18.08.2023
Was steckt hinter der Bayerischen Verteilnetzinitiative?
Ein Interview mit Hintergrund von Heinz Wraneschitz
Wenn über Stromnetze gesprochen wird, sind fast immer die Leitungen der vier Übertragungsnetzbetreiber im Fokus. Doch die vielerorts entstehenden, oft riesigen Solar- und Windkraftparks geben ihren Ökostrom nicht in die 380-kV-Trassen ab, sondern in die 20- oder 110-kV-Leitungen der vielen 100 Verteilnetzbetreiber hierzulande. Doch der dort riesige Ausbaubedarf ist öffentlich kaum bekannt.
Dieser Tage hat nun das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft und Energie (WiMi) Informationen über den aktuellen Stand einer im Freistaat seit einem Jahr laufenden Verteilnetzinitiative öffentlich gemacht. Auch die für weite Teile des Strom-Verteilnetzes in Nordbayern verantwortliche N-ERGIE Netz GmbH aus Nürnberg hat im Sommer 2022 das entsprechende „Memorandum of Unterstanding“ (MoU) unterzeichnet. Heinz Wraneschitz sprach für die DGS-News mit Rainer Kleedörfer, Leiter der Unternehmensentwicklung im Konzern-Verbund der N-ERGIE Nürnberg über die aktuelle Situation dort.
DGS: Herr Kleedörfer, im MoU sind einige „übergeordnete Ziele bzw. thematische Schwerpunkte“ festgehalten, darunter die Optimierung des Netzanschlussprozesses, eine wechselseitige bessere Synchronisierung von Erneuerbare-Energien- und Netzausbau oder regulatorische Anreize für den Netzausbau. Wie sollen diese Ziele erreicht werden?
Kleedörfer: Eigentlich ist für die allermeisten Punkte, außer insbesondere die Genehmigungsverfahren, der Bund beziehungsweise die Bundesnetzagentur zuständig. Auf regionaler Ebene kann man die Festlegung des Netzanschlusspunkts verbessern. Wenn es für dieselbe Erzeugungsanlage Anfragen bei zwei in der Nachbarschaft agierenden Netzbetreibern gibt, wird dort doppelter Aufwand erzeugt. Nun soll es keinen ungesteuerten Prozess mehr geben. Dafür haben wir ein Kommittent getroffen, dass konkret bei dem Netzbetreiber angefragt wird, wo die Solar- oder Windkraftanlage gebaut wird, und die Netzbetreiber sich austauschen. Dazu hilft, dass der Verband VBEW inzwischen auch die Interessen vieler Ökokraftwerksbetreiber vertritt. Loben möchte ich an dieser Stelle den Freistaat: Der hat bei den Genehmigungsverfahren auf Landesebene alles Machbare getan, damit diese schneller werden.
DGS: Das WiMi hat sich im MoU verpflichtet, „auf Basis der bayernweiten Energie- und Klimaziele zwischen dem Ministerium, dem Ökoenergie-Institut Bayern am LfU, den höheren Landesplanungsbehörden an den Regierungen sowie weiterer relevanter Akteure einen objektiven Kriterienkatalog zu erarbeiten“. Wie ist der Stand?
Kleedörfer: Den Stand kenne ich nicht. Beim Wind ist ohnehin der jeweilige regionale Planungsverband zuständig. Beim Ausbau der Photovoltaik-Freiflächen hat alle Akteure die Teilprivilegierung nach dem Baugesetzbuch des Bundes überrascht. Kommunen werden hierdurch weitestgehend ihrer Gestaltungshoheit in den betroffenen Flächen entlang den Autobahnen und mehrgleisigen Bahnstrecken beraubt. Es war eine klare Forderung der Kommunalen Spitzenverbände, den Kommunen die Planungshoheit wieder zurückzugeben, was aus unserer Sicht auch sinnvoll ist.
Frage: Was bringen die zweimalig im Jahr geplanten Treffen zwischen Regierungen und Vorhabenträgern, also den Netzunternehmen?
Kleedörfer: In Mittelfranken zumindest ist die Bereitschaft der Bezirksregierung ohnehin schon sehr hoch, dass Stromnetzinfrastruktur mitgedacht werden muss. Wir haben den Austausch bereits. Wir treffen dort auf viel Unterstützung und Verständnis.
DGS: Zwischen Vorhabenträgern der Netzebenen und den Genehmigungsbehörden soll „vorausschauend und lösungsorientiert“ zusammengearbeitet werden, steht im MoU. Wie lange im Voraus wird geplant?
Kleedörfer: Die formalen Rahmenbedingungen verpflichten Übertragungsnetz- (ÜNB) und Verteilnetzbetreiber (VNB) ohnehin zum Austausch. Das ist gesetzlich vorgeschrieben und sehr wertvoll. Da nähert man sich an. Die Idee dahinter ist, realitätsnah zu planen. Aber wie und was konkret die ÜNB planen, wird man erst im nächsten Bundesbedarfsplan sehen. Der Termin dafür ist das zweite Quartal 2024. Bis dahin sammeln wir alle zugänglichen Informationen, wer wo Windräder oder Freiflächen-PV in welcher Leistungsgröße bauen will und wie hoch die Realisierungswahrscheinlichkeit ist. Wir wissen aber jetzt bereits, dass wir unser 110kV-Netz deutlich verstärken müssen, und dass wir mehrere Netzkuppler zwischen 110 kV und 380 kV zum Übertragungsnetz brauchen, welche die ÜNBs bauen müssen.
DGS: Und wie viele km neue 110kV-Leitungen werden in den nächsten fünf Jahren im Bereich der N-ERGIE Netz GmbH konkret fertiggestellt?
Kleedörfer: Das kann ich so noch nicht sagen. Die finalen Entscheidungen sind noch nicht gefallen, aber es ist jede Menge in Planung und auch schon in der Umsetzung. Wir brauchen dringend netzdienliche Speicher an den richtigen Stellen. Und es wird einen deutlichen Ausbau bei den Netzkupplern geben müssen. Zum Beispiel im Kreis Weißenburg-Gunzenhausen, da kommen ja 200 bis 300 MW Windkraftwerke und auch ziemlich viel Photovoltaik-Freiflächen. Tennet (der im Raum Nordbayern tätige ÜNB, d. Red.) hat diverse Netzkuppler im Netzentwicklungsplan. Mitte 2024 werden wir sehen, ob diese von der Bundesnetzagentur bestätigt werden. Erst dann werden Planungen und Umsetzung starten. Wir werden das natürlich auch im Rahmen unserer Zielnetzplanung 2045 kommunizieren. In welchem Zeitraum das erfolgen wird? Realistisch muss man für den Bau von Netzkupplern und den darauf ausgerichteten 110kV-Ausbau mit mindestens zehn Jahren rechnen.
DGS: Da passt ja, dass im MoI steht: „Ein systemdienlicher Betrieb von stationären Speicheranlagen kann zu einer Entlastung der Stromnetze beitragen und den Anschluss von Stromerzeugungsanlagen, insbesondere von volatilen Photovoltaik- und Windkraftanlagen, erleichtern.“ Aber wer ist dafür zuständig?
Kleedörfer: Da muss man differenzieren: Was wir auf jeden Fall brauchen, sind jetzt Batteriespeicher, um den Strom aus Wind und PV über ca. vier Stunden in den Abend zu bringen. Ohne diese Speicher wäre die Konsequenz, dass die Erzeugungsspitzen der Erneuerbaren noch mehr abgeregelt werden müssen. Mit Batterien könnte ich also an vielen Sonnentagen den Erzeugungsüberschuss der Erneuerbaren in die Abend- und Nachstunden verschieben. Doch bei den vielen Sonnenstunden gerade im Hochsommer würde auch das nicht reichen: Da brauchen wir längerfristige Speicher. Dafür sind in Deutschland weder Batterien noch Pumpspeicher geeignet oder ausreichend. Und auch bei zwei Wochen Dunkelflaute wird es schwierig. Es wird auf einen Mix rauslaufen müssen, unser Favorit ist Wasserstoff. Der Baustein dafür, der Zubau konventioneller Gaskraftwerke, die „H2-ready“ sind, wird ja im Ampel-Koalitionsvertrag gefordert und jetzt von Bundesminister Habeck angegangen. Davon brauchen wir – je nach Studie – 20 bis 40 GW in Deutschland, 500 MW pro Block, 40 bis 80 neue Kraftwerke bis 2030. Wichtig dabei ist die Wärmekopplung mitzudenken. Doch die Standorte müssen nach Bundesemissionsschutzrecht genehmigt werden. Ich würde deshalb keinen Knopf auf 2030 verwetten. Außer, wir zünden wie bei den Flüssiggasterminals den Turbo.
DGS: Apropos Speicher. Bisher gilt für Stromspeicher der Letztverbraucherstatus. Wann wird die Systemdienlichkeit anerkannt?
Kleedörfer: Wir erkennen hier die Notwendigkeit der Stabilisierung. Doch beim Bund und der Bundesnetzagentur ist das Bewusstsein leider noch nicht so ausgeprägt wie nötig. Denn ohne Speicher ist Abregelung die logische Konsequenz. Wir müssen im Verteilnetz entsprechende Kapazitäten an den richtigen Stellen schaffen, dort wo sonst abgeregelt werden müsste. Die Leute mit privaten PV-Anlagen machen das so im Keller. Das muss auch für die großen Photovoltaik-Freiflächen im Verteilnetze gelten.
DGS: Wasserstoff als Speicher haben Sie schon angesprochen. Bayerns Energieminister Aiwanger will pro Landkreis mindestens einen Elektrolyseur. Was halten Sie davon?
Kleedörfer: Ich würde anders fragen: Wo sind geeignete Standorte? Ein Wärmebedarf muss da vorhanden sein, den gibt’s bei Industrie und Gewerbe. Denn privater Wärmebedarf ist im Sommer gleich Null. Man muss hier größer denken, also vielleicht in einem Landkreis zwei und einem anderen Landkreis keinen Elektrolyseur. Aber auf die Farbenlehre möchte ich auch noch hinweisen: Ohne Grünstrom hätte der Wasserstoff keine Klimaneutralität.