bamberg. Dafür haben am Dienstag, 19. Juli 2023 Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Berthold Huber, Infrastrukturvorstand der DB AG („Bahn“) die Finanzierung offiziell vereinbart.
Doch was nach viel Geld für einen kleinen Teil des Zehn-Milliarden-Verkehrsprojekts Deutsche Einheit VDE8 zwischen München und Berlin klingt, ist tatsächlich eine sehr komplexe Angelegenheit. Deshalb hat sich der Beschluss für den „letzten Schlussstein von VDE8“ (Wissing) auch über Jahrzehnte gezogen.
Huber nennt den Lückenschluss in Bamberg denn auch „Knoten mit ausgesprochener Bedeutung für den Deutschlandtakt 2030“. Auch wenn der „nicht 2030, sondern nach und nach“ geschaffen werde. Wobei der Bahnvorstand auf Nachfrage betont: „2070 haben wir nie gesagt“, eine Jahreszahl, die zuletzt in den Medien verbreitet worden ist. Und die Minister Wissing kurz vorher selbst in den Raum beim Bahnhof Bamberg geworfen hatte: „Wir können nicht bis 2070 warten, müssen das Ziel moderne Verkehrsprojekte umzusetzen in Etappen erreichen, schnelle Fahrzeiten und gute Verbindungen schaffen.“ Knoten wie Erfurt, Leipzig und eben Bamberg seien der Weg dorthin, so Wissing.
Warum es mit dem Bamberger Ausbaustart so lange gedauert hat? Oberbürgermeister Andreas Starke (SPD) nennt dafür unter anderem „80.000 Denkmalschützer“ als Grund. So viele Einwohner hat die Stadt an Regnitz und Main-Donau-Kanal. Und weil die stolz sind auf die Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe, habe sich jede:r von ihnen sehr darum gesorgt, dass die beiden Teile Altstadt und Gärtnerstadt nicht durch sehr hohe Lärmschutzwände optisch voneinander getrennt werden würden, erklärt der OB.
„Wir haben lange um die beste Lösung gerungen – und das ist gut so. Die Akzeptanz der Bevölkerung gelingt hier auf ausgesprochen gute Art und Weise“, sagt der Bahnmann Huber dazu. Auch Minister Wissing verspricht: „Wir bauen für die Menschen, nicht gegen sie“ und verweist unter anderem „auf die Gestaltung der 12,5 km langen Lärmschutzwände (LSW), die teilweise transparent ausgeführt werden“. Wobei der OB offenbar noch Zweifel hat: Der Wettbewerb für die LSW sei ihm zu undurchsichtig, erklärt er auf Nachfrage.
Doch zurück zu den Plänen: Mit den 860 Mio. Euro werden nämlich nicht nur neue Gleise für die Schnellstrecke verlegt und LSW gebaut: Für das Geld werden auch die Hafengleise elektrifiziert, die Bahnsteige angepasst, Gehölze als Natur-Ausgleich angelegt. Bahn-Projektleiter Alfons Plenter nennt dazu noch viele weitere Details wie 19 Brücken oder ein elektronisches Stellwerk.
Verkehrsminister Wissing jedoch sieht als Ausbau-Kern, dass „der Fernverkehr Nürnberg-Erfurt mit bis zu 230 km/h vom langsamen Regionalverkehr getrennt wird, und dass der Güterverkehr mit 740 m langen Zügen fahren kann“. Und er schwärmt vom „Beginn einer neuen Ära der Schiene“. Weil er mit Berthold Huber wenige Stunden zuvor die Finanzierung eines neuen Güter-Umschlagterminals für 83 Mio. Euro vereinbart hatte, schreibt die Bahn an diesem Tag stolz von „knapp 1 Milliarde Euro für Bayerns Schieneninfrastruktur“.
Der BUND Naturschutz auf anderen Gleisen
Gut eine Woche zuvor, am 7. Juli 2023: Von einer „neuen Ära der Schiene“ kann Richard Mergner nichts spüren, im Gegenteil: „Die Bahn ist in den letzten Jahrzehnten nicht besser, sondern schlechter geworden“, konstatiert der Vorsitzende des BUND Naturschutz Bayern. Der BN hatte zu einer Pressekonferenz geladen, auf der er „Low Hanging Fruits“ für den Bahnausbau in Bayern vorstellte, also Möglichkeiten, mit kleineren Investitionen möglichst schnell viel voranzubringen. Auch der BN fordert den Deutschlandtakt, doch umgesetzt „wie in der Schweiz. Dort kommt er nämlich her. Nicht möglichst schnell zwischen zwei Orten, sondern der Anschluss muss funktionieren“, wünscht sich Mergner vom Ausbau.
91 Seiten umfasst die „Analyse des Bundesverkehrswegeplans und der 181 Zusatzprojekte für den Deutschland-Takt 3“, die Martin Vieregg im BN-Auftrag ausgearbeitet hat. Dessen Ingenieurbüro erklärt von sich, „innovative Verkehrsberatung“ zu betreiben. Und so finden sich in der Studie 50 Bayern-Projekte, die den Schienenverkehr im Freistaat schnell schneller machen könnten, und das mit relativ geringen Investitionen, wie Vieregg betont.
Doch zunächst formuliert er seine Generalkritik am „Deutschlandtakt 2030“ der Bahn. So könne München nach diesem Plan garnicht zu einem echten Knoten werden, gerade wegen der „unpassenden Fahrzeiten zwischen München und Salzburg von 69 statt der von der Systematik geforderten 57 Minuten“. Das wiederum führe zu „Dominoeffekten an mehreren benachbarten Taktknoten“. Es gehe der Bahn also gar nicht um einen echten Deutschlandtakt im 30- oder 60-Minuten-Rhythmus, „sondern um eine generelle Kapazitätssteigerung“.
Insbesondere der „hohe Tunnelanteil“ bei geplanten Neubaustrecken (NBS) ist ihm zuwider: „Da geht das CO2 durch die Decke – und sie sind der größte Kostentreiber“ sagt Vieregg zum Beispiel mit Blick auf die vorgesehene nagelneue Verbindung Nürnberg-Würzburg. Stattessen empfiehlt er nicht nur hier „kurze NBS“, wünscht sich vielerorts „sanfte Neutrassierungen für bis zu 160 km/h. Davon profitieren sowohl der Regionalfernverkehr als auch der Nahverkehr“, dessen Züge alle ebenfalls so schnell fahren könnten. Und auch die von der Bahn festgelegte, für Höchstgeschwindigkeiten notwendige geringe Steigung lehnt er ab. Anderseits sieht er den Ausbau Schwandorf-Pilsen für 200 km/h sinnvoller an als die bahnseitig vorgesehene Geschwindigkeit von 160 km/h: Das sei kaum teurer, „und in Tschechien ist ohnehin ein Ausbau für 200 km/h vorgesehen“. Ähnliche Details hat Vieregg überall herausgearbeitet.
Aber woher das Geld dafür nehmen? Richard Mergner: „Wir fordern ein Ende des Straßenbaus in Bayern, zum Beispiel der A3 Nürnberg-Würzburg. Direkt nebendran bei der Bahn haben wir massive Probleme, da fehlt die Sanierung.“ Es gehe also „um eine echte Veränderung im Bahnverkehr, auch bei der Finanzierung. Wir wollen den Bahnverkehr in Bayern in fünf bis zehn Jahren verbessern.“
Dass sich die Bahn auf die 50 Bayern-Vorschläge des BN einlassen wird, ist kaum zu erwarten. Man kenne die Vieregg`schen Ideen und Konzepte schon länger, aber das Büro sei eben kein offizieller Bahnplaner heißt es hinter vorgehaltener Hand von bayerischen Bahnverantwortlichen auf Nachfrage.
Doch noch einmal zurück zum „Knoten Bamberg“: Ab wann und wie lange daran gebaut werden wird, steht noch gar nicht fest. „Im Herbst erwarten wir den Planfeststellungsbeschluss“, so Volker Wissing. Erst danach darf ausgeschrieben werden. Zur Erinnerung: eigentlich sollte VDE8 schon zur Jahrtausendwende fertig sein.