19.06.2020
Klimaschutz im Südwesten Teil I
Baden-Württemberg ist eines der führenden Bundesländer beim Klimaschutz in Deutschland. Eine neue Studie beschreibt mögliche Ausbaupfade der Erneuerbaren Energien, einige Aspekte sollen in den kommenden Monaten in ein neues Klimaschutzgesetz gegossen werden. Verpflichtende Wärmeplanung für Kommunen und eine Solarpflicht sind innovative Bausteine, die den Ausbau der Erneuerbaren im Ländle voranbringen sollen.
Baden-Württemberg mit führend
Neben Schleswig-Holstein ist Baden-Württemberg das derzeit führende Bundesland in Sachen Klimaschutz: Das ist das Ergebnis des Bundesländervergleichs, den das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) im Auftrag von der Agentur für Erneuerbare Energien (AEE) Ende 2019 erstellt hat. Der Vergleich ist hier abrufbar. In der Auswertung zahlreicher Faktoren sticht heraus: Das Ländle im Südwesten fällt vor allem durch die Anstrengungen zur Nutzung der Erneuerbaren Energien auf.
Baden-Württemberg hat im Juli 2013 ein Klimaschutzgesetz beschlossen und im Folgejahr auf dieser Basis das „Integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept Baden-Württemberg (IEKK)“ verabschiedet. Damit wurden als Ziele festgelegt: -25 % Treibhausgase bis 2020 (gegenüber 1990) sollen es werden, -90 % bis 2050. Maßnahmen zur Systemintegration und Energieeffizienz, Aspekte regionaler Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien und Bürgerbeteiligung sowie das Monitoring des Konzepts wurden umfassend behandelt. Die Monitoringberichte zum IEKK enthalten umfassende Informationen zum Stand der Energiewende in Baden-Württemberg.
Ein Aspekt erhielt in Baden-Württemberg auch die volle Maximalpunktzahl im Ländervergleich: Es wurde bewertet, ob die genannten Ziele nur „aus der Luft gegriffen“ sind oder inwiefern Potenzialstudien bzw. Gutachten bei der Zielformulierung berücksichtigt worden sind.
In den kommenden Monaten soll das Klimaschutzgesetz neu gefasst werden, das möchten wir gerne beleuchten. Doch zuvor werfen wir noch einen Blick auf eine aktuelle Studie, die die Möglichkeiten aufzeigt.
Studie als Grundlage
Einer der renommierten Wissenschaftler im Bereich der Szenarioanalyse und Energiewirtschaft hat hierzu Mitte Mai einen Beitrag vorgelegt: Dr. Joachim Nitsch, über 30 Jahre Leiter der Abteilung Systemanalyse und Technikbewertung am Institut für Technische Thermodynamik des DLR in Stuttgart und maßgeblicher Entwickler der „Leitstudien“ des Bundesumweltministeriums für den Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland, hat einen Studie mit dem Titel „Ausbau der Erneuerbaren Energien für eine wirksame Klimapolitik in Baden-Württemberg“ vorgelegt (Download der Studie als pdf).
Der Herausgeber der Studie, die Plattform Erneuerbare Energien (PEE) betont im Vorwort: „Für den starken Ausbau Erneuerbarer Energien, der im Fokus der Szenarien steht, braucht es stabile und stimulierende politische Rahmenbedingungen. Das Land spielt zwar mit der Solaroffensive, dem Ausbau ländlicher Wärmenetze und dem Erneuerbaren Wärmegesetz bundesweit eine Vorreiterrolle, aber der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist auch im Südwesten deutlich hinter den notwendigen Zuwachsraten zurückgeblieben“. Die PEE sieht auch die lokale Wertschöpfung und neue Arbeitsplätze in der eE-Branche als Chance für einen wirtschaftlichen Wiederaufschwung in den nächsten Monaten und Jahren.
Die Studie selbst wurde Mitte Mai veröffentlicht und konzentriert sich auf den Strom- und Wärmesektor, die Mobilität wird (leider) nur am Rande betrachtet. Beschrieben werden vier Szenarien, die ein Erreichen der Klimaschutzziele von Paris teils als möglich darstellen. Das Szenario „ZIEL BW“ entspricht den im alten IEEK beschriebenen Vorgehen, ein weiteres Szenario „Kohle 38“ beschreibt den gleichen Verlauf, aber verbunden mit dem vom Bund angestrebten Kohleausstieg bis 2038. Das Szenario „BW Plus“, das auch von der PEE empfohlen wird, geht von einem schnelleren Kohleausstieg (bis 2030) und von einem beschleunigten Ausbau der Erneuerbaren Energien für Wärme und Strom aus. Das vierte Szenario ist mit „Ziel Paris“ bezeichnet und setzt auf höhere Effizienz und einen geringeren Energieverbrauch.
Ein Fazit der Studie: Die bisherigen Ziele und Maßnahmen des Landes reichen derzeit nicht aus, dass das Land BW die Pariser Klimaziele angemessen erreichen kann. Statt wie im neuen Klimaschutzgesetz vorgesehen, sollte die Treibhausgasreduktion von -42 Prozent auf -50 Prozent bis zum Jahr 2030 erhöht werden. Das Szenario „BW plus“ beschreibt diese Halbierung, das Szenario „Ziel Paris“ landet sogar bei -64 Prozent.
Zentral: Ausbau der Erneuerbaren
Der Ausbau der Erneuerbaren Energien bei Badenern und Württembergern ist dazu der Schlüssel: 870 MW sollen es bei PV sein, 325 MW für Wind und 22 MW für die restlichen Erneuerbaren Energien – jeweils als Zubau pro Jahr. Umgerechnet (anhand der Einwohnerzahl von 11 Mio. zu 83 Mio. bundesweit) entspricht das hochgerechnet einem PV-Zubau von 6,5 GW pro Jahr. Und: 870 MW pro Jahr entspricht einer Verdoppelung gegenüber dem durchschnittlichen PV-Zubau der letzten 10 Jahre in BW. Neben dem Strom ist auch die Wärme zentral: Das Szenario „BW Plus“ beinhaltet dementsprechend einen deutlichen Zubau von Solar- und Umweltwärme und Geothermie sowie die Nutzung zusätzlicher (wenn auch begrenzter) Biomassepotenziale.
Bei der Solarwärme werden derzeit im Ländle mit einer Kollektorfläche von 4,75 Mio. Quadratmeter jährlich knapp 1.900 GWh zur Verfügung gestellt. In den vergangenen Jahren entstanden immer mehr Wärmenetze und große Thermie-Anlagen, aktuell steht rund die Hälfte der bundesweiten Solarthermieleistung, die mit Wärmenetzen gekoppelt ist, in Baden-Württemberg. Das Ziel nach BW Plus: die Thermiefläche soll bis 2030 auf 9 Mio. Quadratmeter verdoppelt werden, bis 2050 sollen 25 Mio. Quadratmeter erreicht werden.
Die Studie benennt auch die Voraussetzung für einen verstärkten EE-Ausbau:
- Umfassende Berücksichtigung der externen Kosten der konventionellen Energieerzeugung und -versorgung mittels eines angemessenen CO2-Preises.
- Verpflichtende Wärmeplanungen in allen Kommunen.
- Beschleunigung und Vereinheitlichung von Genehmigungsverfahren.
- Aufbau von Produktionskapazitäten für grünen Wasserstoff.
Klimaschutzgesetz greift auf
Einige dieser Punkte sollen nun auch aktuell in das neue Klimaschutzgesetz einfließen. Das Ende Mai veröffentlichte Eckpunktepapier, das zwischen den beiden Koalitionspartnern Grüne und CDU im Landtag vereinbart wurde, nennt als Ziel noch eine Treibhausgasreduktion von -42 % (gegenüber 1990). Das Eckpunktepapier verweist dann aber auch schnell (z.B. für den Verkehrsbereich) darauf, dass durch die Anpassung von europäischen und bundespolitischen Rahmenbedingungen die Reduktionen weiter erhöht werden könnten.
Neben einem klaren Monitoring wird auch ein Mechanismus im Klimaschutzgesetz verankert, der die Projektion und Zielverfehlung darstellt und Wege aufzeigt, um wieder auf den Zielpfad zurückzukehren. Zentral wird auch festgelegt, dass der Klimaschutz früher als bisher in der Bauleitplanung berücksichtigt werden soll. Daneben sollen nun auch landesweite Ziele für den EE-Ausbau bis zum Jahr 2030 benannt werden, um hier ein neues, klares Zwischenziel auf dem Weg ins Jahr 2050 zu haben. Um auch die Wirtschaft ins Boot zu holen, sollen Klimaschutzvereinbarungen zwischen Landesregierung und Unternehmen abgeschlossen werden, in denen sich die Unternehmen zu den Klimaschutzzielen bekennen. Begonnen werden soll dabei mit den Unternehmen, an denen das Land direkt beteiligt ist. Im neuen Klimaschutzgesetz soll weiterhin eine verbindliche Solarpflicht für Nicht-Wohngebäude (siehe News letzte Woche) und eine verbindliche Wärmeplanung der größeren Kommunen verankert werden.
In der kommenden Woche werden wir uns an dieser Stelle mit den Details der geplanten Regelungen des Klimaschutzgesetzes beschäftigen.
Jörg Sutter
Veranstaltungshinweis dazu:
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