20.09.2019
Kohleausstieg Berlins bis 2030 – aber nicht fossilfrei
Mit einer „gemeinsam erarbeitete Strategie“ wollen der Energiekonzern Vattenfall und Berlins Umweltsenatorin Günther – die, zwar parteilos, für die Grünen im Senat sitzt - den Ausstieg aus der Steinkohle bis zum Jahr 2030 realisieren. Diese setzt primär auf Gas in der Fernwärme. Das Konzept, das „in einem einmaligen […] Partizipationsprozess“ entwickelt wurde, sieht eine Expansion der Vattenfall-Fernwärme im gesamten Stadtgebiet vor. Bereits vor zwei Jahren wurde von Vattenfall eine Machbarkeitsstudie „Kohleausstieg und nachhaltige Fernwärmeversorgung Berlin 2030“ präsentiert, die der Senat nun bereit ist umzusetzen. Aus der Braunkohle war der schwedische Staatskonzern bereits vorher ausgestiegen. Am 24. Mai 2017 schaltete das Heizkraftwerk Klingenberg in Berlin-Rummelsburg seine Braunkohleanlage ab – seither wird dort Erdgas verfeuert, und neben Strom auch ins Berliner Fernwärmenetz eingespeist. Parallel dazu hatte Vattenfall seine Braunkohletagebaue in der Lausitz an einen tschechischen Investor verkauft.
Gegenwärtig stehen die drei größten Kohledreckschleudern von Vattenfall, die Steinkohlekraftwerke Reuter, Reuter-West und Moabit noch im Westen der Stadt. Ebenfalls im Jahr 2017, im Oktober, war mit dem Bau eines neuen Gaskraftwerkes in Berlin-Marzahn begonnen worden, das im kommenden Jahr fertiggestellt werden soll. 2010 war das damalige Heizkraftwerk Lichtenberg vom Netz genommen worden, nun entsteht dort unter dem neuen Namen HKW Marzahn ein modernes GUD-Kraftwerk. Sein Herzstück besteht aus einer von Siemens geleiferten Gasturbine SGT5-2000E, mit der ab 2020 etwa 150.000 Wohneinheiten im Osten Berlins mit Strom und Wärme versorgt werden sollen.
Hergestellt wurde die Turbine im Moabiter Gasturbinenwerk von Siemens. Mit 3.000 Umdrehungen pro Minute wird sie künftig 230 Megawatt thermischer Energie und 260 Megawatt elektrischer Energie zur Verfügung stellen. Das neue GUD wird einen Brennstoffausnutzungsgrad für das eingesetzte Erdgas von mehr als 90 Prozent erreichen und es wird mit weniger Personal auskommen. Der Brennstoffausnutzungsgrad darf übrigens nicht mit den Emissionen verwechselt werden, die von diesem fossilen Kraftwerk immer noch in beträchtlichem Maße ausgestoßen werden.
Das Fernwärmesystem als Backbone, so die neueste, konsesuale Fassung der Studie, biete die Möglichkeit, Wärme aus verschiedenen Quellen aufzunehmen und zu verteilen: Die Nutzung und Integration von Geothermie, Biomasse, Solarwärme sowie die Nutzung von Abwärme, die ansonsten ungenutzt in die Umwelt abgegeben würde (v.a. Abwasser oder industrielle Abwärme), könnten bis zu 40 Prozent zum Ersatz der Kohle beitragen. Modulare Gas-KWK-Konzepte sollen aber rund 60 Prozent bringen. Die Einbindung von Speicherlösungen und Power-to-Heat zur Integration erneuerbaren Stroms in der Wärmeversorgung soll darüber hinaus „klimaschonende“ Wärme für die Metropole Berlin bereitstellen.
Die aktuellen Kraftwerke Reuter West und Moabit sollen auf Gasbetrieb umgebaut und zu zukunftsfähigen Energie-Verbundstandorten entwickelt werden. Innerhalb von zehn Jahren könnte in die verdichteten Gebiete der stark wachsenden Stadt Berlin „ökologisch vorteilhafte Fernwärme als Stadtwärme noch klimafreundlicher“ gestaltet werden. Wobei es sich, was noch nicht festzustehen scheint, um Gasmotoren-Kraftwerke in Kaskadenschaltung handeln dürfte. Dabei scheint die Argumentation Günthers, man könne diese „flexibel hoch- und runterfahren, je nach Stärke der erneuerbare Energiequellen“, wohl eher der Beruhigung des auf Wärmewende eingestellten Publikums, denn ökonomischen oder technologischen Einsichten, geschuldet sein dürfte.
Immerhin muss man Vattenfall zugestehen, dass es zwar einen strammen Expansionskurs seiner Fernwärme in der Fläche verfolgt, sich aber einzelnen, dezentralen Lösungen nicht versperrt. So existieren seit Jahren einzelne Kombinationen von Solarthermie und Fernwärme sowohl auf individueller wie auch Quartiersbasis. Diese Flexibilität von Vattenfall dürfte u.a. auch der Konkurrenz durch die zu RWE gehörige BTB geschuldet sein, die im Süden der Stadt, in Adlershof, Köpenick, Schöneweide und Treptow, einen eigenen Netzaufbau bei der Fernwärme vorantreibt.
Der projektierte Ausbau der Fernwärme in Berlin wird voraussichtlich Mehrkosten für die Fernwärmekunden mit sich bringen. In einer Modellrechnung, die in den Hauptstadtmedien kolportiert wurde, kam das Beispiel einer ungedämmten 65 Quadratmeter-Wohnung mit jährlichen Mehrkosten von bis zu 147 Euro zur Sprache. Wobei man wissen muss, dass die Vattenfall-Fernwärme bereits heute ein teurer Spaß ist, der, bezogen auf eine 65 Quadratmeter-Wohnung, bereits mit 14 Ct/kWh zu Buche schlägt. Für den Fernwärmekunden existiert allerdings keine Möglichkeit, dem zu entkommen. Einmal Fernwärme immer Fernwärme.
Vor diesem Hintergrund ist das Narrativ, die teure Vattenfall-Fernwärme als klimafreundlichen Ausstieg aus der Kohle in Berlin zu verkaufen, nicht nur eine geniale Marketingstrategie. Sie stellt sich vielmehr als eine lange eingetütete Politstrategie heraus, mit der die rot-rot-grüne Koalition in Berlin über den Tisch gezogen wurde. Denn alle anderen Optionen spielen hinter der Großmacht Erdgas lediglich eine untergeordnete Rolle. Sie kommen, wenn überhaupt, nur in Form eines Juniorpartners bei Hybridlösungen vor. Eine Wärmewende, die auf rein regenerative Technologien setzt und die die fossilen Brennstoffe konsequent verdrängt, war den Koalitionsparteien offenbar zu kompliziert und risikoreich. Eine Wärmewende hat sich von denen keiner zugetraut.
Klaus Oberzig
Zusammenfassung Machbarkeitsstudien Kohleausstieg und nachhaltige Wärmeversorgung Berlin 2030, Stand 16.09.2019