19.04.2024
Das See-Ungeheuer
Eine Glosse von Götz Warnke
Übrigens … ist es kürzlich dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) – den Schützern von windenergiefreien Landschaftsbildern sowie invasiven Arten wie Wolf und Wollhandkrabbe -- aufgegangen, dass ihre überaus jung-dynamische und weltoffene Behörde kaum Wissen zu den ökologischen Auswirkungen von schwimmenden PV-Anlagen, international als Floating-PV bekannt, besitzt. Immerhin gibt es solche Anlagen ja erst knappe 20 Jahre und ihre weltweit installierte Leistung liegt mit drei Gigawatt gerade einmal in der Größenordnung von drei Atomkraftwerken. Aber solche Fakten dürften den in ewigen Naturkreisläufen denkenden Naturschutz-Bürokraten in Bonn und Leipzig wohl in der Vergangenheit als zu irrelevant erschienen sein.
Was also könnte die gewöhnlich geruhsamen Beamten jetzt so aufgeschreckt haben, als hätten vor ihren Augen plötzlich Floating-PV-Anlagen wie See-Ungeheuer die Wasseroberfläche durchbrochen? Könnte es sein, dass das so unerwartete Scheitern des Versuchs von Naturschützern, die kleine Wasserkraft ins energiepolitische „Aus“ zu manövrieren, einige selbstgefällige „k.u.k. Reichshofräthe“ aufgeweckt hat? Wir werden es wohl nie erfahren. Wie überall in der Bürokratie, so sind auch hier die geistigen Wege der Herren (und Damen) unergründlich – und bisweilen gar nicht vorhanden. Nur ein Schelm, der so Böses dabei denkt, dass man eigentlich nur die Energieernte auf platten, unstrukturierten Wasserflächen verhindern wolle!
Wie auch immer: das Bundesamt für Naturschutz ist tätig geworden, hat eine Arbeitsgruppe aus internen und externen Wissenschaftlern gebildet – „Wenn man nicht mehr weiter weiß, bildet man ´nen Arbeitskreis“ – und ein 166 Seiten starkes Papier heraus gebracht: „Schwimmende PV-Anlagen: Auswirkungen auf Arten, Lebensräume und Landschaftsbild (und Ansätze zur Vermeidung)“. So, nun alles klar? Nicht doch, so schnell schießen Naturschützer nicht – weder Wölfe noch wissenschaftliche Ergebnisse! Schließlich trägt das Werk den schönen Untertitel „Teilvorhaben 1: Erstellung eines Untersuchungskonzeptes für die naturschutzfachlichen Auswirkungen von schwimmenden PV-Anlagen in Stillgewässern“. Das Arbeitsteam hat sich also auf 166 Seiten erst einmal „die Karten gelegt“, was man denn so alles untersuchen könnte, sollte, möchte, müsste. Und es hat somit äußerst weitsichtig den Grundstein für weitere „Teilvorhaben“ gelegt. Wenn deren Fertigstellung dann ebenso schnell vonstatten geht wie die Zeit von den ersten Floating-PV-Anlagen bis zum ersten Teilvorhaben des Bundesamtes für Naturschutz, schreiben wir die frühen 2040er Jahre. Das wäre in Zeiten der Klimakrise ein sehr langer und wenig überschaubarer Zeitraum, und auch so mancher Bürokrat im BfN könnte ganz natürlich darüber versterben. Allerdings sollen Naturschutzbeamte, wie man hört, einem solchen natürlichen Todesschicksal ruhigen Auges und völlig unbewegt entgegensehen.
Eine solch stoische Haltung sollten auch wir Bürger uns hinsichtlich des Themas zu eigen machen. Immerhin hätten die beamteten Naturschützer schlicht die freundlichen Mitarbeiter:innen des Schweizer Bundesamtes für Energie anrufen können, die seit Jahren mit dem Thema befasst und gemeinhin sehr auskunftswillig sind. Doch eine einfache Antwort der Schweizer hätte sich auf das schöne Projekt sehr störend auswirken können – auf seine Seiten, seine Teilvorhaben, seine abrechenbaren Arbeitsstunden und sein sichern Stellen. Das kann natürlich niemand im Ernst den Naturschützern zumuten wollen. Und so harren wir lieber der Dinge, die da kommen. Wenn sie dann mal kommen – vielleicht 2040, 2045 oder so – , wird sich angesichts überhitzter, austrocknender Seen, nach Sauerstoff schnappender Fische und weiterer durch das fossile Energiesystem demolierter Natur eh niemand mehr diesbezüglich um die Meinung der Naturschützer scheren – und das ist auch gut so.